In einer Polybeziehung liebt zumindest eine Person gleichzeitig mehrere Menschen, während alle Beteiligten darüber Bescheid wissen und das respektieren.

Foto: istockphoto.com/FG Trade

Letzte Woche sprach der deutsche Schauspieler Gedeon Burkhard mit dem Magazin "Bunte" über sein ungewöhnliches Lebensmodell: Er hat zwei Freundinnen. In den deutschen Medien machte die Nachricht schnell die Runde. Schließlich gibt es nicht viele Promis, die polyamor leben und offen darüber sprechen.

Was heißt Polyamorie?

Polyamorie – aus dem griechischen "poly" (viele) und dem lateinischen "amor" (Liebe) – meint ein Beziehungsmodell, in dem "Fremdgehen" oder "Betrug" keinen Platz haben. Stattdessen können im Wissen und Einverständnis aller Beteiligten emotionale und sexuelle Beziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig gelebt werden.

Für die Steirer Marcel (36), Marco (33) und Michel (24) sind Liebesoutings wie jenes von Burkhard sehr bedeutend. Die drei leben seit mehr als sechs Jahren in einer Dreierbeziehung. Seit letztem Sommer sind sie sogar verheiratet – zumindest symbolisch. Im Rahmen einer freien Zeremonie haben sie einander das Jawort gegeben. "Es ist wichtig, dass Polyamore mit ihrer Lebensweise an die Öffentlichkeit gehen", sagt Marco. Denn noch immer gebe es viele Vorurteile und Diskriminierung. "Viele denken, bei Polyamorie gehe es nur um Sex und Orgien." Dabei sei genau das Gegenteil der Fall: "Wir führen eine ganz normale Beziehung, wie jeder andere auch."

"Free love", hieß es in der 68er-Bewegung. Dabei hat eine polyamoröse Beziehung nicht unbedingt etwas mit freier Liebe oder offener Beziehung zu tun. Bei einer geschlossenen Polybeziehung gilt das Treueprinzip, Sex ist nur mit den Beziehungsmitgliedern erlaubt. Generell steht die Sexualität bei Polyamorie nicht im Mittelpunkt, sondern die Liebe. Auch der Schauspieler Burkhard spricht in den deutschen Medien über falsche Vorstellungen: "Ich bin jetzt nicht der große Zampano, der zwei Frauen hat. Das ist eine richtige Dreierbeziehung, nicht nur sexuell, sondern eine in allen Aspekten ausgewogene und tiefgehende Verbundenheit", sagt er.

Zuerst zwei, dann drei

Doch genau das ist der Punkt, der für viele undenkbar scheint: Wie kann man zwei Menschen gleichzeitig lieben? Bei den drei Steirern gab es am Anfang nur Marcel und Marco. Die beiden lernten einander 2011 kennen. Sie verliebten sich, heirateten (eingetragene Lebenspartnerschaft) und lebten vier Jahre lang monogam. Danach folgte eine Beziehungskrise, es gab häufig Streit: "Wir dachten, ein sexuelles Abenteuer hilft", erzählt Marcel. Funktioniert hat es nicht, es kam zu noch mehr Eifersucht.

Zuerst gab es nur Marcel und Marco (oben), dann kam Michel (unten) in ihr Leben.
Foto: Eisner Fotografie

Dann bei einem Spieleabend bringt Marcels Schwester einen Freund mit: Michel. Und plötzlich macht es Klick: "Das klingt für Außenstehende immer total schräg, aber wir beide haben uns sofort in Michel verschaut", sagt Marco. Auch Michel findet beide Männer gleichermaßen attraktiv.

Im gemeinsamen Urlaub machen Marco und Marcel schließlich reinen Tisch, sprechen aus, was sie sich wünschen. "Es gab nur zwei Optionen: Entweder wir lassen uns scheiden, oder wir machen's besser." Bei der Rückkehr kontaktieren sie Michel, sie sprechen über den Wunsch einer Dreierbeziehung. Dieser geht zunächst auf Distanz: "Ich habe da einfach erst mal Zeit gebraucht", sagt er.

Nach einiger Zeit treffen sie sich wieder. Sie gehen essen, schauen abends Serien, machen Ausflüge. Sie daten, nur eben zu dritt. Es dauert nicht lange, da wird aus zwei drei. "Ich hatte beide gern, es fühlte sich sofort an wie Familie", sagt Michel.

