2031 soll die Sonde Juice im Jupitersystem ankommen und die Eismonde des Gasplaneten erforschen.
Illustration: .: Esa / ATG medialab / Nasa / JPL / DLR

Wenn es um potenziell lebensfreundliche Orte in unserem Sonnensystem geht, ist der Jupiter eigentlich kein heißer Kandidat. Der größte Planet im Sonnensystem erfüllt nicht einmal die Mindestvoraussetzungen für Leben, wie wir es kennen. Er ist zu weit weg von der Sonne und besitzt als Gasplanet keine feste Oberfläche. In seiner kalten Atmosphäre, die großteils aus Wasserstoff und Helium besteht, toben gigantische Wirbelstürme, während im Planeteninneren extreme Drücke und Temperaturen herrschen. Und doch zählt das Jupitersystem zu den vielversprechendsten Zielen für die Suche nach außerirdischem Leben im Sonnensystem. Denn der Gasriese, der fast zweieinhalb Mal so viel Masse besitzt wie die übrigen Planeten zusammen, ist in äußerst interessanter Gesellschaft.

Nach aktuellem Forschungsstand wird der Jupiter von mindestens 92 Monden umkreist und ist damit der trabantenreichste Planet im Sonnensystem – noch vor dem Saturn (83 Monde). Vor allem einige der größten Jupitermonde ziehen die Wissenschaft in ihren Bann: Sie erinnern in vielerlei Hinsicht eher an Planeten als an primitive Monde. Mit ihren gefrorenen Oberflächen wirken zwar auch diese Eismonde auf den ersten Blick nicht gerade lebensfreundlich. Doch unter ihren kolossalen Eispanzern verbergen sich riesige Ozeane aus flüssigem Wasser, wie Messdaten nahelegen. Wenn dort die Chemie stimmt, ausreichend Energie vorhanden ist und stabile Verhältnisse herrschen, könnte es in diesen Mondmeeren theoretisch lebensfreundliche Bedingungen geben. Ist Leben im Jupitersystem also doch denkbar?

Achtjährige Reise

Das ist eine der großen Fragen, denen die europäische Mission Jupiter Icy Moons Explorer, kurz Juice, nachgehen soll. Die Sonde steht am europäischen Weltraumbahnhof in Französisch-Guyana zum Start bereit, am 13. April soll ihre Reise beginnen. Sollten die Wetterverhältnisse den Start verhindern, gibt es bis Ende April täglich eine Gelegenheit, die Sonde ins All zu schießen, wie es bei der letzten Esa-Pressekonferenz vor dem Start am Donnerstagnachmittag hieß.

European Space Agency, ESA

Juice hat einen langen Weg vor sich: Acht Jahre wird Juice unterwegs sein und dabei mehrere Vorbeiflüge an Erde, Mond und Venus absolvieren, um Schwung zu holen und auf den richtigen Kurs zu gelangen. Mitte 2031 soll Juice dann beim Jupiter ankommen und gut vier Jahre lang den Gasplaneten und seine innersten Trabanten erforschen.

Kallisto, Europa und Ganymed

Im Fokus stehen dabei insbesondere drei eisige Jupitermonde: Kallisto, Europa und Ganymed. "Wir müssen unbedingt verstehen, wie diese Monde ticken und ob unsere physikalischen Modelle richtig sind", sagt Nicolas Altobelli, Leiter der Juice-Mission bei der europäischen Weltraumorganisation Esa, zum STANDARD. "Die Hoffnung dahinter ist, Bedingungen für erdähnliches Leben zu finden, aber auch sonst mehr über diese faszinierenden Objekte und ihre Wechselwirkung mit dem Jupiter zu erfahren."

Gestelltes Familienfoto: Die Jupitermonde Io, Europa, Ganymed und Callisto (von oben).
Illustration: Esa/ATG medialab

Der Planetenwissenschafter Altobelli schickt voraus, dass Juice zwar nicht direkt nach Leben suchen kann. Ausgestattet mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten wird sich die komplexe Mission der Frage aber indirekt annähern, indem sie unterschiedlichste Daten über Jupiter und seine Eismonde gewinnen und herausfinden soll, ob es Anzeichen für Lebensfreundlichkeit gibt – aktuell oder in vergangenen Zeiten. "Wir suchen etwa nach Hinweisen auf eine Umgebung, die zu methanbildenden Bakterien passen würde, die es auf der Erde in Thermalquellen gibt", sagt Altobelli.

Mondmeere unter dem Eis

Anzeichen auf hydrothermale Aktivität in den verborgenen Ozeanen und die Messung organischer Moleküle in der Umgebung wären zwar noch keine Nachweise für Leben, aber ein großer Sprung bei der Suche danach: Finden sich starke Hinweise auf stabile, lebensfreundliche Nischen im Untergrund der Eismonde, könnten spätere Missionen zu gezielten Erkundungsreisen aufbrechen.

