Andy Kaltenbrunner, Medienforscher vom Medienhaus Wien, kritisiert seit Jahren die Inseratenpraxis in Österreich.

Foto: Katharina Schiffl

Wenig überrascht zeigt sich Andy Kaltenbrunner, Medienforscher vom Medienhaus Wien, angesichts der aktuellen Inseratenaffäre im Interview. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz habe für die eigene Karriere mit seiner Entourage den Medieneinsatz im Boulevard-Deal erfolgreich erhöht. Warum die Boulevardmedien weit überproportional zu ihren tatsächlichen Reichweiten die wichtigsten Träger für Regierungsinformation sein sollten, könne vermutlich niemand der Entscheidungsträger erklären, so Kaltenbrunner, der permanente, transparente Aufklärung fordert.

STANDARD: Nach Wolfgang Fellners Mediengruppe Österreich geraten auch "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand und "Krone"-Herausgeber Christoph Dichand ins Visier der Justiz. Sind Sie überrascht?

Kaltenbrunner: Leider nein. Und das ist wirklich bedauerlich. Nach unseren Umfragedaten glaubte schon nach den Affären der vergangenen beiden Jahre eine Mehrheit der Bevölkerung, dass eine Mehrheit der österreichischen Medien politisch käuflich und selbst gar nicht an Aufklärung der Korruptionsaffären interessiert ist. Dabei hatte sich Österreichs Journalismus abseits des Boulevards über einige Jahrzehnte immer mehr aus dieser Umklammerung gelöst. Die systemische Verflechtung von Printmedien und Politik war in der Zweiten Republik zuerst durch die Parteizeitungen deklariert sichtbar, ab den 1960er-Jahren war der neue Zeitungsboulevard sehr symbiotisch angelegt.

Im vergangenen Jahrzehnt hatte Sebastian Kurz, in diesem Punkt ganz alte Schule, immer besser gelernt, wie der Boulevard-Deal funktioniert, und für die eigene Karriere mit seiner Entourage den Medieneinsatz erfolgreich erhöht. In manchen Momenten wird dieses furchtbare Verständnis von Medienpolitik bis zur Kenntlichkeit verzerrt, etwa wenn Nationalratspräsident Sobotka auf oe24.tv sagt, es sei ja klar: "Für jedes Inserat gibt's ein Gegengeschäft." Vielleicht war das aber jener transparente Moment, wo die Sendung "Fellner live" die eigene öffentliche Anschubfinanzierung aus Privatrundfunkförderung wert war.

STANDARD: Sowohl die "Kronen Zeitung" als auch "Heute" beteuern, dass es keinen Einfluss auf die Redaktion und die Berichterstattung gab. Ist das glaubwürdig?

Kaltenbrunner: Wenn der Chefredakteur von "Heute" sagt, dass er mit der Herausgeberin nur alle paar Monate spricht, staune ich zwar, aber glaube ihm in Kenntnis der Person, dass er persönlich auf politische Interventionen im Tagesgeschäft unwirsch reagiert. Aber diese Verstrickungen sind ja komplexe Systeme: Da gibt es die harmlose besondere Berücksichtigung in den Klatschspalten, ökonomisch wirksame Erlöse fließen allenfalls auf unverdächtigeren Nebenschienen wie Supplements und verlegerischen Sonderprodukten mit anderem Namen. Dazu kommt die Schere im Kopf der Journalistinnen und Journalisten. "Heute"-Redakteure hatten nach Gründung 2004 in ihren Verträgen einen Passus, wonach für eine Gratiszeitung eine "wohlwollende PR-Berichterstattung der jeweiligen Inserenten für den wirtschaftlichen Erfolg unerlässlich" ist.

Das war ja eigentlich ein grundehrlicher Korruptionsauftrag, der aber nach einigen Jahren, noch vor dem Wechsel von Christian Nusser von "Österreich" zu "Heute", wohl gestrichen wurde. In Köpfen und Alltag sind verlegerische Wirtschaftsinteressen dennoch gut verankert. Die Grenzen verschwimmen dann. Nehmen wir die konsequente Nähe der "Kronen Zeitung" zu Sebastian Kurz und seiner Regierung. Wenn der Kolumnist Michael Jeannée bis heute hymnische Elogen auf Kurz schreibt, dann kann ich sogar glauben, dass ihm das inzwischen ein persönliches Anliegen ist, ein Bestemm im hohen Alter.

