Verlegerin Eva Dichand mit (dem späteren) Ex-Kanzler Sebastian Kurz im Jahr 2014: Unter Kurz versuchte das Finanzministerium, das Stiftungsrecht im Sinne der Stifter zu reformieren – und scheiterte schließlich an Ibiza.

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Wir schreiben das Jahr 1993. Die Wende in Osteuropa ist soeben vollzogen, die Globalisierung nimmt Fahrt auf. Die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchen Ländern Unternehmen ihren Sitz haben und Anleger ihr Geld parken, wird für die Politik von immer höherer Bedeutung.

In diesem Jahr verabschiedet in Österreich die damalige Regierung unter Franz Vranitzky (SPÖ) das Privatstiftungsgesetz (PSG). Privatstiftungen, das sind äußerst praktische Vehikel für vermögende Menschen, die dazu dienen sollen, deren Vermögen langfristig zu sichern und gemäß deren Willen zu verwenden. Die Einführung des PSG in Österreich soll dazu beitragen, dass große Familienvermögen, häufig Unternehmensanteile, stabil in Österreich verwaltet werden – statt etwa in die Hände internationaler Investoren geraten, die möglicherweise schnelle Profite damit machen wollen.

Politische Debatten ohne Ende

Doch was im Jahr 1993 gut gemeint war, sorgt heute für intensive politische Debatten. Aktuell kochen sie wegen der Causa Eva Dichand wieder hoch. Laut neuen Ermittlungen der WKStA soll die "Heute"-Herausgeberin in den vergangenen Jahren hinter den Kulissen massiv für ein neues Stiftungsrecht lobbyiert haben. Das behauptet zumindest Thomas Schmid, einst Generalsekretär im Finanzministerium und mit Dichand freundschaftlich verbunden. In einer Selbstanzeige äußerte sich Schmid, der Kronzeuge werden will, schon vergangenen August zum "Faktum Stiftungen": Dichand und ihre "angeblichen Freunde", wie Schmid sie nennt, hätten Folgendes erreichen wollen: "mehr Flexibilität (…), weniger Transparenz (…) und die Möglichkeit, eine Stiftung zu vergünstigten Steuersätzen aufzulösen".

Für "stifterfreundliche" Reformen und mehr Inserate in "Krone" und "Heute" habe Dichand unter anderem Schmid einen "immateriellen Vorteil, nämlich eine ‘wohlwollende’, parteiische Berichterstattung" versprochen, behauptet Schmid. Dichand kommentiert die Vorwürfe auf Twitter als "FALSCH", in Großbuchstaben.

"Stifterfreundliche Reformen"

Worum geht es genau beim Konflikt um Stiftungen? Warum sind sie mutmaßlich Gegenstand von derart intensivem Lobbying? Dazu muss man wissen, dass Privatstiftungen strenggenommen Konstrukte ohne Eigentümer sind. Ein Stifter überträgt Vermögen an die Stiftung, die von einem Vorstand gemäß einer Stiftungsurkunde verwaltet und veranlagt wird. Der Stifter – oder andere Begünstigte, die er bestimmt – lukrieren danach Profite aus dem Konstrukt. Ansonsten haben sie aber keine Mitspracherechte und keine Verfügungsgewalt mehr.

Das erklärte Ziel der österreichischen Stifterlobby lautet, dies zu ändern. Es brauche "gesetzlich verankerte Mitwirkungsbefugnisse der Stifterfamilie als wirtschaftlich Interessierte" sowie "echte Kontroll- und Zustimmungsrechte", liest man auf der Website des Verbands der österreichischen Privatstiftungen (VÖP).

Geplante Gesetzesänderung 2017

Auf politischer Ebene fand einer der letzten Versuche, die Stiftungen zu reformieren, im Jahr 2017 statt, am Ende der Regierung Christian Kerns (SPÖ). Der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) legte einen Vorschlag vor, der durchaus eine Stärkung der Stifterfamilien vorsah. Allerdings ging er in den Augen vieler Kritiker aus dem Umfeld der Stifter nicht annähernd weit genug. Dazu kamen Pläne weitreichender Transparenzverpflichtungen, etwa ein Aufsichtsorgan für Stiftungen – was den Stiftern gehörig gegen den Strich ging.

Der Hintergrund, wie jemand aus Brandstetters damaligem Team erzählt: Brandstetter habe noch ein paar Projekte mit der SPÖ durchbringen und da auch das Stiftungsgesetz mitnehmen wollen.

Bei Dichand stieß der Entwurf – glaubt man Thomas Schmid – ganz und gar nicht auf Gegenliebe. Laut Schmid hatte die Verlegerin bereits seit dem Jahr 2015 Wünsche in Richtung einer Gesetzesnovelle geäußert. Als diese schließlich 2017 vorlag und nicht in Dichands Sinn ausfiel, habe Dichand "Terror" bei ihm gemacht, so Schmid.