Besonders aussichtsreich erscheint in dieser Hinsicht Europa, der viertgrößte Jupitermond. Messungen der Nasa-Raumsonde Galileo enthüllten schon in den 1990er-Jahren, dass der Trabant unter einer etwa 20 Kilometer dicken Eisschicht einen bis zu 150 Kilometer tiefen Ozean aus Salzwasser besitzt. Europas riesiges Wasserreservoir dürfte Berechnungen zufolge direkt mit dem Gestein auf dem Grund interagieren, was die Entstehung von Leben begünstigen könnte. Sollte es dort auch hydrothermale Quellen oder Vulkane geben, könnten chemische Lebensbausteine ins Wasser gelangen – und die Grundzutaten für die Entstehung von Leben wären beisammen. Juice soll sich Europa in zwei Vorbeiflügen auf bis zu 400 Kilometer annähern und den Trabanten möglichst genau in den Blick nehmen.

Europa gilt inzwischen als einer der interessantesten Orte für die Suche nach außerirdischem Leben im Sonnensystem.
Foto: NASA/JPL-Caltech/SETI Institute

Suche nach Biosignaturen

Dabei soll die Oberflächenchemie untersucht und nach Biosignaturen gefahndet werden, außerdem soll die Eisschicht genauer vermessen und der innere Aufbau des Mondes untersucht werden. Juice habe einige der leistungsfähigsten Instrumente an Bord, die bisher ins äußere Sonnensystem geschickt wurden, erklärt Altobelli. "Wir haben unter anderem Sensoren zur Messung von Teilchen, die sozusagen riechen, was um die Sonde herum passiert." Das ist auch deshalb interessant, weil Europa immer wieder Wasserfontänen ins All ausstößt. Die Charakterisierung solcher Auswürfe könnte Rückschlüsse auf den verborgenen Ozean erlauben.

"Es gibt auch einen Laserhöhenmesser, der die Topografie vermessen kann, und ein Radarinstrument, um die obere Eisschicht und ihre elektrischen Eigenschaften zu untersuchen", sagt Altobello. "Das könnte uns auch etwas über die Wärme aus dem Untergrund verraten." Die Juice-Forschungen bei Europa sollen eine zweite Mission ergänzen: Für den Herbst 2024 ist der Start der Nasa-Sonde Europa Clipper geplant, die sich ganz auf diesen für Leben vielversprechendsten Jupitermond konzentrieren soll.

Fenster in die Vergangenheit

Ursprünglich war einmal eine gemeinsame Mission von Nasa und Esa geplant gewesen, nach Budgetkürzungen bei der US-Weltraumbehörde vor einem Jahrzehnt hatte man sich dann aber für getrennte Projekte entschieden. "Aber wir sind komplementär und arbeiten zusammen, um schon bei der Planung der Missionen Synergien zu nutzen", sagt Altobelli. Beide Sonden sollen auch nach wissenschaftlich interessanten Zielen für künftige Landungen auf Europa Ausschau halten.

Die Ziele der Mission Juice im Überblick.
Grafik: ESA / DER STANDARD

Für den Esa-Wissenschafter Olivier Witasse eröffnet die Aussicht, zwei Sonden mit unterschiedlichen Instrumenten zeitgleich im Jupitersystem zu haben, fantastische wissenschaftliche Möglichkeiten. "Bei Europa könnte es zum Beispiel die Möglichkeit geben, mit beiden Sonden im Abstand von wenigen Stunden vorbeizufliegen und Messungen zu machen", sagt Witasse.

Anders als bei der Nasa-Mission Europa Clipper stehen bei Juice aber zwei andere Jupitermonde stärker im Vordergrund: Ganymed und Kallisto, die aus unterschiedlichen Gründen interessante Forschungsziele sind.

Versehrtes Rekordrelikt

Kallisto, der mit einem Durchmesser von 4820 Kilometern drittgrößte Mond des Sonnensystems, ist ein Rekordrelikt. Seine Oberfläche ist etwa vier Milliarden Jahre alt und von unzähligen Einschlagskratern gezeichnet, war aber ansonsten seit der Entstehung keinen großen Veränderungen unterworfen. Denn Kallisto ist geologisch tot – und damit ein offenes Fenster in die Frühzeit des Sonnensystems. Juice soll in insgesamt 21 Vorbeiflügen die Oberfläche des Mondes kartieren, das Alter der verschiedenen Regionen bestimmen und ins Innere des Mondes blicken.