Wenn die "Kronen Zeitung" den Launch des unsäglichen "Kaufhaus Österreich"-Webportals der Wirtschaftsministerin Ende 2020 mit Print-Coverstory und Online-Hymnen geradezu feiert – und es folgen in nächster Zeit in besonderer Dichte Inserate des Wirtschaftsministeriums im Blatt, dann bin ich aber ein Schelm, der Böses dabei denkt. Natürlich wächst durch solche Geschäfte die Skepsis gegenüber der Unabhängigkeit von Journalismus schlechthin. Das ist fatal für die immer noch überwiegende Mehrheit der seriös arbeitenden Journalisten, vor allem jene jüngere Generation mit hoher Professionalität, die, anders als der junge Altkanzler, diese jahrzehntelange Verstrickung gar nicht mehr in den Genen hat.

STANDARD: Die Inseratenausgaben des Finanzministeriums sind seit dem Jahr 2017 sprunghaft gestiegen. Hauptprofiteure waren die Boulevardmedien "Kronen Zeitung", "Österreich" und "Heute". Lässt sich das mit normalem Kampagnenmanagement erklären?

Kaltenbrunner: Gar nicht. Warum just die Boulevardmedien, vor allem die Gratiszeitungen, weit überproportional zu ihren tatsächlichen Reichweiten die wichtigsten Träger für Regierungsinformation sein sollten, kann vermutlich niemand der Entscheidungsträger erklären. Deswegen erklärt es ja auch keiner. Es werden bisher Titel privilegiert, die nach allen qualitativen Studien just jene sind, die die geringsten Vertrauenswerte und wenig echte Publikumsbindung haben. Bei den millionenschweren Covid-Kampagnen der Regierung war diese besondere Boulevardstreuung also wohl sogar in der Sache kontraproduktiv und hat der Glaubwürdigkeit der Impfkampagnen vermutlich mehr geschadet als genützt.

STANDARD: Ihre Werbegelder-pro-Leser-Aufschlüsselung im Rahmen der Studie "Scheinbar transparent" dokumentiert, dass die Werbegelder der Bundesregierung nicht nach Reichweite vergeben wurden, wenn etwa "Österreich" im Jahr 2020 pro Leser/Leserin 8,22 Euro erhielt, während es beim STANDARD nur 2,43 Euro waren. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

Kaltenbrunner: Eine Hypothese wäre: Besonders wichtig war den Kabinetten Kurz I und Kurz II eben die Nähe zu Medien, wo es mehr Hoffnung auf einen individuellen Return of Investment gibt. Die Medienanalyse vieler Politiker beschränkt sich ja darauf, zu sehen, ob man selbst ein- oder zweispaltig im Bild ist. Ein Chat eines engen Büromitarbeiters an Finanzminister Löger verweist Anfang 2019 darauf, dass man "mit üppigen Werbebudgets" dem Minister "viel Wohlwollen für persönliche Zwecke" sichern könne. Eine zweite Hypothese wäre, dass ganz bewusst ökonomisch in den Markt eingegriffen wird, um Journalismus, der einem ideologisch nicht passt oder mit unabhängigem Selbstverständnis einer vierten Gewalt ständig auf die Nerven geht, durch gezielte Streuung von öffentlichem Geld ruinieren oder zumindest kleinhalten will. Eine dritte Hypothese ist, dass manche Medieneigentümer eben viel Druck auf Politik machen und allenfalls sogar mit Drohungen Inserate akquirieren. Suchen Sie es sich aus, welche Annahmen unsympathischer und welche demokratiepolitisch gefährlicher sind. In schlimmsten Fällen treffen alle drei gleichzeitig zu. Die aktuell bekannt gewordenen Chats von Eva Dichand mit Thomas Schmid weisen darauf hin.

STANDARD: Kauft sich die Politik über Inseratengelder wohlwollende Berichterstattung? Wie ließe sich das verhindern?

