Stress gehört im Spitalsalltag dazu, an manchen Abteilungen fehlt es aber zu sehr an ärztlichem und Pflegepersonal.

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"Nach meiner Operation ist mir die Krankenschwester weinend um den Hals gefallen. Sie könne nicht mehr, hat sie gesagt", erinnert sich eine Patientin am Grazer LKH. Auch der Stationsarzt habe sich bei ihr "ausgeweint", er halte die Belastung fast nicht mehr aus, erzählt die Frau im STANDARD-Gespräch.

Aus der Obersteiermark sandte die Kronen Zeitung kürzlich die Hiobsbotschaft, der dortigen Spitalschirurgie drohe der Kollaps. Elf Unfallchirurgen hätten in weniger als einem Jahr die Spitalsregion verlassen. Auch in Graz, so wird kolportiert, sollen Operationen bereits drastisch reduziert worden sein.

Die Gesellschaft für Unfallchirurgie warnt davor, dass österreichweit Patienten, die auf unfallchirurgische Expertise angewiesen seien, "auf kaum noch haltbare Zustände in den Spitälern" träfen. Laut der Praevenire-Gesundheitsinitiative steuere man gar auf einen "Crash" zu, wie diese am Mittwoch verkündeten. Dass vorige Woche Bilder einer Patientin auftauchten, die auf einer unfallchirurgischen Abteilung im Wiener AKH am Gang auf Matratzen lag, passt ins Bild überlasteter Kliniken – wobei dieses Vorgehen damit begründet wurde, die desorientierte Frau auf diese Weise zu schützen.

Alarmierende Meldungen über einen drohenden Zusammenbruch der Versorgung an manchen Spitalsabteilungen poppen jedenfalls mit beunruhigender Regelmäßigkeit auf. Dass wegen fehlender Ärztinnen und Ärzte der Betrieb teilweise an der Kippe steht oder wegen Pflegepersonalmangels hunderte Betten sogar gesperrt und OPs verschoben werden müssen, sorgt in ganz Österreich für Irritationen.

In Wien war die Situation im Herbst und im Winter besonders dramatisch. Damals erreichten den STANDARD laufend neue Informationen aus dem Inneren der Spitäler, wonach es aus Ärztesicht zu unverantwortbaren Situationen komme. Voriges Jahr wurden 75 Gefährdungsanzeigen an Spitälern des Krankenhauses des Wiener Gesundheitsverbunds (Wigev) verfasst, mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor mit rund 30. Sie dienen dazu, auf Überlastungen und die Gefahr von Qualitätseinbußen in der Versorgung hinzuweisen.

Anzeigen wegen Gefährdung

Inzwischen hört man seltener Warnrufe aus den Wiener Krankenhäusern. "Gefährdungsanzeigen schreibe ich keine mehr", sagt eine Ärztin einer Wiener Notaufnahme, die anonym bleiben will. Es gebe die Weisung, "nur mehr Neues" zu melden; der Personalmangel, der weiter regelmäßig zu Überlastungssituationen führe, sei ja schon bekannt. Zwar habe sich die Covid-Situation entspannt, das erleichtere einiges im Arbeitsalltag, nach wie vor gebe es aber einen massiven Pflegemangel im gesamten Spital, in ihrer Abteilung fehlten Ärztinnen und Ärzte.

Ähnliches erzählt ein Kollege einer anderen Notaufnahme des Wiener Gesundheitsverbunds. Trotz ärztlicher Engpässe sei er immer wieder stundenlang damit beschäftigt, Betten für Patienten in den Stationen zu finden, wo wegen Pflegemangels viele Plätze gesperrt seien. Und oft kämen plötzlich mehrere Rettungen binnen Minuten, was enormen Stress verursache. Man sei bemüht, "im intensiven Austausch mit den Rettungsorganisationen" Lösungen zu finden, heißt es dazu vom Wiener Gesundheitsverbund.

Zur Personalsituation gibt der Spitalsträger Wigev an, es sei "kein Geheimnis", dass sowohl ärztliches Personal bestimmter Fächer als auch Pflegefachkräfte "europaweit händeringend gesucht werden". Gründe seien der demografische Wandel, Nachwirkungen der Covid-Pandemie sowie eine größere Bedeutung der Work-Life-Balance. Die Pflegeausbildungskapazitäten seien massiv erhöht worden, und man versuche mittels internationaler Kooperationen Fachkräften aus Drittstaaten anzuwerben.