Kallistos Oberfläche ist ein Zeugnis aus der Frühzeit des Sonnensystems.
Foto: NASA/JPL/DLR

Auch Kallisto besitzt einen salzhaltigen Ozean, begraben unter einem bis zu 200 Kilometer dicken Eispanzer. Juice soll die Tiefe dieses Mondmeeres genauer bestimmen, die derzeit auf etwa zehn Kilometer geschätzt wird. Um mehr über den Salzgehalt des Wassers herauszufinden, kommt auch ein Magnetometer zum Einsatz, das vom Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz und der TU Graz entwickelt wurde.

Das IWF ist auch an weiteren zwei wissenschaftlichen Instrumenten der Mission beteiligt, die ebenfalls dabei helfen können, mehr über die verborgenen Ozeane der Eismonde herauszufinden. Und es gibt noch weitere Beiträge aus Österreich: So wurde etwa die Thermalhülle, die die Raumsonde Juice vor den extremen Temperaturen auf ihrer Reise schützt, von Beyond Gravity Austria geliefert.

Riesenmond im Fokus

Das Hauptziel der Mission Juice ist aber Ganymed. Der größte Mond im Sonnensystem (5262 km Durchmesser) ist der einzige Trabant, der ein eigenes Magnetfeld erzeugt. Er besitzt einen Kern aus Eisen, eine sehr dünne Atmosphäre und wahrscheinlich ebenfalls einen flüssigen Ozean, der sogar mehr Wasser als alle Meere der Erde enthalten könnte. "Ganymeds Magnetfeld ist aber so stark, dass man die Signatur des Ozeans bisher nicht ganz klar sehen konnte", sagt Missionsleiter Altobelli. "Deshalb war die Idee, eine richtige Tomografie des Mondes durchzuführen, und dafür braucht es einen Orbiter."

Ganymed ist größer als der Planet Merkur und erzeugt sein eigenes Magnetfeld. Auf diesem Mond wird die Juice-Mission auch brachial zu Ende gehen.
Foto: NASA/JPL-Caltech/SwRI/MSS/ Kevin M. Gill

Bei Messungen im Vorbeiflug wie bei Europa und Kallisto soll es im Fall von Ganymed also nicht bleiben: Juice soll 2034 in eine Umlaufbahn des Mondes eintreten und Ganymed neun Monate lang umrunden. "Juice wird der erste Orbiter sein, der um einen anderen Mond als unseren eigenen kreist", sagt Altobelli. Das mache die Mission nicht nur technisch besonders herausfordernd, sondern biete auch einmalige wissenschaftliche Gelegenheiten, erklärt Altobelli.

Sturz auf Ganymed

Neben Ganymeds Magnetfeld, Atmosphäre und Innenleben ist auch die Oberfläche des großen Mondes interessant. Teilweise ähnelt sie mit kraterdurchzogenen, sehr alten Regionen jener von Kallisto. An anderen Stellen erinnert Ganymed wiederum an den Eismond Europa, der noch in jüngerer Zeit geologischen Veränderungen unterworfen war. "Ganymed ist in der Evolution ein bisschen dazwischen, das macht ihn wissenschaftlich sehr spannend", sagt Altobelli. Erste Aufnahmen und Daten sind für 2031 zu erwarten.

Wenn alles nach Plan läuft, wird Ganymed gut vier Jahre später einen weiteren Einschlagskrater bekommen. Dann soll die Sonde Juice ihre Mission nämlich mit einem kontrollierten Crash auf dem Riesenmond beenden. Altobelli ist guter Dinge, dass diesem spektakulären Ende aufregende Entdeckungen vorausgehen werden. "Ich kann es kaum erwarten. Technisch gesehen ist das vielleicht die aufwendigste Mission, die wir jemals gemacht haben", sagt der Missionsleiter.

Im Vorjahr nahm auch das nagelneue James-Webb-Weltraumteleskop den Jupiter ins Visier und machte neue Details aus der turbulenten Atmosphäre des Gasriesen sichtbar.
Foto: NASA / ESA / CSA / Jupiter / ERS Team / Judy Schmidt

Sollte Juice tatsächlich Hinweise auf lebensfreundliche Bedingungen finden, wäre es nicht das erste Mal, dass die Jupitermonde eine neue wissenschaftliche Ära einläuten. Als Galileo Galilei 1610 die vier Trabanten Io, Europa, Ganymed und Kallisto entdeckte, beflügelte er damit einen Paradigmenwechsel: Es waren die ersten Himmelskörper, an denen direkt beobachtet werden konnte, dass sie sich nicht um die Erde drehen – das geozentrische Weltbild geriet zusehends ins Wanken. (David Rennert, 7.4.2023)