"Hoffe, sehr negativ"

Schmid soll damals zu einer Notlösung gegriffen haben: So gab das Finanzministerium eine negative Stellungnahme zum Entwurf aus dem Justizministerium ab, obwohl es selbst daran mitgearbeitet hatte. "Hoffe, sehr negativ", soll Dichand diesen Plan per Chatnachricht kommentiert haben.

Tatsächlich findet sich diese Stellungnahme des Finanzministeriums auf der Parlamentswebseite. Darin heißt es, die Novelle werde dem Ziel, eine "Versteinerung des Stiftungsvermögens" zu bekämpfen, "nicht ausreichend gerecht". Die Maßnahmen seien "lediglich Stückwerk".

Doch als bald darauf die Regierung Kern infolge des Aufstiegs von Sebastian Kurz (ÖVP) zerfiel, hatte sich die umstrittene Reform der Privatstiftungen ohnehin erledigt. Zumindest vorerst.

Neuer Versuch unter Türkis-Blau

Denn bald darauf, unter der türkis-blauen Regierung, wurde sie wieder Thema. Nun lag die Initiative nicht mehr beim Justiz-, sondern beim Finanzministerium unter Hartwig Löger (ÖVP). Das zeigen Unterlagen und E-Mails aus dem Finanzministerium, dem Justizministerium und dem Ermittlungsakt, die dem STANDARD vorliegen. Dichand und Schmid waren demnach zwei von vielen Involvierten.

"Ich hab’s gerochen", beklagte sich Georg Kathrein, Sektionschef im Justizministerium, im April 2018 bei seinem Stellvertreter in Bezug auf diese geplante Reform. "Diese Reform fehlt uns noch zu unserem Glück", antwortet der tags darauf sarkastisch.

Stifter legen sich ins Zeug

Im Hintergrund wurde offenbar fleißig gekurbelt: So ging im Februar 2018 eine E-Mail einer Anwältin der Familie Glock bei Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) ein. Sie erinnerte die beiden Regierungsmitglieder an deren "Werkbesuch" bei Waffenhersteller Glock in Ferlach und die dort geführten Gespräche über das Stiftungsrecht. Die im Namen der Glocks geäußerten Ideen: eine Stärkung der Stellung des Stifters und die durchaus bemerkenswerte Forderung nach einer "vierten Instanz" über dem Obersten Gerichtshof (OGH), um dessen "krasse Fehlentscheidungen" zu korrigieren.

Auch die Anwältin Cattina Leitner, Ehefrau von Andritz-Chef Wolfgang Leitner und Präsidentin des Stiftungsverbands, glaubte offenbar an ein neues Stiftungsgesetz 2018. Das berichtete zumindest eine Justizbeamtin, die Leitner getroffen hatte, ihren Kollegen.

"Stifterpapier" und "Stifterfrühstück"

Tatsächlich wurde im Finanzministerium, in dem damals Schmid nahezu als Schattenminister galt, intensiv gearbeitet: Es kursierte ein "Stiftungspapier", und im Mai 2018 trugen Stifter wie das Ehepaar Dichand, Cattina Leitner, Stanislaus Turnauer, Franz Mayr-Melnhof oder Peter Mitterbauer ihre Vorschläge bei einem "Stifterfrühstück" direkt bei Finanzminister Löger vor.

In einem "Problemaufriss" des Finanzministeriums, der im Juli 2018 intern verschickt wurde, dürften sich die Wünsche der Stifter durchaus niedergeschlagen haben.

"Keine Gesetzesänderung angedacht"

Zurück zu den Beamten im Justizministerium, damals unter Josef Moser (ÖVP), die der geplanten Reform kritisch gegenüberstanden: Ihre Stimmung besserte sich im Lauf der Monate kaum. Aus dem "Kurier" erfuhren sie, dass die Stiftungsrechtsnovelle 2020 gemeinsam mit der geplanten Steuerreform kommen soll. "Liebe alle, ich zeige auch das nur, damit wir wenigstens aus der Zeitung informiert werden", schrieb eine Beamtin.

Zur Umsetzung all dessen jedoch sollte es bekanntermaßen nicht mehr kommen: Im Mai 2019 erschien das Ibiza-Video, mit Türkis-Blau war es vorbei. Die Übergangsregierung wollte danach keine großen Gesetzesvorhaben umsetzen. Die Grünen wiederum als Juniorpartner der ÖVP in der Regierung ab 2020 waren für eine Reform im Sinne der Stifter später nicht mehr zu haben.

Das gilt bis heute. Eine Gesetzesänderung sei derzeit "nicht angedacht", heißt es auf STANDARD-Anfrage aus dem Justizministerium unter Alma Zadić (Grüne). (Joseph Gepp, Fabian Schmid, 4.4.2023)