Wolodymyr Selenskyj und Andrzej Duda im Warschauer Präsidentenpalast.

Foto: EPA/Radek Pietruszka

"Ich bin Polen sehr dankbar für all die Hilfe, die wir in diesem furchtbaren Krieg von euch erhalten haben", sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj immer wieder in Polens Hauptstadt Warschau. Es ist seine dritte offizielle Auslandsreise nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die erste führte ihn nach Washington, die zweite nach London, Paris und Brüssel, und nun also nach Warschau. "Am dankbarsten bin ich euch für eure große Unterstützung für unseren geplanten EU-Beitritt. Denn mit den Werten der EU verbinden wir unsere Zukunft."

Polens Präsident Andrzej Duda betont auf Nachfragen von Journalisten die große militärische Hilfe, Polen befinde sich an dritter Stelle der Geberländer – nach den USA und Großbritannien. "Aktuell bereiten wir die Übergabe von weiteren vier MiG-29-Kampfflugzeugen vor, vier haben wir bereits in den letzten Monaten geschickt. Acht weitere überarbeiten wir zurzeit." Diese würden übergeben werden, sobald die bereits bestellten amerikanischen F35-Kampfjets in Polen eingetroffen seien. Im Grunde könne die Ukraine die gesamte verbliebene MiG-29-Flotte erhalten. Allerdings habe Polen diese mit amerikanischer Technik modernisiert, wofür die USA noch ihr formelles Okay geben müssten. Ursprünglich besaß Polen insgesamt 28 MiG-Flugzeuge.

Dank auch an die Bevölkerung

Selenskyj dankt auch den Polinnen und Polen, die die ukrainischen Geflüchteten mit offenen Armen und großer Herzlichkeit aufgenommen hätten. "Wir wissen", sagt er, "dass Russland über die nächsten Länder herfallen wird, sollte die Ukraine fallen. Doch wir werden weder unsere Unabhängigkeit aufgeben noch unsere Freiheit, unsere Kinder und auch keinen Meter unseres Territoriums." Den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg werde man gemeinsam mit den polnischen Freunden meistern. Er lade die Polen schon heute zur Zusammenarbeit ein.

Schon am Morgen hatte Duda Selenskyj die höchste polnische Auszeichnung verliehen, den Orden des Weißen Adlers. Der ukrainische Präsident erhalte den Orden für seine Verdienste um die Vertiefung der polnisch-ukrainischen Beziehungen, seinen Einsatz für die Sicherheit sowie für die Verteidigung der Menschenrechte, so Duda in seiner Würdigung.

Stimmung kippt

Selenskyj kommt in einem kritischen Moment nach Polen. Denn die Stimmung in dem Nachbarland, dessen Bürger seit dem Überfall Putins der Ukraine solidarisch Hilfe leisteten, ist im Kippen. Zwar hat die Regierung in Warschau schon vor Monaten die meisten Hilfszahlungen an ukrainische Geflüchtete eingestellt, doch immer mehr Polen haben das Gefühl, deren Hilfsbereitschaft werde ausgenutzt.

Auf dem Land formiert sich sogar schon Widerstand. Denn die Idee der Europäischen Kommission, das ukrainische Getreide, das normalerweise über die Schwarzmeer-Häfen nach Asien und Afrika exportiert wird, per Bahn durch die EU zu schleusen und dann über EU-Häfen an ihren Bestimmungsort zu transportieren, war zwar gut, aber nicht zu Ende gedacht. Denn Polens Häfen haben gar nicht die Verladekapazitäten für zusätzliche Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine, die nun zum großen Teil in polnischen Silos liegen und zu einem massiven Preisverfall des polnischen Getreides geführt haben.

Landwirtschaftsminister tritt ab

Polens Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk von der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) tritt am Besuchstag Selenskyjs zurück. Er schiebt die Schuld zwar auf die EU-Kommission, die weder seine Forderungen noch die der polnischen Bauern erfüllt habe. Doch kann er nicht erklären, warum er über viele Monate hinweg weder mit Janusz Wojciechowski (PiS), dem polnischen EU-Landwirtschaftskommissar, noch mit den Amtskollegen in Deutschland und den Niederlanden gesprochen und den Weizentransport aus der Ukraine neu geregelt hat.

Nicht entstanden ist auch bis heute der neue Getreideterminal, den Polens Regierung in Gdynia (Gdingen) bauen wollte. Als Donald Tusk, der Vorsitzende der liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerkoalition (KO), im Juni 2022 auf das Logistikproblem aufmerksam machte, warf ihm Premier Mateusz Morawiecki (PiS) vor, sich "im Sinne Putins" zu äußern.

Forderung in Sachen Wiederaufbau

Immer lauter werden auch die Forderungen, dass Polen und die Ukraine verbindliche Verträge über den Wiederaufbau des Landes nach Kriegsende unterzeichnen sollten. Es könne nicht sein, erklärte KO-Parlamentarier Paweł Kowal beim Radiosender Tok FM, dass Polen der Ukraine während des ganzen Kriegs Waffen- und humanitäre Hilfe leiste, nach dem Krieg aber westliche Staaten das große Geschäft mit dem Wiederaufbau machen würden. Gemünzt war dies wohl auf den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der nur wenige Tage zuvor mit einer Delegation in Kiew war und aktuelle wie künftige deutsch-ukrainische Investitionen erörterte.

Am Abend wollte Selenskyj noch an einem sehr symbolischen Ort, dem wiederaufgebauten Warschauer Königsschloss, eine Dankesrede an alle Polen und Polinnen halten. (Gabriele Lesser aus Warschau, 5.4.2023)