Deleila Piasko (li.) als Lisa Fittko, Ralph Amoussou als Paul Kandjo, Lucas Englander als Albert Hirschmann, Gillian Jacobs als Mary-Jayne Gold, Cory Michael Smith als Varian Fry und Amit Rahav als Thomas Lovegrove sind ab Freitag, 7.4. in der Netflix-Serie "Transatlantic" zu sehen.

Foto: Netflix/Anika Molbar

Dass sie es versteht, komplexe Geschichten mit Leichtigkeit zu erzählen, hat Anna Winger schon bei "Unorthodox" über den Ausbruch einer jungen Frau aus der hermetischen jüdisch-orthodoxen Welt unter Beweis gestellt. In ihrer neuen Serie "Transatlantic" erzählt die US-Autorin in sieben stimmungsreichen Folgen, wie eine Gruppe tapferer Männer und Frauen während des Zweiten Weltkriegs über das sogenannte International Rescue Committee Tausende von Geflüchteten, darunter prominente Künstler und Intellektuelle, aus Vichy-Frankreich evakuierte. Winger schafft es, das beklemmende Stück Zeitgeschichte spannend, melodramatisch und humorvoll zu erzählen.

Dabei setzt die gefragte Drehbuchautorin im Streamingbusiness auf eine starke Österreich-Connection. Geschrieben hat Winger "Transatlantic" mit dem in Wien lebenden Showrunner Daniel Hendler, mit dem sie bereits in "Unorthodox" zusammengearbeitet hat, ebenso wie mit Wolfgang und Sebastian Thaler, die hinter der Kamera standen. In der Rolle des Albert Hirschman ist Lucas Englander zu sehen.

Die nächste Serie ist bereits in Arbeit, darüber reden darf Winger in der Zoom-Konferenz mit dem STANDARD noch nicht.

Netflix

STANDARD: Die Inspiration zur Netflix-Serie "Transatlantic" kam von Ihrem Vater, dem Anthropologen Robert A. LeVine?

Winger: Das ist richtig. Es gibt am Berliner Potsdamer Platz eine Varian-Fry-Straße, und mein Vater, der zu Besuch in Berlin war, fragte mich, ob ich wisse, wer Varian Fry sei. Ich wusste es nicht, und er erzählte mir die Geschichte von dem jungen Mann, der das Emergency Rescue Committee gegründet hatte und davon, dass er zwei der Personen aus Cambridge kannte: den Wirtschaftswissenschafter Albert Hirschman und die Aktivistin Lisa Fittko, die er bei Protesten gegen den Vietnamkrieg kennenlernte.

STANDARD: Wann wussten Sie, dass daraus eine Serie werden soll?

Winger: Die Recherche habe ich in 2015 begonnen, als so viele Geflüchtete aus Syrien nach Berlin kamen. Es kam mir ein wie unglaublicher Kreislauf der Geschichte vor, dass damals Ende der Dreißiger-, Anfang der Vierzigerjahre, Menschen aus Berlin, aus ganz Europa, flüchten mussten und jetzt so viele Geflüchtete wieder nach Berlin kommen. Auch wenn die Geschichte von Varian Fry und dem Emergency Rescue Committee recht unbekannt ist, gibt es viele Kunstformen über die Ereignisse in Marseille um 1940, da damals so viele Schriftsteller und Künstlerinnen vor Ort waren: Erzählungen, Kurzgeschichten, Erinnerungen, Theaterstücke, Malereien – alle Arten von Kunst aus der Geschichte. 2019 kam dann Julie Orringers Buch "The Flight Portfolio" heraus, das einen anderen Einblick in die Geschichten gab, und ich habe mir die Rechte daran gesichert, um daraus, und aus vielen weiteren Recherchen, eine Serie zu schreiben.

STANDARD: War es einfach, Netflix für die Serie zu begeistern?

Winger: Netflix hat uns sehr unterstützt. Ich arbeite bei Netflix mit einigen Personen aus dem deutschen Team zusammen. Wir sind auf einer Wellenlänge. Auch wenn es sich hier um ein sehr ernstes Thema handelt, haben wir uns für einen Ansatz ganz im Stil der Filme aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren entschieden, quasi eine Hommage an die großen Screwball-Melodramen dieser Zeit, wie z. B. "Sein oder Nichtsein", "Der große Diktator" oder "Casablanca" sie haben mich inspiriert. Sie wurden in vielen Fällen von deutsch-jüdischen Emigranten aus Berlin gemacht, die als Exilanten in Hollywood lebten und das Unvorstellbare, was in Europa geschah, auch durch Humor verarbeiteten. Mir war es wichtig zu zeigen, dass das Leben auch in der tiefsten Krise weitergeht und Humor, Romanzen und Liebe uns auch in der schwersten Zeit daran erinnern, dass wir noch am Leben sind. Die Düsternis in "Transatlantic" wird durch Momente des Humors und des Lichts unterbrochen, als würde damit dem Grauen die Stirn bieten.

