Russland und die Ukraine haben in der Nacht zum Montag unterschiedliche Angaben zum Stand der Schlacht um die ostukrainische Stadt Bachmut gemacht. Während der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, behauptete, man habe Bachmut de facto "im rechtlichen Sinn" erobert, stellte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dies in Abrede: In einer Videorede sagte er, die militärische Lage sei "besonders heiß", die Kämpfe in der bisher längsten Schlacht der russischen Invasion hätten nicht nachgelassen. Die Lage vor Ort ließ sich freilich nicht unabhängig verifizieren.

Die Kämpfe in der Ukraine dauern an, werden zurzeit besonders intensiv geführt.
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Prigoschin sagte, seine Truppen hätten auf dem Verwaltungsgebäude der Stadt eine russische Flagge gehisst. Von ukrainischer Seite gab es jedoch keine Hinweise darauf, dass Bachmut tatsächlich in russische Hände gefallen ist – Prigoschin hatte schon früher ähnliche Behauptungen aufgestellt, die sich schließlich nicht bestätigen ließen.

Der Chef der Wagner-Privatarmee, ein enger Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin, hielt bei seinem Auftritt eine russische Flagge mit einer Aufschrift zu Ehren des russischen Militärbloggers Wladlen Tatarski. Der radikale Nationalist war am Sonntag bei einem Bombenanschlag in einem Café in St. Petersburg getötet worden. "Die Kommandanten der Einheiten, die das Rathaus und das gesamte Zentrum eingenommen haben, werden diese Flagge aufstellen", sagte der Wagner-Chef.

Bisher nicht bestätigt

"Es ist die private Militärfirma Wagner, das sind die Jungs, die Bachmut eingenommen haben. Rechtlich gesehen gehört sie uns." Bereits am 20. März hatte Prigoschin erklärt, dass seine Söldner "etwa 70 Prozent" von Bachmut kontrollieren würden. Ziel der Wagner-Einheiten sei die "komplette Befreiung der Stadt".

Die ukrainische Armee versicherte unterdessen, die Stadt in der Ostukraine weiterhin zu "halten". "Der Feind hat seinen Angriff auf Bachmut nicht eingestellt. Die ukrainischen Verteidiger halten die Stadt jedoch tapfer, indem sie zahlreiche feindliche Angriffe abwehren", teilte der ukrainische Generalstab Sonntagabend auf seiner Facebook-Seite mit – wenige Stunden vor der Erklärung Prigoschins.

Die Lage in der Region "ist immer noch sehr angespannt", erklärte ihrerseits die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Ganna Maliar. Moskau versuche, "nicht nur die Wagner-Kämpfer, sondern auch professionelle Fallschirmjägereinheiten" einzusetzen.

"Besonders schwierig"

In seiner täglichen Videoansprache räumte der ukrainische Präsident Selenskyj eine "schwierige" Lage in Bachmut ein. "Ich bin unseren Kämpfern dankbar, die in der Nähe von Awdijiwka, Marjinka und Bachmut kämpfen. Vor allem Bachmut! Dort ist es heute besonders schwierig", sagte Selenskyj.

Die vor Beginn des Krieges 70.000 Einwohner zählende Bergbaustadt Bachmut ist nach den monatelangen Kämpfen weitgehend zerstört und verlassen. Die Stadt in der Industrieregion Donbass hat jedoch angesichts der seit Monaten andauernden Gefechte mit großen Verlusten mittlerweile für beide Seiten eine hohe symbolische Bedeutung erlangt.

Russischer Militärblogger bei Explosion getötet

Ein radikaler russischer Kriegsblogger ist indes am Sonntag bei einer Explosion in einem Café im Zentrum der russischen Metropole Sankt Petersburg ums Leben gekommen. Weitere 25 Menschen wurden bei der Detonation des Sprengsatzes verletzt, wie die Staatsagentur Tass weiter berichtete.

Der 40-jährige Maxim Fomin, der unter dem Pseudonym Wladlen Tatarski bekannt war, hatte nach offiziell unbestätigten Medienberichten am Sonntag zu einem "patriotischen Abend" in das Café Stritfud-Bar No. 1 im Zentrum von Sankt Petersburg geladen. Dieses soll nach Medienberichten Prigoschin, dem Chef der berüchtigten Söldnertruppe Wagner, gehört haben.

Sprengsatz in Büste

Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler sei der Sprengsatz in einer Statuette versteckt gewesen, die Tatarski bei dem Treffen als Geschenk überreicht worden sei. Das Geschenk – Augenzeugen berichteten von einer vergoldeten Büste des Bloggers – sei ihm von einer jungen Frau überreicht worden. Sie habe sich anschließend in eine der hinteren Zuschauerreihen gesetzt, sei aber nach der Explosion verschwunden. Die Fahndung nach ihr laufe auf Hochtouren.

Tatarski, Blogger und Kriegsberichterstatter, hatte ab 2014 zunächst als Aufständischer für die Unabhängigkeit des russisch kontrollierten Donbass gekämpft. Er verbreitete in seinem Blog Videos vom Frontgeschehen in der Ukraine und gab zuletzt jungen russischen Soldaten Tipps, wie sie sich in den vordersten Linien verhalten sollten. Dabei äußerte er sich verächtlich gegenüber ukrainischen Soldaten und sparte auch nicht mit Kritik an der russischen Militärführung, die in seinen Augen Fehler mache und "zu weich" sei.