Alte Glaubenssätze loslassen

Marcel, Michel und Marco ziehen in eine gemeinsame Wohnung in Kalsdorf bei Graz. Sie schweben auf Wolke sieben, doch es gibt auch Herausforderungen: "Wir haben alle in unseren Köpfen, dass es nur zwei in einer Beziehung geben kann", sagt Michel. Auch ihnen fällt es zu Beginn nicht leicht, diesen Glaubenssatz aus dem Kopf zu bekommen. "Ich hatte das Gefühl, ich betrüge meinen Partner", sagt Marco. "Von heute auf morgen zwei Menschen lieben, das zu realisieren dauert."

Auch Eifersucht ist ein Thema, vor allem beim Sex: Am liebsten schlafen die drei zu dritt miteinander. Manchmal haben sie aber auch zu zweit Sex. "Am Anfang fühlt man sich total ausgeschlossen", sagt Marco. Der Schlüssel für eine gelingende Partnerschaft für die drei: reden! "Wir haben uns dann einfach hingesetzt und reflektiert, woher die Eifersucht überhaupt kommt." Eifersucht hat immer mit Selbstzweifeln zu tun, das haben die drei mittlerweile gelernt. Je offener sie über ihre Ängste sprechen, desto einfacher ist alles. Seit 2016 sind sie mittlerweile zusammen. Heute ist Eifersucht kein Thema mehr.

Die Geschichte und den Alltag als Throuple (Wortneuschöpfung aus "three" und "couple") teilen sie seit zwei Jahren unter "Die Mätzchen" auf Instagram und Tiktok. Damit wollen sie das Thema Polyamorie in die Öffentlichkeit tragen. Und die Öffentlichkeit ist sehr interessiert daran, sie bekommen viele Medienanfragen. Der Fernsehsender Vox begleitete letztes Jahr sogar die freie Zeremonie der Steirer und strahlte die Sendung zur Primetime aus.

Am 21. Juli haben Marcel, Marco und Michel einander in einer freien Trauung das Jawort gegeben.
Foto: Eisner Fotografie

Viele Menschen, so der Eindruck der drei, hätten Polyamorie als Möglichkeit gar nicht auf dem Schirm. "Bei Beziehungsproblemen gehen viele einfach fremd oder trennen sich", sagt Marcel. Die Statistik kann das bezeugen: Immerhin wird fast jede zweite Ehe geschieden.

Polyamore Ehe: Wie ist die Rechtslage?

Rechtlich ist eine Ehe von mehreren Personen in Österreich nicht erlaubt. In Paragraf 24 des Ehegesetzes heißt es dazu: "Eine Ehe ist nichtig, wenn ein Teil zur Zeit ihrer Schließung mit einer dritten Person in gültiger Ehe oder eingetragener Partnerschaft lebte."

Dennoch kommt für die meisten eine Abkehr von der tradierten Vorstellung einer Beziehung nicht infrage. Marcel, Michel und Marco leben in einer Welt der Zweierbeziehungen. Wie fremd ihre Beziehungsform anderen ist, das spüren sie schon bei ganz alltäglichen Dingen wie dem Buchen eines Hotelzimmers oder dem Abschließen einer Versicherung. Rechtlich ist es nicht möglich, sich wie in einer Ehe oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft abzusichern. "Michel ist immer nur unser Mitbewohner", sagt Marcel. "Vor dem Gesetz sind wir niemand für ihn." Besonders schlimm wäre das, wenn einer krank wird oder einen Unfall hat. Ein Besuchsrecht im Krankenhaus besteht für Michel nicht.

"Wir sind schwul, wir wissen, wie es ist, diskriminiert zu werden", sagt Marcel. Doch er bleibt zuversichtlich: "Die Ehe für alle ist schneller gekommen als erwartet." Die drei hoffen, dass es für Polyamore schon in absehbarer Zeit mehr Rechte geben wird.

Hass im Netz

Gegen eine andere Art der Diskriminierung gehen die drei Männer jetzt schon aktiv vor: Hass im Netz. Mithilfe eines Anwalts haben sie schon 40 Personen angezeigt. "Die Leute schreiben uns wirklich schreckliche Dinge, einige drohen sogar, uns umzubringen", sagt Michel. "Das erschüttert, aber mittlerweile haben wir ein dickes Fell." Was die drei antreibt weiterzumachen, ist der weitaus größere Teil von Briefen und Nachrichten, die sich für ihre Offenheit bedanken: "Viele leben im Geheimen polyamor – aus Angst vor Verurteilung."

Umso wichtiger sei es, dass über Polyamorie gesprochen wird. Das Problem: Für die Akzeptanz von Polybeziehungen in Österreich fehlen Testimonials. Also in der Öffentlichkeit stehende, geoutete Personen in Polybeziehungen wie Gedeon Burkhard. "Solange es diese Menschen nicht gibt, wird Polyamorie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung immer ein Randthema bleiben", sagt Marcel. (Nadja Kupsa, 4.4.2023)