Eine gespenstische Szene, erhalten auf historischem Zelluloid: Adolf Hitler zu Gast bei Gönnerin Winifred Wagner mit einem Tässchen Kaffee in der Hand, den kleinen Finger abgespreizt. Der Massenmörder und Richard Wagners Schwiegertochter, sie bilden zusammen ein makabres Idyll. Hitler war Wagners furchtbarster Fan, doch Winifred verdrängte bewusst "alles, was ins Dunkle geht bei ihm – ich weiß, dass es existiert, aber für mich existiert es nicht". So ihr O-Ton in einer Dokumentation Hans-Jürgen Syberbergs von 1975.
Der aus Israel stammende Choreograf Emanuel Gat (54) ist tief in die Voraussetzungen für dieses Wahnverhältnis eingedrungen und hat daraus ein Tanzstück destilliert, das jetzt unter dem Titel Träume bei den Osterfestspielen Salzburg in der Felsenreitschule uraufgeführt wird.
Gattin Mathilde
Wagner, der Revoluzzer von 1848/1849, floh nach Zürich, wo er beim Kaufmann Otto Wesendonck und dessen Gattin Mathilde Unterschlupf fand. Wagner und Frau Wesendonck entwickelten ein Faible füreinander. So kam es, dass Mathilde fünf Poeme schrieb, die der Komponist vertonte. Diese berühmt gewordenen Wesendonck-Lieder von 1857/58 bilden den Klangraum für Gats Träume.
In einer Schlüsselpassage heißt es: "Träume, wie wenn Frühlingssonne / Aus dem Schnee die Blüten küsst, … / Dass sie wachsen, dass sie blühen, … / Sanft an deiner Brust verglühen, / Und dann sinken in die Gruft." Im Stück sind diese Worte neben Passagen aus Wagners Pamphlet Die Kunst und die Revolution zu hören. Sie berühren den bekannten heiklen Punkt: Musik wirkt äußerst unmittelbar auf Körpergefühle ein, sodass Letztere zu Gefühlen von Rausch und Macht anschwellen können. In Verbindung mit politischen Ideologien wird das immer wieder missbraucht.
Klanglicher Übergriff
Für Gat, der ursprünglich Dirigent werden wollte, spielt dieses Machtgefühl eine wichtige Rolle. Er streicht hervor, dass Richard Wagner ausdrücklich über seine "Lust" berichtete, "künstlerischen Terrorismus auszuüben". Nicht ohne Grund ist bereits viel über die klangliche Gewalttätigkeit des Komponisten geschrieben worden. Ein solches Pathos lässt sich mit Tanz hervorragend konterkarieren.
Nikolaus Bachler traf eine gute Entscheidung, als er beschloss, "seine" ersten Osterfestspiele um zeitgenössische Choreografie zu bereichern. Ein gutes Dutzend Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Emanuel Gat Dance aus Frankreich träumen den akustischen Schwellkörper Wagner: in Upcycling-Kostümen von Thomas Bradley zu einer Wesendonck-Lieder-Aufnahme des Deutschen Symphonieorchesters Berlin unter Dietrich Fischer-Dieskau mit der Sopranstimme von Julia Varady. (Helmut Ploebst, 5.4.2023)