Kaltenbrunner: Durch permanente, transparente Aufklärung. Der Fluss öffentlicher Mittel im Mediensektor muss für jedermann nachvollziehbar sein. Die Diskussion, wie Journalismus finanziert wird, muss für möglichst viele Menschen nachvollziehbar sein. Medienpolitik ist seit Jahrzehnten aber ein diskretes Elitenthema. Lange hieß es deswegen flapsig: Medienpolitik wird in Österreich nicht gemacht, sie ereignet sich. Es hieß außerdem: Medienpolitik wird im Extrazimmer der Bristol-Bar gemacht, weil dort "Krone"-Gründer Hans Dichand Hof hielt und Politiker empfing. In dieser Tradition stehen auch die jetzige Medienministerin und die nächste Generation der Boulevardeigentümer, die sich der öffentlichen Diskussion persönlich weitgehend entziehen und ihre Geschäfte lieber in einer Grauzone abwickeln wollen. Dass wir manches davon jetzt in Chats nachlesen können, ist neu und war nicht vorgesehen.

STANDARD: Die schwarz-grüne Regierung überarbeitet das Medientransparenzgesetz. Die Bagatellgrenze von 5.000 Euro fällt, Beilagen sind künftig auch erfasst. Geht das in die richtige Richtung?

Kaltenbrunner: Das wird einige Schlupflöcher schließen und ein paar Schlitzohrigkeiten zur Umgehung der Meldepflicht beenden. Nach unseren Studien wurden ja etwa 20 bis 30 Prozent der tatsächlichen Inseratenzahlungen mit allerlei Tricks erst gar nicht gemeldet. Diese Richtung stimmt also. Als einen echten Fortschritt kommentiere ich es erst dann, wenn bei den großen Kampagnen für jeden nachvollziehbar etwas zu Kommunikationszielen, Zielgruppen und Auswirkungen berichtet wird und wo um wie viel Geld deswegen gebucht wird. Die Stadt Wien, der mit Abstand größte Inserent der Bundesländer, macht das inzwischen in einem jährlichen Bericht zur Stadtkommunikation. Das würde ich mir als Mindeststandard bei allen öffentlichen Großinserenten erwarten.

Falls das neue Transparenzgesetz wirkt, könnte uns dann also das Finanzministerium zeitnah und schlüssig erklären, welchen Informationszweck es verfolgt, wenn es um hunderttausende Euros eine Steuerreform als "größtes Entlastungspaket aller Zeiten" bewirbt, aber in den Inseraten sachlich nichts dazu erklärt. Das Innenministerium wiederum könnte uns vielleicht sogar nachträglich erläutern, warum dort über Jahre, etwa unter den Ministern Sobotka und Nehammer, sogar mehr als 80 Prozent der Ausgaben für Zeitungsinserate an "Krone", "Heute" und "Österreich" gingen.

STANDARD: Ein Deckel für Werbeausgaben pro Kopf – wie diskutiert und von den Grünen gefordert – kommt nicht. Wären Sie dafür gewesen?

Kaltenbrunner: Ja, durchaus. Dafür gibt es aber keine eindeutige Formel. Und in Momenten von Krisen mit besonderem Informationsbedarf etwa kann das auch flexibel sein. Aber derzeit sind die Inserate verkappte Medienförderungen in einer "Boulevard-Demokratie", wie der Politologe Fritz Plasser Österreich schon vor Jahrzehnten so zutreffend genannt hat. Es gäbe auch andere sinnvolle Restriktionen nach internationalen Vorbildern. In Deutschland darf seit den 1970er-Jahren in den Monaten vor Wahlen nicht mehr von Regierungsstellen inseriert werden. Das wurde damals vom Verfassungsgericht als versteckte Parteienwerbung der jeweiligen Amtsinhaber mit Steuermitteln gesehen. In Österreich sehen wir aber jeweils vor Wahlen auch weiterhin die höchsten Inseratenausgaben von Bundes- und Landesregierungen.

STANDARD: Im Vergleich mit Deutschland oder anderen europäischen Ländern: Wie steht die österreichische Regierung bei den Inseratenausgaben da?

