Meditieren, Sport oder Journaling – Hauptsache, die Morgenroutine passt zu den individuellen Bedürfnissen. Nur eine Sache gilt nahezu für alle: kein Smartphone im Bett.

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In der Wissenschaft ist man sich einig: Wer den Tag richtig beginnt, schafft mehr und ist glücklicher. Und viele kennen das wohl aus eigener Erfahrung: Der Tag fühlt sich anders an, je nachdem, ob man ausgeschlafen aufsteht, frühstückt und frische Luft schnappt – oder ob man nach dem 14. Mal Snoozen hektisch einen Espresso kippt. Die ersten Stunden sind quasi der Soundtrack für den restlichen Tag. "Gegebenenfalls kann unsere Morgenroutine die gesamte Stimmung des restlichen Tages beeinflussen", sagt die Psychologin Kimberly Breuer.

Regelmäßige Routinen geben uns Struktur und Sicherheit und sind deshalb auch gesundheitsfördernd, zeigen zahlreiche Studien. Aber wie sieht sie nun aus, die gesunde Morgenroutine? Nun ja, eben individuell. Gesund ist eine Morgenroutine nämlich nur dann, wenn sie nicht mit Stress verbunden ist – und das sieht für jeden und jede etwas anders aus. Die persönliche Morgenroutine sollte sich leicht in den Alltag integrieren lassen und vor allem Spaß machen, findet Breuer. "Je mehr man sich auf das freut, was als Erstes passieren wird, umso einfacher ist es, sich an diesen neuen Start zu halten", erklärt sie. Und das ist essenziell. Denn je öfter wir etwas machen, desto einfacher fällt es uns.

Das lässt sich auch neurologisch ganz einfach erklären: Bei Dingen, die wir zum ersten Mal machen, arbeitet im Gehirn der präfrontale Cortex, das empfinden wir erst einmal als anstrengend. Machen wir aber gewisse Dinge immer wieder in derselben Reihenfolge, pflegen wir also Routinen, werden die in den sogenannten Basalganglien gespeichert. Was sich in dieser Hirnregion abspielt, strengt uns nicht an, es passiert automatisch – hier haben wir abgespeichert, dass wir abends Zähne putzen oder beim Nachhausekommen die Schuhe ausziehen, ohne uns bewusst daran erinnern zu müssen.

Kein Handy nach dem Aufwachen

Jetzt muss so manch einer beim schlaftrunkenen Espressotrinken und der Morgenzigarette wohl auch nicht viel nachdenken, und wenn man es jeden Morgen macht, ist das auch eine Form der Routine. Gesünder macht das aber freilich nicht. Denn damit die Morgenroutine tatsächlich gesundheitsfördernd wirkt, sollte sie gezielt und mit der Absicht, positive gesundheitliche Effekte zu bringen, umgesetzt werden – so definieren zusammengefasst wissenschaftliche Arbeiten eine gesunde Morgenroutine. Und noch ein Faktor ist wichtig, womöglich sogar der wichtigste, betonen Fachleute: Sie sollte auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt sein.

Es scheint nur eine allgemeingültige Regel zu geben, bei der sich Schlafcoaches, Neurologen, Allgemeinmedizinerinnen und Psychologen einig sind: Morgens nicht sofort aufs Handy schauen und E-Mails und Social-Media-Kanäle checken. "Man stürzt sich damit in den Alltag, ohne zunächst bewusst in den Tag zu starten. Das kann direkt Stresshormone ausschütten", erklärt Psychologin Breuer. "Im besten Fall lässt man das Handy so lange ausgeschaltet oder unberührt, bis die eigene Morgenroutine beendet ist." Im Idealfall besteht ebendiese aus einem Mix aus Wohltuendem für Körper und Geist. Hier ein paar Vorschläge:

Sport am Morgen – oder später im Alltag

Die Vorteile, wenn man mit Bewegung – am besten noch draußen an der frischen Luft – in den Tag startet, liegen auf der Hand: Die Durchblutung wird angeregt, wir können uns tagsüber besser konzentrieren, sind geistig fitter und fühlen uns weniger gestresst.

Welche Art von Bewegung man dabei macht, ist nahezu egal. Ob Yoga, Joggen oder Radfahren, "Hauptsache, es macht Spaß", findet Fitnessexperte Yves Benchimol von der App Weward, die Userinnen und User mit einlösbaren Goodies zum Spaziergehen motivieren soll. "Nur wenn man eine Bewegung findet, die einem Freude macht, ist man auch langfristig motiviert", sagt er.

Aber selbst wenn Sport an sich eigentlich Spaß machen würde, für viele ist eine Sporteinheit am Morgen schlicht unrealistisch – etwa für übermüdete Eltern oder Menschen, die besonders früh in die Arbeit müssen. Dann kann es helfen, Bewegung bewusst in den Alltag zu integrieren, lange Sitzperioden zu vermeiden und die Arbeitsposition so oft wie möglich zu wechseln. Fitnessexperte Benchimol rät dazu, die Arbeitsstunden nach der 40-15-5-Regel zu unterteilen: 40 Minuten sitzen, 15 Minuten stehen und fünf Minuten gehen. "Am besten einfach einen Timer stellen und sich bewusst an die Pausenzeiten halten. In den 15 Minuten Stehzeit kann man sich auf einer Kommode oder ähnlichem einen alternativen Arbeitsplatz schaffen", empfiehlt Benchimol.

