"Wisst ihr was? Wir haben einen großen Sieg!", rief der Chef der konservativen Sammlungspartei, Petteri Orpo, seinen Anhängern zu, nachdem feststand, dass seine Partei nach der Parlamentswahl in Finnland definitiv die Nase vorn hat.

Sanna Marin musste sich Petteri Orpo geschlagen geben.
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Ein "großer Sieg" sieht – mit mitteleuropäischem Maß gemessen – aber freilich anders aus: Die Sammlungspartei landete im vorläufigen Endergebnis bei 20,8 Prozent der Stimmen, gerade einmal 0,7 Prozentpunkte vor den rechtspopulistischen Basisfinnen und 0,9 Prozentpunkte vor der Sozialdemokratischen Partei Finnlands (SDP) mit Regierungschefin Sanna Marin.

Marin genießt nach wie vor enorme Popularität – dennoch reichte es nur für Platz drei.
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Orpos enthusiastische Reaktion ist dennoch verständlich, war doch der in den Umfragen zuweilen recht bequeme Vorsprung seiner Konservativen vor den beiden großen konkurrierenden Parteien zuletzt fast zur Gänze weggeschmolzen. Eine der ersten Hochrechnungen am Sonntagabend sah Marin zunächst sogar noch als Wahlsiegerin.

Entschlossene Linie

Die 37-jährige Sanna Marin hatte sich in den vier Jahren als Regierungschefin nicht nur in ihrer Heimat eine Art Superstarstatus erarbeitet. Sie steuerte Finnland souverän durch die Pandemie, sie zögerte nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine keine Sekunde, die Weichen für den Nato-Beitrittsantrag ihres Landes stellen – jahrzehntelang undenkbar – und zeigte mit ihrer entschlossenen Unterstützung der Ukraine auf europäischer Ebene auch außenpolitisch Profil.

Petteri Orpo freut sich über den Wahlsieg.
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Nicht einmal ihre an die Öffentlichkeit gespielten und international vielbeachteten Partyvideos brachten die stets eloquente und mediengewandte Regierungschefin von der Erfolgspur ab. Was Marin am Ende des Tages aber doch zum Verhängnis wurde, war ihre im Kern klassisch-sozialdemokratische Sozial- und Wirtschaftspolitik. Unter ihrer Regierung stiegen die Staatsschulden Finnlands von Anfangs 64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 73 Prozent. Obwohl ein größerer Teil davon Auffangmaßnahmen in der Pandemie betraf und lange umkämpfte Reformvorhaben im Sozial- und Gesundheitsbereich erfolgreich umgesetzt werden konnten, dürfte Marins Kurs bei den Finnen wachsendes Unbehagen verursacht haben – insbesondere, als auch Finnland in den vergangen Monaten von wiederholten Preisschüben im Energiesektor, aber auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens betroffen war. Bei manchen älteren Menschen mag auch die Erinnerung an die große Wirtschafts- und Schuldenkrise in den frühen 1990er-Jahren mitgespielt haben.

Erfolgreiche Taktik

Genau hier setzte die erfolgreiche Taktik der Konservativen an. Petteri Orpo versprach im Wahlkampf, die Staatsausgaben um sechs Milliarden Euro zu kürzen, insbesondere im Wohlfahrtsbereich zu sparen und das Wirtschaftswachstum mit Steuersenkungen anzukurbeln. Wie Orpo dieses Wahlversprechen nach seinem Wahlsieg einlösen kann, werden die Koalitionsgespräche der kommenden Tage und Wochen zeigen. Orpo hat im Vorfeld wissen lassen, dass er sich sowohl mit Marins Sozialdemokraten als auch mit den rechtspopulistischen Basisfinnen, die auf Deutsch lieber "Die Finnen" genannt werden wollen, eine politische Zusammenarbeit vorstellen könne.

Riikka Purra brachte die Basisfinnen auf einen erfolgreichen Kurs.
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Die Basisfinnen sind in den zwei Jahren unter der Führung der 45-jährigen Riikka Purra etwas von ihrer traditionell EU-skeptischen Linie abgerückt. Sie konzentrierten sich zuletzt auf die Forderung nach einer radikalen Verschärfung der Einwanderungspolitik. Genau hier dürfte die größte Nuss im Falle einer Rechtskoalition zu knacken sein. Denn Orpo will, anders als die Basisfinnen, an der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte im Dienste des erhofften Wirtschaftsaufschwungs festhalten. Eine mögliche "blau-rote" Koalition mit den Sozialdemokraten wiederum hätte an den grundverschiedenen Vorstellungen über die Gebarung des Staatshaushalts zu kauen.

Die Regierungsbildung könnte aber auch deshalb schwierig werden, weil Orpo für eine Mehrheit im Parlament mindestens eine, wahrscheinlich aber zwei weitere Parteien ins Boot holen muss. Insbesondere bei einem Zusammengehen mit den Basisfinnen dürfte das schwierig werden, weil Sozialdemokraten, Grüne und Linke prinzipiell eine Zusammenarbeit mit ihnen ausgeschlossen haben. (Andreas Stangl, 3.4.2023)