Ein bisschen Farbe für etwas längere Jugendlichkeit.
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Pro
von Ljubiša Tošic

Die Furcht vor der Endlichkeit, dem Älter-und-runzeliger-Werden, kurzum: die Verzweiflung über die Naturgesetze unserer Existenz, treibt seltsame Blüten. Nichts jedoch ist verständlicher als der Versuch, sich gegen das Unausweichliche zu wehren.

Und überhaupt! Im Gegensatz zur Anfertigung von Schlauchbootlippen, Airbag-Wangen und der kosmetischen Installation eines Dauerlächelns, das selbst im Schlaf nicht endet, ist die Bartfärbung eigentlich eine lässliche Lügensünde, ein vergleichsweise charmantes Täuschungsmanöver, das gut aussieht. Es muss auch gestattet sein, in einer Gesellschaft, die Weißhaarigkeit als bedauernswerte Erscheinung sieht, etwas für sein Image zu tun. Schließlich ist 70 angeblich das neue 30!

Und ob im Jenseits ein Gericht wartet, das uns der Jugendlüge anklagt, ist ebenso wenig gesichert wie die sehr wackelige Behauptung, Gott würde sich seinen Bart auf keinen Fall färben. Außerdem: Der Bart an sich ist ja bereits eine allseits akzeptierte Camouflage der Wahrheit. Na also.

Kontra
von Martin Tschiderer

Gut, ich bin jetzt schon über Mitte 30. Meine Ressortleiterin betont gerne, dass das "deutlich älter" ist als sie selbst (es sind knapp zwei Jahre). Dass sie mich für diesen Text vorschlug, war jedenfalls ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl. Ja, der Zahn der Zeit hinterlässt Spuren. Die Haare werden lichter. Und die, die man noch hat, kriegen langsam die Farbe, in der man sie nicht haben will. Das gilt natürlich auch für die Behaarung im Gesicht. Als sie noch durchgehend dunkel waren, sah das irgendwie cooler aus. Aber färben?

Die Zeiten, in denen mein Barthaar wallend rauschte wie das von Ressortkollegen Fellner, sind lange vorbei. Und wie oft müsste ich meinen Sechstagebart dann bitte nachfärben? Wohl fast so oft wie Zähne putzen. Die Zeit ist knapp heutzutage, man muss Prioritäten setzen. Ganz ehrlich: dann lieber Mundhygiene. Als ich jung war, sagte ich, ich will in Würde altern. Jetzt, wo ich alt bin, weiß ich: Das sagt sich leichter, wenn man jung ist. Aber man kann es ja zumindest versuchen. Und erst wenn man noch älter ist, daran scheitern. (RONDO, 13.4.2023)