"Die Situation ist bedrohlich"

Das Problem des Personalmangels, das stellenweise bestehe, hänge damit zusammen, dass in Österreich "noch sehr viel im Spital bzw. stationär" gemacht werde – "und weil wir andere Gesundheitsberufe zu wenig nutzen", befindet Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS). Um innerhalb der Spitäler noch mehr Effizienz zu erreichen, müssten Prozesse verändert werden, was "sehr viel Digitalisierung" voraussetze. Solche Veränderungen brauchen Zeit. Hat man diese?

Als Beispiel lohnt ein genauer Blick in die Steiermark. Bereits Ende Jänner hatte der Rektor des Universitätsklinikums Graz, Hellmut Samonigg, intern darauf hingewiesen, dass die Situation am LKH-Klinikum Graz "bedrohlich" sei. "Aufgrund der derzeitigen Entwicklungen (Personalmangel, Einschränkungen der OP-Kapazitäten und Bettensperren) ist die Funktion des Uniklinkums Graz als Zentralkrankenhaus derzeit für die Steiermark nicht mehr gegeben", schrieb Samonigg gemeinsam mit der Klinikleitung. Medizinische Leistungen könnten "teilweise nur noch eingeschränkt bzw. nicht mehr erfüllt werden". Das betreffe Schwerstkranke aller Altersstufen.

Verweis auf Europa

Eine objektive Überprüfung der Meldungen ist de facto nicht möglich. Die Leitung der steirischen Landesspitalsholdiung KAGes (Krankenanstaltengesellschaft) hat allen Bediensteten einen Maulkorb umgehängt. Einer Rund-E-Mail zufolge sind bezüglich Patientenversorgung "außnahmslos alle Statements nach außen mit dem Vorstand schriftlich vorabzustimmen". Selbst Kages-Vorstandsvorsitzender Gerhard Stark hält sich streng an die Schweigeorder. Er geht nicht auf konkrete Meldungen aus Spitälern ein, sondern will das Problem höherhängen: Man sei Opfer einer europaweiten Entwicklung.

"Auch in anderen Ländern sind die gleichen Herausforderungen auf der Tagesordnung. Der europaweite Mangel an qualifiziertem Fachpersonal macht auch vor den steirischen Landesspitälern nicht halt", argumentiert Stark. Und: Etwas mitschuld seien auch Medien, da sie einen Teufelskreis in Gang setzten, "da die vielen schönen Seiten dieser Berufe in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund treten", meint Stark.

Auch die steirische Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) will den Medien eine gewisse Verantwortung zuteilen: "Persönlich glaube ich, dass die Versorgung insgesamt besser dasteht, als die Medienberichte uns oft glauben lassen." Aber sie wolle nicht leugnen, dass die Lage "zweifelsohne angespannt" sei; das sei eben "eine neue Situation für alle europäischen Länder". Mit dem Verweis auf Europa ersparen sich Bogner-Strauß und Stark freilich einen scharfen Blick auf die eigene Lage und vielleicht Verantwortung.

Keine Daten zur Versorgungslage

Bis dato liegen in der Steiermark keine verlässlichen und nachprüfbaren gemeinsamen Daten auf dem Tisch, woraus Grundlagen für Konsequenzen gezogen werden könnten. Ja, er verstehe und teile auch diese Kritik über das Fehlen klarer Datensätze über die Versorgungssituation, sagt der Rektor des Universitätsklinikums Samonigg. An der Situation seit seinem Schreiben vom Jänner habe sich jedenfalls "nicht viel geändert". Einzelne Bereiche könnten nur noch "deutlich eingeschränkt betrieben werden".

Das Problem der medizinischen Versorgung wird offenbar zwischen den Ebenen – Landespolitik, KAGes-Universitätsklinikum Graz – zerrieben. Die wirkliche Problematik, so betonen Insider, bestehe in der Steiermark – und wohl nicht nur dort – darin, dass es zwischen den Hauptakteuren im Gesundheitswesen kaum eine funktionierende Kommunikation gebe. Zudem sei der Bereich "hoffnungslos verpolitisiert", und es werde hauptsächlich darüber nachgedacht, "wer welchen Posten bekommen soll", sagt ein Polit-Insider.

Im Kleinen ist es wie im Großen: Bei den aktuellen Finanzausgleichsverhandlungen wird ausgelotet, inwieweit Veränderungswille besteht, um größere Entlastung für den Spitalsbereich zu bringen. Eine Schraube, an der aus Sicht von Ökonom Czypionka noch stark gedreht werden müsste, wäre, viel mehr in den niedergelassenen Bereich zu verlagern. Im Gesundheitswesen mit seinen zersplitteten Zuständigkeiten müssten sich Länder und Bund und des Weiteren Sozialversicherung und Ärztekammern auf neue Wege einigen. (Walter Müller, Gudrun Springer, 6.4.2023)