"Ich studiere an der Akademie der Künste an der Fakultät für Bildhauerei. Ich habe dir ein Geschenk, eine Skulptur, mitgebracht". So erinnert sich eine Augenzeugin an den Auftritt der mutmaßlichen Attentäterin, einer jungen Frau. Die Skulptur explodierte am Sonntag in der Folge und tötete den russischen Militärblogger Wladlen Tatarskij.

Der Tatort, das Café Stritfud-Bar No.1, am Tag nach dem Anschlag.
Foto: REUTERS/Anton Vaganov

Das Café Stritfud-Bar No.1 im Zentrum von Sankt Petersburg gehörte früher Jewgeni Prigoschin, dem engen Vertrauten von Wladimir Putin und Chef der Söldnergruppe Wagner. Tatarskij, ein in der Szene bekannter radikaler Militärblogger, sollte am Sonntagabend dort auftreten. Laut Veranstaltungsplakat würde er erzählen, "wie es ist, im Kugelhagel aus Krisenherden zu berichten". Es gab auch Gerüchte, Prigoschin selbst würde mit dabei sein.

Ein Toter, 32 Verletzte

"Plötzlich explodierte alles", erinnert sich die Augenzeugin. "Und wir rannten. Diejenigen, die in der Nähe waren, liefen blutend davon." Der 40-jährige Tatarskij, dessen richtiger Name Maxim Fomin lautete, war auf der Stelle tot. 32 weitere Menschen seien verletzt worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur RIA. Zehn von ihnen befänden sich in ernstem Zustand. Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler war der Sprengsatz in der Skulptur eingebaut, die Tatarskij als Geschenk überreicht worden war.

Der Militärblogger und Kriegsberichterstatter Tatarskij galt als schillernde Persönlichkeit. Wegen bewaffneten Raubüberfalls saß er im Gefängnis. Ab 2014 kämpfte er zunächst als Aufständischer für die Unabhängigkeit des russisch kontrollierten Donbass, ehe er sich dem Journalismus und dem Bloggen zuwandte. Er verbreitete in seinem Blog Videos vom Frontgeschehen in der Ukraine und gab zuletzt jungen russischen Soldaten Tipps, wie sie sich in den vordersten Linien verhalten sollten.

Festnahme

Daria Trepowa, die mutmaßliche Attentäterin, sei in der Zwischenzeit festgenommen worden, so die staatliche Nachrichtenagentur Interfax. Sie ist unter Sankt Petersburger Polit-Aktivistinnen als "Dasha Tykovka" bekannt, berichtet es das Onlinemedium "Meduza". Die junge Frau habe als Verkäuferin in einem Vintage-Bekleidungsgeschäft gearbeitet. Laut der Menschenrechtsorganisation OVD-Info wurden Daria Trepowa und ihr Ehemann Dmitri Rylow am 24. Februar 2022 bei einer Antikriegskundgebung von der Polizei festgenommen. Trepowa erhielt zehn Tage Verwaltungsarrest.

Zu den Hintergründen des Anschlages ist bisher nichts bekannt. Der Duma-Abgeordnete Leonid Sluzki, Vorsitzender der rechtsextremen Partei LDPR, vermutet eine "ukrainische Spur" – aber Beweise dafür gibt es nicht. Jewgeni Prigoschin sagte hingegen, er würde dem "Regime in Kiew" nicht die Schuld geben. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak wiederum will wissen, dass sich in Russland "Inlandsterrorismus" breitmache.

Sollte es sich tatsächlich um einen Mordanschlag auf Tatarskij handeln, wäre dies das zweite Attentat dieser Art auf russischem Boden seit dem Beginn von Russlands Ukraine-Invasion im Februar 2022. Im August war bei einer Autobombenexplosion bei Moskau die Publizistin Darja Dugina getötet worden. Sie war die Tochter des radikalen Ideologen Alexander Dugin. (Jo Angerer aus Moskau, 3.4.2023)