Angekündigte Unruhen finden nicht statt – und die 35.000 zum Dienst eingeteilten uniformierten Polizisten und Polizistinnen der Stadt New York mussten daher auch keine wilden Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern von Donald Trump in den Griff bekommen. Was allerdings wie angekündigt eingetreten ist: Der ehemalige US-Präsident ist am Dienstag vor Gericht erschienen und musste sich die Verlesung einer Anklageschrift anhören, in der ihm Vergehen bzw. Verbrechen in 34 Punkten zu Last gelegt werden.

Finstere Gesichter auf der Anklagebank, besonders bei Donald Trump.
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Das war ein historisches Ereignis: Noch nie in der Geschichte der USA kam es formell zu einer Anklage gegen einen amtierenden oder ehemaligen Präsidenten. Trump erklärte sich in allen 34 Anklagepunkten "nicht schuldig".

Schweigegeld

Die Anklage steht im Zusammenhang mit einer Schweigegeld-Zahlung an die Pornodarstellerin Stormy Daniels (Zivilname: Stephanie Clifford) kurz vor der Wahl 2016. Aber laut Schriftstück sollen substanzielle Schweigegeldzahlungen auch an mindestens zwei weitere Personen ergangen sein.

Der Gerichtstermin dauerte rund eine Stunde. Zu Beginn wurde Trump erkennungsdienstlich behandelt, er musste seine Fingerabdrücke abgeben, Polizeifoto ("mug shot") wurde aber keines gemacht. Er wurde auch nicht in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Allerdings war Trump während dieser Zeit im Gerichtsgebäude auch kein freier Mann, sondern formell in Gewahrsam der US-Justiz.

Gegen 15.30 Uhr Ortszeit (21.30 Uhr MESZ) verließ Trump das Gerichtsgebäude wieder, stieg in einen schwarzen SUV und fuhr in einem Konvoi des Secret Service (dieser beschützt aktive und vormalige Präsidenten) zum Flughafen La Guardia, um sofort nach Florida zurückzukehren. Dort – in seinem Luxus-Anwesen Mar-a-Lago – wollte er um zirka 20.15 Uhr Ortszeit (Mittwoch 02.15 MESZ) eine Rede vor geladenen Freunden und Fans halten. Es wurde erwartet, dass er die Ereignisse des Tages zu seinen Gunsten umdeuten und wieder in den Wahlkampfmodus wechseln würde.

Nächster Termin am 4. Dezember

Richter Juan Merchan setzte den nächsten Gerichtstermin für 4. Dezember 2023 an, die Hauptverhandlung könnte dann im Jänner 2024 beginnen und so mit dem Start der US-Präsidentschaftsvorwahlen zusammenfallen. Für Trump ist dieses Zeitplan ein mittleres Desaster, da er sich bei den Vorwahlen gegen mindestens zwei parteiinterne Widersacher durchsetzen muss, die sich zu 100 Prozent auf den Vorwahlkampf konzentrieren müssen, während er seine Zeit und Energie auf Wahlkampf und Prozess verwenden muss.

In den langen Minuten vor Gericht war Donald Trump de jure und de facto kein freier US-Bürger.
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Medienberichten zufolge fuhr die Anklage in Person von Staatsanwalt Alvin Bragg bei der Anklageverlesung schwere Geschütze gegen Trump auf. So wurden dem Gericht aktuelle Social-Media-Posts des Ex-Präsidenten vorgelegt, die zeigen sollen, dass Trump seine Gegner einschüchtern wolle. Zentraler Vorwurf der Staatsanwaltschaft ist, dass Trump mit den Schweigegeldzahlungen die Wahl 2016 beeinflussen wollte. Den Wählern sollten mit den Zahlungen an Stormy Daniels und zwei weitere Personen nämlich negative Informationen über den Kandidaten vorenthalten werden. "Wir können nicht zulassen, dass New Yorker Unternehmen ihre Aufzeichnungen manipulieren, um kriminelles Verhalten zu vertuschen", betonte Staatsanwalt Bragg.

Empörte Verteidiger

Trumps Anwälte wiesen die Vorwürfe zurück. "Es ist traurig, und wir werden dagegen ankämpfen", sagte einer seiner Anwälte, Todd Blanche, nach der Anklageverlesung. In der Anklage "stehen keine Fakten drin", so Blanche. Trump sei "frustriert", "verärgert", aber auch "motiviert", beschrieb er den Gemütszustand seines Mandanten. Ein Prozess und eine potenzielle Verurteilung in dem New Yorker Fall könnten Trumps Pläne für eine erneute Präsidentschaftskandidatur allenfalls in politischer Sicht beeinträchtigen. Rein rechtlich dagegen dürfte Trump theoretisch auch als verurteilter Straftäter bei der Wahl 2024 antreten, wie Rechtsexperten betonen.

So hart wie in Berichten involvierter Personen im Gerichtssaal wirkt die Anklageschrift aber tatsächlich nicht. Mehrere Expertinnen und Experten bezeichneten sie in Kommentaren als vergleichsweise "dünn" und wenig substanziell. Auch der zuvor Tatbestand der mutmaßlichen Verschwörung finde sich nicht drin. Wie fundiert sie tatsächlich ist, wird sich spätestens in der Hauptverhandlung herausstellen. Sollte Bragg damit keinen Erfolg haben, wäre das wohl nicht nur für seine Karriere ein Rückschlag, sondern auch für die US-Justiz als solche: Denn sie hat noch mehrere weitere Verfahren gegen Trump in Vorbereitung. Ein Freispruch für Trump wäre für diesen eine Einladung, wüst und hemmungslos auf den Justizapparat loszugehen.

Gelassener Biden

Der Gerichtstermin fand am Dienstag auf Wunsch der Verteidigung ohne Live-Fernsehberichterstattung statt. Lediglich einige Fotografen konnten zu Beginn des Termins Fotos machen, mussten den Saal aber schon nach wenigen Minuten wieder verlassen. Auf den Fotos mach Trump einen überaus ernsten Eindruck. Er ließ sich auch nicht zu Statements vor den Kameras der vor dem Gerichtssaal wartenden TV-Stationen hinreißen. Eine Gelegenheit, die er sich sonst kaum entgehen lassen würde.

Betont gelassen ließ Trumps Nachfolger, US-Präsident Joe Biden, den Gerichtstermin kommentieren. Die Anklage gegen Trumps sei "nichts, worauf er einen Fokus legt", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. Biden konzentriere sich lieber auf das amerikanische Volk und wolle sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern. (Gianluca Wallisch, Reuters, 4.4.2023)