Am Montag hat Putin dem getöteten Blogger einen Orden verliehen. "Für Mut und Kühnheit, die er bei der Erfüllung seiner beruflichen Pflichten demonstriert hat, wird der Militärkorrespondent Fomin, Maxim Jurjewitsch (Wladlen Tatarski) postum mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet", heißt es in dem veröffentlichten Dekret. Der Kreml hatte zuvor der Ukraine die Schuld am Anschlag gegeben.

Zivilisten in Kostjantyniwka getötet

Unterdessen wurden mehrere Zivilisten am Sonntag durch russischen Beschuss der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka getötet. Wie Präsidentenberater Andrij Jermak auf Twitter mitteilte, wurden 16 Wohnblöcke, acht Häuser, ein Kindergarten und ein Verwaltungsgebäude in der Kleinstadt beschädigt. Sechs Menschen seien gestorben, acht weitere verletzt worden.

Kostjantyniwka sei zwei Mal von Raketen des Typs S-300 getroffen worden, so Jermak. Zuvor hatte er von Streumunition und Mehrfachraketenwerfern gesprochen. Der Chef der ukrainischen Militärverwaltung für die Region Donezk, Pawlo Kyrylenko, sagte, dass die russischen Raketen das Zentrum der Stadt getroffen hätten. Zu Friedenszeiten hatte die Industriestadt etwa 70.000 Einwohner.

Explosionen in Melitopol

Indes gab es in einer russischen Militäreinrichtung der strategisch bedeutenden Stadt Melitopol mehrere Explosionen. Die Explosionen ereigneten sich in einer Eisenbahnremise, die von den Besatzern für Reparaturen und als Treibstoff- und Munitionslager genützt werde, sagte der gewählte Bürgermeister der Stadt, Iwan Fedorow. Schon bei einem Angriff am Montag sei das Dach des Lagers beschädigt worden. Dutzende Soldaten seien eliminiert worden, so Fedorow.

Melitopol ist von zentraler Bedeutung für den Erhalt der russischen Landbrücke zur besetzten Krim. Nach Einschätzung von Militärexperten könnte der wichtige Verkehrsknotenpunkt in der Region Saporischschja das Ziel der erwarteten ukrainischen Gegenoffensive sein. Durch eine Einnahme der Stadt wäre nämlich die Straßen- und Bahnverbindung zwischen der russisch besetzten Ostukraine und der bereits im Jahr 2014 illegal annektierten Halbinsel Krim gekappt. Damit wäre die Versorgung der westlich von Melitopol stationierten russischen Truppenteile massiv erschwert und nur noch auf dem Seeweg oder über die stark exponierte Kertsch-Brücke möglich.

Rückzug in Donezk

Weiters berichtete die ukrainische Armee von einem teilweisen russischen Rückzug im ostukrainischen Donezk. Man bereite sich auf Verteidigungsoperationen vor, weil eine mächtigere Offensive zu erwarten sei, sagte ein Armeesprecher nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform. In der Region Saporischschja würden die Invasoren Befestigungsarbeiten, taktische Übungen und Aufklärungsoperationen durchführen. Ohne Details zu nennen, berichtete die Armee auch davon, dass ukrainische Fallschirmjäger eine russische Einheit in einem der Frontabschnitte "eliminiert" hätten.

US-Militärexperten erklärten die russische Winteroffensive unterdessen für gescheitert. Die gesteckten Ziele einer vollständigen Einnahme der Gebiete Donezk und Luhansk seien nicht erreicht worden, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington. Die Analysten erwarten demnach einen baldigen neuen Umbau der russischen Kommandostrukturen für den Krieg gegen die Ukraine. Der erst im Jänner als Befehlshaber der Truppen im Kriegsgebiet eingesetzte Generalstabschef Waleri Gerassimow habe die Erwartungen von Kreml-Chef Wladimir Putin nicht erfüllt, hieß es. Er könne kaum Gebietsgewinne vorweisen. Laut ISW galt für Gerassimow der 31. März als Zieldatum, um den kompletten Donbass einzunehmen.

Sieg als "einziger Weg"

Der ukrainische Präsident Selenskyj sieht indes einen militärischen Sieg der Ukraine als "einzigen Weg" zur Sicherheit. "Es gibt nur einen Weg, den russischen Terror zu stoppen und die Sicherheit in all unseren Städten und Gemeinden wiederherzustellen – von Sumy bis zum Donbass, von Charkiw bis Cherson, von Kiew bis Jalta, und dieser Weg ist der militärische Sieg der Ukraine", sagte Selenskyj am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. "Es gibt keinen anderen Weg, und es kann keinen anderen Weg geben."

Für den "bösen Staat" Russland sei es zur Normalität geworden, Wohnhäuser mit Raketenwerfern zu beschießen, Raketen auf Städte abzufeuern, normale Dörfer und Menschen zu bombardieren. Dieser Staat müsse vollständig besiegt werden – militärisch, wirtschaftlich, politisch und rechtlich. "Der erste Punkt ist der militärische", sagte Selenskyj. Und der werde auch umgesetzt. (red, 3.4.2023)