Kaltenbrunner: Mit der Nase weit vorn. Natürlich sind Systeme international auch durch Forschung nie perfekt vergleichbar, weil staatliche Strukturen und öffentliche Unternehmen unterschiedlich organisiert sind. Aber nehmen wir alles in allem und den häufigen Vergleich mit Deutschland: Über die Jahre betrachtet fließt für Inserate in Österreich pro Kopf wohl fünf- bis zehnmal so viel Geld wie bei den Nachbarn. Wenn man deutschen Kollegen aus Forschung oder Medien sagt, dass die öffentliche Hand zwei bis drei Milliarden Euro für Inserate ausgeben müsste, um mit Österreich mitzuhalten, bleibt ihnen zuerst einmal die Spucke weg.

STANDARD: Könnte die Branche jetzt durch einen Reinigungsprozess gehen, der am Ende ein Mehr an Transparenz bringt?

Kaltenbrunner: Das wäre jedenfalls zu hoffen und neben vielerlei weiteren Maßnahmen notwendig, um Schritt für Schritt wieder mehr öffentliches Vertrauen in Journalismus herzustellen. Es ist ja in demokratischen Systemen weiterhin so, dass der wichtigste Partner von unabhängigen Medien das Publikum ist. Die Allianz mit Politik und zu viel Abhängigkeit von öffentlichem Geld ist nicht nur für die Qualität des Journalismus schlecht, sondern rettet langfristig auch die Medien nicht. Speziell eine auf Eigenerlös bedachte engstirnige Medienpolitik von Parteien und Personen lässt ganz rasch jene fallen, die ihr nichts mehr nützen. Wir sehen auch aus diesem Grund laufend das Ende von Medientiteln. Das Motto der "Washington Post" lautet: Demokratie stirbt im Dunkeln. In Österreich dämmert es schon ziemlich.

STANDARD: Viele Medien sind auf Inserate öffentlicher Stellen aber angewiesen, sonst wären sie defizitär. Wie kommt man aus dieser Spirale heraus? Über eine deutlich höhere Medienförderung?

Kaltenbrunner: Tatsächlich ist es inzwischen so, dass wohl die Hälfte der derzeitigen österreichischen Tageszeitungen und ihrer Verlage bei Wegfall von öffentlichen Inseraten und Förderungen ganz unmittelbar zusperren müsste. Eine wirklich transparente Medienförderung, deutlich höher dotiert als bisher, kann Exodus dort verhindern, wo es einen gesellschaftlichen Bedarf und eine nachhaltige Perspektive gibt. Das braucht aber nachvollziehbare, qualitative Ziele, regierungsunabhängige Evaluierung und transparente Darstellung des Einsatzes der Steuermittel. Die jüngsten, schon deutlich höheren Förderungen missachten das erneut: Bei jenen mehr als 70 Millionen Euro, die für "digitale Transformation" seit Herbst 2022 ausgeschüttet wurden und die de facto nur Traditionshäusern zugutekamen, gibt es keine Information, was genau damit gefördert wird. In der RTR-Datenbank werden dazu nur Überschriften dargestellt.

Wir können nur raten, welche "Conversion Strategy" der Mediengruppe Österreich 396.000 Euro Steuergeld wert ist oder was hinter "Heute Premium" steckt, das 430.000 Euro Förderung bekommt. derStandard.at hat immerhin freiwillig in seinem Transparenzblog berichtet, wie solche "Transformationsförderungen" für den STANDARD verwendet werden sollen. Solche Darstellung braucht es aber verpflichtend, einheitlich, überprüfbar, für alle. Erst dann können wir feststellen: Welchen Nutzen hatten diese 70 Millionen Euro für eine Verbesserung unserer gesellschaftlichen Kommunikation? Politik muss zudem die Frage beantworten, warum innovative, journalistische Projekte, digitale Medien-Start-ups, neue Netzwerke mit kritischem Rechercheinteresse auf nationaler Ebene fast gar nicht finanziell gefördert werden. Es braucht also viel mehr Förderung statt Inseraten. Es ist aber demokratiepolitisch eine nächste Niederlage, wenn wir intransparente Inseratenzahlungen durch intransparente Medienförderungen ersetzen. (Oliver Mark, 5.4.2023)