An der kroatischen Grenze gibt es erneut dringlichen Verdacht auf Rechtsbruch.

Foto: REUTERS/Borut Zivulovic

Seit Jahren gibt es anekdotische Hinweise, bereits vor zwei Jahren veröffentlichten der "Spiegel" und "Lighthouse Reports" Videos, die illegale Pushbacks samt Prügelszenen und in Grenzflüsse gestoßenen Migranten an EU-Außengrenzen zeigten. Nun liegen dank eines Whistleblowers erstmals schriftliche Beweise für illegale Rückführungen vor, nachdem jemand aus einer 30-Personen-Whatsapp-Gruppe dutzende Screenshots geleakt hat. Erneut sind es der "Spiegel" und "Lighthouse Reports", aber auch das "Ö1"-Morgenjournal" und die kroatischen Medien "Novosti", "Telegram" und Nova TV, die über die sogenannte Operation Korridor berichten.

Das Schengener Abkommen erlaubt in Ausnahmefällen die Abweisung von Personen an der Staatsgrenze. Haben die Menschen aber bereits ein Land betreten, ist es ihr Recht, dort auch um Asyl anzusuchen. Ohne Verfahren abgeschoben zu werden ist dann nicht mehr erlaubt. Genau das ist jedoch der Vorwurf, der kroatischen Polizisten seit geraumer Zeit gemacht wird. Weil es darüber aber möglichst keine offizielle Dokumentation geben soll, sollen die Whatsapp-Gruppen als informeller Informationsweg geschaffen worden sein.

Kastenwagen für den Abtransport

In der Gruppe "OA Koridor II-Zapad" fand sich neben Beamten und Sprecherinnen des kroatischen Innenministeriums auch der Chef der kroatischen Grenzpolizei. Er las dort regelmäßig mit und reagierte auf Fotos von festgesetzten Migranten und Flüchtlingen etwa mit Daumen-hoch-Emojis oder klatschenden Händen. Die Anhaltungen sind per se erlaubt, Rückführungen ohne Verfahren nicht. Die Fotos zeigen jedoch auch einen inhumanen Umgang mit den Menschen. So scheinen alle ihrer Schuhe entledigt worden zu sein. Zudem lagen dutzende Menschen bei teils winterlichen Verhältnissen mitten im Wald auf dem Bauch.

Auch über Ö1-Journalist Bernt Koschuh und seinen Aufenthaltsort wurde in der Whatsapp-Gruppe kommuniziert.

Das illegale "Abhalten" und "Rückführen" von Menschen aus dem Landesinneren, das von der kroatischen Polizei in der Vergangenheit als Fehlverhalten Einzelner abgetan wurde, scheine laut den Chats doch mehr System zu haben als bislang zugegeben, schreibt der "Spiegel". "Für den Transport und das Abhalten" habe etwa ein Polizist nahe des kroatischen Dorfes Skrbini fünf Kastenwagen angefordert, um rund 80 aufgegriffene Personen abzutransportieren – vermutlich in Richtung des eineinhalb Autostunden entfernten Bosnien-Herzegowina.

Insgesamt sind mehr als 1.300 aufgegriffene Migranten, viele aus Syrien, Afghanistan oder Pakistan, in den Whatsapp-Nachrichten dokumentiert. Es ist eine Art Dokumentation dessen, was offiziell nicht dokumentiert werden durfte. Mittlerweile sei man auf Telegram umgestiegen, hieß es im Ö1-"Morgenjournal".

Das kroatische Innenministerium bestätigte die geleakten Inhalte den recherchierenden Medien nicht und nennt Pushbacks weiterhin Einzelfälle. Einige Chatteilnehmer stritten ihre Mitgliedschaft in der Gruppe aber zumindest nicht ab. Unter Migrations- und Völkerrechtsexperten ist klar, dass die Pushbacks geltendes Asyl- und EU-Recht brechen. Indirekt wird die Praxis wohl auch über EU-Mittel finanziert. Geahndet wurden die Rechtsbrüche durch die EU bislang nicht. (faso, 6.4.2023)