Der spanische Chemiker Rafael Luque ist sehr produktiv, aber auch sehr umstritten.

Universität Córdoba

Publish or perish – veröffentliche oder verschwinde – ist so etwas wie das Leitmotto der zeitgenössischen Forschung. Nach diesem Maßstab ist der Spanier Rafael Luque einer der erfolgreichsten Wissenschafter der Welt. Denn der 44-jährige Chemiker mit den Spezialgebieten grüne Verfahrenstechniken und Nanotechnologie hat trotz seines Alters bereits rund 700 Studien veröffentlicht. Die Plattform Researchgate weist aktuell gar 974 aus.

Zuletzt ist er noch einmal produktiver geworden: 2022 waren es 110 Fachartikel, und heuer hat er bereits gut 60 publiziert, macht im Schnitt eine Publikation alle eineinhalb Tage. Luques Output-Masse hat aber durchaus auch Klasse: In seinem Bereich gilt er seit Jahren als einer der öftestzitierten Forscher. Allein 2022 brachte er es laut Google Scholar auf über 6.000 Zitierungen – bei gut 400 berücksichtigten Publikationen.

Arbeiten auch für andere Unis

Das häufige Veröffentlichen hat den bisherigen Professor der Universität Córdoba aber nicht davor bewahrt, von seiner Uni verschwinden zu müssen oder, genauer, für 13 Jahre ohne Gehalt suspendiert zu werden, wie die spanische Zeitung "El País" berichtet. Der Hauptgrund für die ungewöhnliche Dienstfreistellung Ende 2022 nach 15 Dienstjahren: Der Chemiker habe für andere Hochschulen wie die König-Saud-Universität in Riad und die Russische Universität der Völkerfreundschaft gearbeitet, obwohl er einen Vollzeitvertrag mit der staatlichen Uni in Andalusien hatte.

Der geschasste Professor räumt zwar ein, dass er sich nicht an gewisse Regeln des Dienstrechts gehalten habe, führt die Sanktion der Verantwortlichen in Córdoba jedoch vor allem auf Neid und Unverständnis zurück, wie er gegenüber "El País" selbstbewusst erklärt: "Sie hegen einen Groll gegen mich, weil ich ein sehr produktiver Wissenschafter bin und viele Leute mich bewundern, weil sie meinen Wert kennen." Er habe weder von der saudischen noch von der russischen Hochschule jemals direkt Geld erhalten, sondern nur für seine Experimente, Flüge in der Business Class und Aufenthalte in Luxushotels.

Luque sieht die Suspendierung in erster Linie als Problem für die Uni selbst: Ohne seine Publikationen hätte es die 1972 gegründete Uni nicht einmal in das Shanghai-Uniranking (also unter die Top 1000) gebracht. Dort rangiert die Hochschule zwischen Platz 801 und 900, so wie auch im Ranking von Times Higher Education. Fallen seine Veröffentlichungen weg, würde die Uni 300 Plätze verlieren, sagt Luque selbstbewusst. Angesichts der Sub-Ranglisten, in denen die Chemie nicht wirklich großartig hervorsticht, scheint sich das freilich nicht ganz auszugehen.

Lukrative Publikationsmärkte

Der andalusische Uni-Skandal hat aber nicht nur chronikalen Nachrichtenwert. Er verweist auf einige ungewollte Nebenwirkungen des mehr denn je von Produktivität, Output und Metriken beherrschten Wissenschaftsbetriebs.

Dass der hochproduktive Forscher von einer saudischen Uni quasi als Legionär angeheuert wurde, hat dort seit etlichen Jahren Methode: Denn wenn auf seinen Publikationen auch die saudische Uni genannt wird, treibt das deren Platz in den globalen Uni-Rankings nach oben. Auf diese Weise sicherten sich mehrere saudische Unis bessere Ränge, wie das Fachblatt "Science" bereits 2011 zum ersten Mal berichtete.

Solche Mehrfachaffiliationen sind aber auch an US-Spitzenuniversitäten und Eliteforschungseinrichtungen beliebt. So erschien kürzlich ein "Nature"-Paper des Nobelpreiskandidaten Feng Zhang, das eine neue Technik der Proteinverabreichung zur Krebsbekämpfung vorstellte. Sämtliche sieben Koautorinnen und -autoren führten gleich fünf verschiedene Forschungsinstitutionen vor allem der Harvard University und des MIT an, für die sie tätig sind.

Koautorenschaft gegen Geld

Längst hat sich aber auch ein illegaler Markt etabliert, der gegen Geld Koautorenschaften auf wissenschaftlichen Publikationen anbietet. Zumindest eine Publikation Luques soll davon betroffen sein, die er mit iranischen Forschenden publizierte. Zuvor wurde die Koautorenschaft auf Telegram gegen Geld feilgeboten, wie der Ingenieurwissenschafter Nick Wise (Cambridge University) herausfand, der sich nebenbei in Sachen wissenschaftlicher Integrität engagiert. Luque selbst habe von diesem Anbot angeblich nichts gewusst und kein Geld erhalten.

Auch wenn die Universität Córdoba einzig die illegitimen russischen und saudischen Affiliationen als Suspedierungsgrund nennt und keine anderen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens berichtet, so fanden sich doch noch andere Forscher, die Kritik an Luque äußerten. Luque ist in einen Fall geistigen Diebstahls verwickelt, den ein Student an der Universität La Laguna auf Teneriffa bereits 2011 begangen hat. Die damals entwendeten Daten habe der Student dann mit Luque als Koautor publiziert.

"Vegetative Elektronenmikroskopie"

Der russische Mathematiker Alexander Magasinow (Uni Tel Aviv) wiederum, der wie Wise seine Freizeit damit verbringt, wissenschaftliches Fehlverhalten zu dokumentieren, nennt im Fall von Luque zwei weitere Vorwürfe. Zum einen entdeckte er in zumindest zwei Studien ungewöhnliche Ausdrücke wie "vegetative Elektronenmikroskopie". Solche sinnbefreiten Phrasen werden gerne in Texte eingebaut, um Computerprogrammen zu entgehen, die nach Plagiaten suchen. Zum anderen wird dem Spanier vorgehalten, dass seine Arbeiten eine Vielzahl unnötiger Zitate auf andere Artikel aufweisen, um die Zahl der Zitate der erwähnten Kollegen künstlich zu erhöhen.

Künstliche Intelligenz als Schreibhilfe

Schließlich ist der Chemiker auch noch ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die künstliche Intelligenz längst zu einem problematischen Hilfsmittel beim wissenschaftlichen Publizieren geworden ist. Gegenüber "El País" räumt Luque nämlich freimütig ein, dass sein rezenter Produktivitätszuwachs auch ChatGPT zu verdanken sei: "Es gibt Artikel, für die ich früher zwei oder drei Tage gebraucht habe und die ich jetzt an einem Tag schreibe." (Klaus Taschwer, 6.4.2023)