Erotik ist auch nicht alles: Tannhäuser (Jonas Kaufmann) verlässt Venus (Emma Bell).
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Ein unrunder Charakter ist Tannhäuser. Er folgte den Wünschen seines Unterleibs auf den Venushügel. Schließlich jedoch überkommt ihn Überdruss vor all dem körperlichen Kram, den er genoss. Auch zum Abschied von Venus nimmt er bei Regisseur Romeo Castellucci im Großen Festspielhaus unwillig ein "Körperbad" in einer welligen Skulptur aus Gliedmaßen.

Als wäre es nicht der Gefühlsambivalenz genug, ist er auch noch eine Art Don Giovanni mit Schuldgefühlen. Es plagt den Minnesänger sein christliches Über-Ich, dem Genuss horizontaler Freuden folgen Gewissensqualen; als reuiger Sünder hofft er auf Vergebung, doch dann das: Beim Sängerfest drängt es den Unsteten nicht zu Lobpreisung der Keuschheit.

Schöne Rätselaktionen: Eine größer werdende Gruppe von Amazonen schießt Pfeile auf abgebildete Augen und Ohren.
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Schwarz sehen

Tannhäuser verhöhnt die Tugendkollegen durch abermalige Verherrlichung des wahren Lebens, das um Sinnlichkeit und Genuss kreise! Entsetzt sind alle, auch Walther von der Vogelweide (Sebastian Kohlhepp), Biterolf (Edwin Crossley-Mercer), Heinrich der Schreiber (Dean Power) und Reinmar von Zweter (Alexander Köperczi). Tannhäusers Zusammenbruch besorgt dann aber eine enigmatische Figur: Castellucci lässt ihn von einem Tanzwesen umschwirren und sein weißes Gewand schwarz anmalen.

Auch insgesamt sieht der Regisseur in seiner für die Salzburger Osterfestspiele neu eingerichteten Arbeit von 2017, welche für die Bayerische Staatsoper entstand, schwarz für den Geplagten, der zwischen Trieb und Tugend torkelt. Tannhäuser erwartet keine Erlösung im Diesseits. Er ist hier die resignierte Existenz, die sich in einem Akt der Verwesung schließlich als Asche mit Elisabeth vereint. Asche trifft Asche: Im Ritual, das die beiden Figuren gleichsam als Gespenster ihrer selbst vollziehen, schütten Jonas Kaufmann (Tannhäuser) und Marlis Petersen (Elisabeth) ihre sandigen "Reste" zu einem Haufen zusammen, während der Zeitfaktor aufgehoben scheint.

Eine Schrift im Hintergrund des schwarzen Raums behauptet, hier würde eine Sekunde so viel zählen wie eine Milliarde von Jahren. Auch der ganze Abend wirkt, als würde Castellucci Zeiten und Epochen verschmelzen. Er holt aus dem kollektiven Gedächtnis der Kulturmythen Archetypen hervor, um sie in neue Rituale zu verstricken.

Intensiv Marlis Petersen als Elisabeth, die durch eindringliche Performance überzeugt.
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Zeitlos vereint

Die Uneindeutigkeit seiner Ideen ist zweifellos eine Magiequelle seiner Arbeiten. Er ist der Bilder malende Regisseur, der assoziative Gestalter szenischer Gemälde, deren Charisma aus dem Poetischen ebenso schöpft wie aus dem Drastischen. Dass er in Tannhäuser die Handlung durch Choreografien und Wiederholungsaktionen doppelt, lässt allerdings die Hauptfiguren – besonders im zweiten Akt – zu oratorial wirken. Das ist der eigenartige Teil dieser Inszenierung, die natürlich schöne Rätselaktionen präsentiert: Eine größer werdende Gruppe von Amazonen schießt zur Ouvertüre Pfeile auf ein abgebildetes Auge. Das Männermilieu der Minnesänger wirkt wie aus zenbuddhistischen Mönchen gebildet. Wenn es für sie ans Singen geht, liegen alle rund um einen Kubus, als müsste Meditation dem Vortrag vorausgehen.

Natürlich, nur Tannhäuser kann nicht still liegen. Er bewegt sich unruhig, noch bevor er zum Loblied auf den Genuss ansetzt. Jonas Kaufmann gerät nur kurz in Grenzbereiche hörbarer Anstrengung. Er ist im Grunde aber der souveräne Tenor, der die Rolle des Gespaltenen eindringlich und mit gewohnt flauschigem Timbre umsetzt. Überragend als Wolfram von Eschenbach Christian Gerhaher. Er präsentiert sich als der famose lyrische Bariton, der im dritten Akt die szenische Melancholie und Resignation auch in liedhaft detaillierter Intimität zum Ausdruck bringt.

Zugleich besitzt Gerhaher das nötige Volumen, um das Dramatische klangsatt und ohne forcierte Momente zu erwecken.

Überragend und intensiv: Christian Gerhaher (Wolfram von Eschenbach) und Marlis Petersen (Elisabeth).
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Tolle Stimmen

Georg Zeppenfeld vollendet die Starbesetzung: Als Hermann, Landgraf von Thüringen, zelebriert er eine edle Mischung aus klarer Diktion, Kultiviertheit und Robustheit. Intensiv wirkt Marlis Petersen als Elisabeth. Sie überzeugt durch eindringliche Dramatik, während Emma Bell (als Venus statt Elīna Garanča) solide bleibt.

Im ersten Jahr der alleinigen Intendanz von Nikolaus Bachler sind statt Christian Thielemann und der Staatskapelle nun Andris Nelsons und sein Gewandhausorchester Operngäste. Nelsons tendiert zu den dunklen, schwermütigen Aspekten des Werkes. Seinem Orchester entlockt er Klangpracht und zierliche Details, die auch in der Entschleunigung sehr präsent wirken.

Seltsam bleibt natürlich bei aller Qualität: Warum ausgerechnet wieder Castellucci zu Ostern, der im Sommer schon sehr präsent war? Warum nicht etwas ganz Neues von ihm? So begann das ach so neue Festivalkonzept des Osterfestivals mit einer Arbeit, die Intendant Nikolaus Bachler von sich selbst borgte. 2017 war er ja noch Leiter der Bayerischen Staatsoper. Im Großen und Ganzen gab es am Samstag Zustimmung. Und seltsame Einzelbuhs für Petersen und Nelsons. (Ljubisa Tosic, 2.4.2023)