In den vergangenen zwei Jahren wurden bereits fünf Parlamentswahlen abgehalten.

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Nach der Parlamentswahl in Bulgarien sehen die jüngsten Hochrechnungen inzwischen doch das Mitte-rechts-Bündnis des früheren Ministerpräsidenten Bojko Borissow in Führung. Sein Bündnis kam bei der Wahl am Sonntag demnach auf rund 26 Prozent der Stimmen – der fünften binnen zwei Jahren. Der liberal-konservative Block lag mit rund 25 Prozent knapp dahinter. Die Hochrechnungen wurden in der Nacht auf Montag von drei Meinungsforschungsinstituten veröffentlicht.

In ersten Prognosen auf Basis von Nachwahlbefragungen hatte die Reihenfolge der politischen Lager, die beide als prowestlich gelten, noch umgekehrt ausgesehen. Borissows Bündnis Gerb-SDS hatte das zur EU und Nato gehörende Land bereits bis 2021 regiert – damals endete seine dritte Amtszeit als Ministerpräsident. Sein Lager ist sich mit dem liberal-konservativen Wahlblock PP-DB einig über die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Beide befürworten auch Waffenlieferungen an das angegriffene Land.

Diesen ersten Nachwahlbefragungen zufolge werden wahrscheinlich fünf Parteien den Einzug ins bulgarische Parlament schaffen. Dazu gehören auch die "Bewegung für Rechte und Freiheiten", eine Partei der türkischen Minderheit, die als korrupt gilt mit etwa 14 Prozent, gleich gefolgt von der rechtsextremen, Kreml-freundlichen Partei "Wiedergeburt" mit etwa 13 Prozent und der Sozialistischen Partei mit etwa neun Prozent.

Minderheitsregierung möglich

Falls die Wahlkoalition von "Wir setzen den Wandel fort" mit der Demokratischen Partei die Wahlen gewinnen sollte, gibt es die Möglichkeit, dass sie mit Unterstützung der Gerb eine Minderheitsregierung formiert. In den vergangenen Jahren haben die reformorientierten Kräfte allerdings immer wieder eine Koalition mit der als korrupt geltenden Gerb, die Teil der Europäischen Volkspartei (EVP) ist, abgelehnt.

Doch die bulgarischen Wählerinnen und Wähler sind der vielen Urnengänge müde. In den vergangenen zwei Jahren wurden bereits fünf Parlamentswahlen abgehalten, weil die Parteien keine tragfähigen Koalitionen bilden wollten und eine funktionierende Koalition durch einen der Koalitionspartner, die Partei des Entertainers Slavi Trifonov, im Vorjahr gesprengt wurde. Die Partei von Trifonov ist nun nicht mehr im Parlament vertreten.

Kreml-freundliche Koalition

Neben einer möglichen reformorientierten Minderheitsregierung wäre es prinzipiell auch möglich, dass die Gerb mit der "Bewegung für Rechte und Freiheiten", der "Wiedergeburt" und den Sozialisten eine Regierung formiert. Allerdings wäre das eine Regierung, die Kräfte, die dem Kreml nahestehen, stützen würde.

Der Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger war am Sonntag auch dadurch zu erkennen, dass vier Prozent der Wahlberechtigten "Ich unterstütze niemanden" auf ihrem Wahlzettel angaben. Die Wahlbeteiligung lag bei 40 Prozent. Die bulgarische Gesellschaft ist stark polarisiert nicht nur zwischen der Gerb, die den Status quo verkörpert und den reformorientierten Kräften, die sich vor allem für die Einführung von Rechtsstaatlichkeit einsetzen, sondern auch zwischen jenen, die den Kreml im Krieg gegen die Ukraine unterstützen und jenen, die sich mit den überfallenen und angegriffenen Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisieren. (Adelheid Wölfl, 2.4.2023)