Diese Schneckenhäuser weisen keine natürlichen Beschädigungen auf, sondern wurden bewusst angebohrt.
Foto: Marjolein D. Bosch / ÖAW

Muscheln und Schneckenhäuser auf Stränden weisen oft markante Löcher auf, die vom Abrieb durch die Umgebung stammen. Doch manchmal werden solche Schalen von Meerestieren auch bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt. Weisen diese Funde ebenfalls Löcher auf, stellt sich die Frage, ob sie natürlichen Ursprungs sind. Die Archäozoologin Marjolein D. Bosch von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konnte nun bei bei Schneckenhäusern aus einem 45.000 Jahre alten Fund im Libanon nachweisen, dass die dort gefundenen Löcher mit Absicht in die Schalen getrieben wurden, um sie als Schmuck zu tragen

Der archäologische Fundplatz Ksâr 'Akil in der Nähe von Beirut mit steinzeitlichen Besiedlungsschichten wird seit rund 100 Jahren erforscht. Forschende entdeckten im Boden unter einem riesigen Felsüberhang zahlreiche Steinwerkzeuge und Gehäuse von Meeresschnecken. Letztere wurden als Überreste von Schmuck gedeutet, wissenschaftliche Belege dafür fehlten bisher aber.

Vergleich mit verwandter Schneckenart

Marjolein Bosch vom Österreichischen Archäologischen Institut der Akademie wollte herausfinden, ob die mehr als 400 dort gefundenen, rund 45.000 Jahre alten Gehäuse einer Meeresschnecke der Art Columbella rustica bewusst perforiert worden waren, um aus ihnen Schmuck herzustellen. Für einen Vergleich sammelte die Wissenschafterin an einem Strand in Teneriffa Muscheln einer nahe verwandten Schneckenart, die jenen von Ksâr 'Akil sehr ähnlich sind – vor allem bezüglich der Verteilungsmuster der Schalendicke.

Die Forscherin Marjolein Bosch fand auf Teneriffa Vergleichsobjekte zu den Schneckenhäusern aus der Ausgrabung im Libanon.
Foto: Philip Nigst

Das Team untersuchte zunächst unversehrte Gehäuse mithilfe von Mikro-CT-Scans auf robuste und zerbrechliche Zonen. "Im Anschluss haben wir 3D-Modelle angefertigt, die die genaue Struktur der verschiedenen bis zu zwei Zentimeter großen Gehäuse zeigten, also wo diese dünner oder dicker waren", sagt Bosch in einer Aussendung der ÖAW.

Ausgehend davon konnte sie erfassen, an welchen Stellen sich bei den Schneckenhäusern aus Teneriffa und jenen aus dem archäologischen Fund Löcher befanden. "Bei den von mir gesammelten Gehäusen vom Strand trat die überwiegende Mehrheit der Perforationen in strukturschwachen Zonen auf", so Bosch. Bei den archäologischen Funden lagen die Löcher dagegen häufiger in robusteren Zonen. Zudem waren Größe und Form der Perforationen einheitlicher als bei den gesammelten Gehäusen.

"Aus der Form der Löcher und der Beschaffenheit der Lochränder schließen wir, dass sie mit einer indirekten Schlagtechnik hergestellt wurden", erklärt Bosch. Dazu werde ein scharfes Werkzeug, etwa eine Knochen- oder Steinwerkzeugspitze, auf das Gehäuse gesetzt und dann mit einem Stein darauf geschlagen.

Die Archäozoologin zieht daher in ihrer im "Journal of Archaeological Science Reports" veröffentlichten Arbeit den Schluss, dass die Gehäuse der Meeresschnecken einerseits bewusst ausgewählt und andererseits im Zuge eines geplanten Herstellungsprozesses perforiert wurden. "Diese Meeresschnecken sind zu klein, um sie zu essen, sie wurden also aus anderen Gründen gesammelt und an die Fundstelle gebracht", betont Bosch.

Ein Infrarotbild zeigt die Dicke der Schneckenhäuser. Natürliche Beschädigungen finden sich meist an Schwächezonen.
Bild: Marjolein D. Bosch/ÖAW

Standardisierter Prozess

Größe und Verteilung der Löcher sind für sie "Beweise für einen standardisierten Herstellungsprozess". So sei die bevorzugte Stelle für Löcher auf der Rückseite des Gehäuses "ideal für die Aufhängung, und zwar wegen ihrer Position im Verhältnis zur natürlichen Öffnung der Schale. Man könnte leicht eine Schnur durch diese Öffnung und dann durch das Loch führen und sie entweder als Halskette aufhängen oder sie an Kleidungsstücke binden", sagt die Expertin.

Bosch vermutet eine symbolisierte Bedeutung der Gehäuse der Meeresschnecken, wie eine Art gemeinsame Sprache. Denkbar sei eine Signalwirkung, etwa über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sagt Bosch: "Man zeigt mit Schmuck an, woher man kommt und wohin man gehört." (APA, red, 5.4.2023)