Es ist einfach schrecklich zu sehen, dass schlimme Dinge wieder und immer wieder passieren. Mark Twain sagte einmal: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft."

STANDARD: Das Thema Flüchtlinge ist aktueller denn je. Warum haben Sie sich entschieden, eine historische Flüchtlingsgeschichte zu erzählen?

Winger: Dass ich historische Stoffe auswähle, liegt bestimmt daran, dass mich Geschichte als Metapher für gegenwärtige Probleme interessiert. Drei Tage nach unserem Drehstart in Marseille brach der Krieg in der Ukraine aus. Und so filmten wir Walter Benjamin bei seinem Gang über die Pyrenäen, während wir gleichzeitig über unsere Handys beobachteten, wie Menschen an der polnischen Grenze standen und versuchten, die Ukraine zu verlassen. Das war unglaublich und erschütternd. Es hat uns aber auf eine bestimmte Art in der Dringlichkeit unserer Arbeit bestärkt. Es ist einfach schrecklich zu sehen, dass schlimme Dinge wieder und immer wieder passieren. Mark Twain sagte einmal: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft."

STANDARD: Was wollen Sie den Zuschauerinnen und Zuschauern von "Transatlantic" vermitteln?

Winger: Es ist vor allem die Geschichte von gewöhnlichen Menschen, die etwas Außergewöhnliches leisten, um Leben zu retten, weil sie mutig sind und anderen helfen wollen. Und es ist auch eine hoffnungsvolle Geschichte über internationale Zusammenarbeit, Solidarität und darüber, wie man gemeinsam Gutes erreicht. Wenn man sich anschaut, was in der Nachkriegszeit in Amerika passiert ist, dann war das zu einem großen Teil den Emigranten aus Europa zu verdanken. Die Menschen kamen damals aus Europa und haben das amerikanische Denken in vielerlei Hinsicht zum Positiven verändert.

STANDARD: Da gibt es womöglich solche, die sagen: Das ist doch schon so lange her, wen soll das heute noch interessieren?

Winger: Wir haben eine große Verantwortung, diese Geschichten zu erzählen. Zum einen sterben die Menschen, die sich an den Holocaust erinnern oder ihn erlebt haben. Zum anderen ist es sehr wichtig, dass wir Nachkommende diese Geschichten weitergeben und dafür sorgen, dass die Menschen sie nicht vergessen.

Wir erzählen in den Grauzonen der Geschichte.

STANDARD: Die Umstände vom Tod Walter Benjamins sind bis heute ungeklärt. Wie sah Ihre Recherche aus?

Winger: Wir erzählen in den Grauzonen der Geschichte. Das ist ein gutes Beispiel dafür, denn es ist nicht ganz klar, was passiert ist. War es ein Versehen, denn er nahm Morphium, oder war es Absicht? Benjamin schrieb über seine Verzweiflung. War es ein Abschiedsbrief, dachte er, dass er sterben würde, starb er als eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung? Wir haben grundsätzlich versucht, der Historie treu zu bleiben, aber wir haben auch einige Dinge fiktionalisiert und verdichtet – die vielen individuellen Interpretationen haben uns inspiriert, uns auch kreativen Freiraum zu nehmen. Aber im Hinblick darauf, was diese Menschen getan haben, wie sie ihren Beitrag zur Geschichte geleistet haben und wie mutig sie waren, haben wir versucht, dem sehr, sehr treu zu bleiben.

STANDARD: In den Vereinigten Staaten gab es eine Diskussion über die Homosexualität von Mr. Fry. Wie wichtig war es Ihnen, dieses Thema in die Handlung einzubinden?

Winger: Es gab eine Diskussion darüber, als das Buch von Julie Orringer erschien. Einige Historiker äußerten sich, es würde Frys Ruf schaden, wenn man ihn als homosexuell bezeichnete. Und es gab in der "New York Times" einen Brief, den Varian Frys Sohn zu diesem Thema geschrieben hat, dass sein Vater heimlich homosexuell gewesen sei, auch wenn er zweimal verheiratet war und Kinder hatte. Ich glaube, das ist das letzte Wort zu diesem Thema.

STANDARD: "Im Westen nichts Neues" war für den Oscar nominiert, "Das Boot" ist ein Streamingerfolg, in Bratislava wird derzeit "The Tattooist of Auschwitz" gedreht. Liegen Weltkriege im Trend?

Winger: Zu Trends kann ich nichts sagen. Es gibt eine Vielzahl an Gründen, warum Leute auf Konflikte in der Vergangenheit zurückgreifen. Es gab viele Filme und Fernsehsendungen über den Zweiten Weltkrieg. Mir wurden auch viele Holocaust-Stoffe angeboten. Aber ich habe immer abgelehnt, bis dann "Transatlantic" kam. Der Grund, warum ich mich für diesem Stoff entschieden habe, war, dass er eine neue Perspektive eröffnet.

Mehr über Serien: