Schwarz-blaue Farbenspiele in Niederösterreich: Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner setzt aktuell das liberale Image des Landes bei Kulturschaffenden aufs Spiel. Sie verspricht weiterhin "kulturelle Offenheit".

Foto: Heribert Corn

Dass es vor allem die Künstlerinnen und Künstler waren, die in den letzten Wochen ihre Stimme gegen die schwarz-blaue Koalition in Niederösterreich erhoben, ist nicht verwunderlich. Denn tatsächlich war es dem ÖVP-Kernland in den letzten 30 Jahren gelungen, sich als Schlaraffenland der gut öffentlich bezuschussten Kunstfreiheit zu behaupten.

In gesunder Konkurrenz zum roten Wien Michael Häupls ließ der verfreundete Amtskollege Erwin Pröll im schwarzen NÖ Kulturbudgets verdoppeln, Museen errichten, Festivals und dazugehörige Strukturen gründen. So lange ihm niemand allzu politisch ins Handwerk pfuschte, wurden sogar einstigen Bürgerschrecken wie Hermann Nitsch die roten Teppiche ausgerollt. Steht all das nun auf dem Spiel?

Blühende Kulturlandschaft

"Jein", lautet der Tenor, wenn man sich in Niederösterreichs Kulturszene umhört. Dass der blühende Garten an geschaffenem Kulturangebot, der dem Land ein modernes Positivimage über die Grenzen hinaus brachte, beschnitten wird, glaubt man selbst nicht wirklich, sehr wohl aber fürchtet man, dass sich das Klima ändert: nicht jenes, das derzeit den Marillenbäumen im Land zusetzt, sondern jenes, das die FPÖ befeuert – mit einem einschlägig bekannten Gottfried Waldhäusl, der laut Falter schon einmal von "Dreckskünstlern" spricht, oder dem nunmehrigen Vizelandeshauptmann Udo Landbauer, bei dem sich viele wundern, was er nach der antisemitischen Germanen-Liederbuchaffäre überhaupt noch in der Politik zu suchen hat.

Mindestens zwei Kulturverbände zogen über die bloße Unmutsbekundung hinausgehend in den letzten Wochen Konsequenzen: Die Akademie des Österreichischen Films verzichtet ab sofort darauf, ihren Filmpreis wie bisher üblich jedes zweite Jahr im niederösterreichischen Grafenegg bei einer Gala zu verleihen. Die IG Autorinnen Autoren schließt sich dem an und will an keinen Repräsentationsveranstaltungen mehr teilnehmen, die der Landespolitik eine Bühne bieten könnten.

Und wegen der im ÖVP-FPÖ-Arbeitsübereinkommen festgelegten Absage an geschlechtersensible Sprache, bei der sich die Politik auf den Rat für deutsche Rechtschreibung mit Sitz in Mannheim beruft, sah sich dieser nun zu einer Widerrede veranlasst: Man werde im Koalitionspakt falsch wiedergegeben, der Rat trete sehr wohl für den Einsatz geschlechtersensibler Sprache ein, man vertrete nur die Haltung, dass es dafür keiner Änderung der Rechtschreibung bedürfe.

Die IG Autorinnen Autoren jedenfalls sieht wegen des gesellschaftspolitischen Rechtsdralls, der im Koalitionspakt aufblitzt, den "beispielgebenden kulturellen Aufbruch" im Land "an ein Ende gekommen".

Schuss vor den Bug

Einer, den dieser, wie er meint, "unzutreffende" Befund, schmerzt, ist Paul Gessl. Seit 20 Jahren führt er die Niederösterreichische Kulturholding (NÖKU). Mit 40 Betrieben und 122 Millionen Euro Jahresbudget (davon 74 Mio. Landesförderung) ist der Tanker das kulturelle Um und Auf im Land. Das Budget sei bis 2025 in voller Höhe gesichert, sagt Gessl dem STANDARD. Und sobald klar gewesen sei, dass die Kulturagenden weiterhin bei Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bleiben würden, habe er die klare Zusage bekommen, dass es in dieser Tonart weitergehe.

"Warum soll ein Weg, der erfolgreich war, abgeändert werden?", fragt er und verweist darauf, dass in den nächsten Jahren über 100 Millionen an Kulturinvestitionen geplant seien. Das Kulturbudget, derzeit 140 Millionen, ist unter Mikl-Leitner tatsächlich auch in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, im Gegensatz zu den großen Institutionen im Bund verfügt die NÖKU sogar über eine automatische Inflationsanpassung.

Und dennoch: Dass sich Paul Gessl in 20 Jahren Amtszeit erstmals veranlasst sah, in einer Aussendung öffentlich seine Unzufriedenheit mit der politischen Konstellation kundzutun, werten viele zumindest als Schuss vor den Bug. Es sei ihm aber auch darum gegangen, zu beruhigen und festzuhalten, dass der kulturelle Aufbruch im Land definitiv nicht zu Ende sei, sagt er.

Budgets angeblich gesichert

Mikl-Leitner selbst lässt dem STANDARD ausrichten, dass Niederösterreich ein Land sei, "das aus Verantwortungs- und Geschichtsbewusstsein einen Weg der künstlerischen Freiheit, Weltoffenheit, Toleranz und Traditionsbewusstsein gleichermaßen beschritten hat". Mit ihr als Garantin würden "die kulturelle Offenheit und Breite" unangetastet bleiben, versichert sie.

Dass durch die Abschaffung der GIS-Landesabgabe künftig 30 Mio. Euro zweckgewidmete Kulturgelder fehlen, sei ebenfalls kein Grund zur Sorge. Man werde das zur Gänze aus dem Landesbudget decken. Woher die Gelder kommen sollen? Diese Antwort blieb man noch schuldig.

Trotzig klang unterdessen die Reaktion von ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner auf den Rückzug der Filmakademie. Jene 70.000 Euro Förderung, die die Akademie ausschlägt, würde man nun direkt in Jugendförderung investieren. Außerdem ortete Ebner "parteipolitische Motivation" und "mangelndes Demokratieverständnis".

Möglicherweise bekommt die ÖVP Niederösterreich erstmals zu spüren, dass Künstlern neben Subventionen doch auch moralische Grundsätze wichtig sind: Die Akademie hält fest, dass sie die Gefahr sehe, "dass die Bevölkerung noch mehr gespalten wird und sich diese Entwicklung negativ auf die Diversität der Gesellschaft und die Freiheit der Kultur auswirken kann". Ob Mikl-Leitner dem einen Riegel vorschieben werde, bleibe abzuwarten. "Wir werden sehen, ob sie ihre Versprechungen halten kann." (Stefan Weiss, 6.4.2023)