Liebes Tagebuch

Alternativ zum Sport schwören viele auf Meditation, um den Kopf freizubekommen. Das ist häufig weniger zeitintensiv, reduziert Stresshormone und hilft dabei, den Abstand zwischen Gedanken und Reaktion größer werden zu lassen, erklärt Psychologin Breuer. "Je häufiger man es trainiert, umso leichter fallen einem die Emotionsregulation und der Shift zwischen Stimmungen." Alternativ für all jene, die mit Meditation wenig anfangen können, bietet sich Journaling an, das Niederschreiben von Gedanken. "In der Psychotherapie werden Emotionstagebücher nahezu immer angewendet, damit der Klient oder die Klientin lernt, die eigene Gefühls- und Gedankenwelt zu verstehen und bewusster mit ihr umzugehen", berichtet Breuer von Likeminded, einem Start-up mit der Mission, das Thema mentale Gesundheit in der schnelllebigen Wirtschaftswelt zu enttabuisieren. Dass Dankbarkeitsübungen oder das Aufschreiben von Erfolgserlebnissen positive Gefühle erzeugen können, zeigen auch zahlreiche Studien.

Nahrhaftes Frühstück

Und während des Journalings gibt es im Idealfall eine Tasse Tee, aber gerade morgens greifen viele lieber zu Kaffee. Der Wachmacher steht in der Ernährungswissenschaft im Zentrum zahlreicher Studien. Denn Kaffee regt die Ausschüttung von Cortisol an, das ist unser Stresshormon, das auch dafür sorgt, dass wir munter werden. In der Früh findet von Natur aus schon ein Cortisolschub statt. Ein Kaffee erhöht den Cortisolspiegel zusätzlich. Trinken wir also dann Kaffee, wenn der Körper ohnehin schon Cortisol produziert, kann das dafür sorgen, dass wir nicht nur wach, sondern auch ein bisschen gestresst und ängstlich werden. Außerdem stumpft man mit der Zeit ab. Für dieselbe Wirkung braucht der Körper immer mehr von dem Wachmacher. Studien zeigen, dass bei Menschen, die täglich Koffein konsumieren, die Cortisolreaktion des Körpers zwar nicht eliminiert, aber deutlich reduziert ist. Oder anders ausgedrückt: Wenn Sie ohnehin schon viel und regelmäßig Kaffee trinken, ist es auch schon ein bisserl wurscht, wann Sie das tun. Für jene, die nur hin und wieder zum Kaffee greifen, kann die Uhrzeit aber entscheidend sein.

Was man am Morgen wie gut verträgt, ist also individuell. Das gilt auch fürs Essen. Ein paar allgemeingültige Anhaltspunkte gibt es dennoch: Ein Frühstück mit zu viel Zucker sollte man vermeiden. "Dadurch würde der Insulinspiegel rasch ansteigen und wieder fallen, das würde die Leistungsfähigkeit senken. Daher lieber auf Vollkornprodukte setzen und mit Eiweißbestandteilen, Gemüse und Obst ergänzen", empfiehlt Petra Rust vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Ein Frühstück sollte eine Getreidekomponente, am besten in der Vollkornvariante, saisonales Gemüse und Obst und Milchprodukte beinhalten, damit unser Körper mit allen wertvollen Nährstoffen wie Eiweiß, Kalzium und Ballaststoffen versorgt ist, dazu ausreichend Flüssigkeit.

Aktuell trenden auf Social Media Beiträge zu heißem Zitronenwasser am Morgen, das soll besonders gesund sein. Wissenschaftliche Studien speziell über die gesundheitlichen Auswirkungen von Zitronenwasser gibt es nicht, aber ungesund sei es freilich nicht: "Zitronen enthalten Vitamin C, das das Immunsystem unterstützt, Zellen vor oxidativer Schädigung schützt und die Eisenaufnahme aus pflanzlichen Quellen unterstützt. Wenn Zitrone zur Geschmacksgebung die Flüssigkeitszufuhr unterstützt, ist das jedenfalls zu begrüßen", findet Rust.

Gehören Sie zum 5-a.m.-Club?

Sport, Meditation, Journaling, Frühstücken … Wie soll sich das alles ausgehen, fragen Sie sich? Na, halt einfach früher aufstehen, sagt der 5.a.m.-Club. Mitglied ebendieses "Clubs" sind alle, die jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen. Wie selbst die größten Morgenmuffel es schaffen sollen, morgens "eine Stunde was für sich zu tun", dazu findet man online zahlreiche Tipps. Dabei ist das längst nicht für jeden und jede sinnvoll, im Gegenteil. Für viele ist das Beste, was sie morgens für sich tun können: schlafen. "Nur ein bis drei Prozent der Bevölkerung sind extreme Frühtypen mit einer idealen Aufstehzeit zwischen fünf und sechs Uhr", sagt die Schlafcoachin Melanie Pesendorfer, und Routinen seien nur dann gesundheitsfördernd, wenn sie nach dem individuellen Biorhythmus gelebt werden. "Wir leben bereits in einer chronisch zu wenig schlafenden Gesellschaft. Nehmen wir den Menschen in der Früh nochmals ein oder zwei Stunden Schlaf weg, hat dieser Trend eventuell Folgen auf Regeneration und Gesundheit."

Wenn sich Menschen, die vom Chronotyp her schlicht keine Morgenmenschen sind, zwingen, früher aufzustehen, führe das zu einer "ungeheuren Belastung statt Entlastung". Statt sich um fünf Uhr aus dem Bett zu quälen, sollte man lieber untertags gesunde Rituale und Routinen einführen, rät Pesendorfer. Viel wichtiger sei nämlich, dass wir – ob mit oder ohne Wecker – möglichst zur gleichen Zeit aufstehen. "Und zwar ohne Schlummertaste, stattdessen frische Luft und Sonnenlicht in das Zimmer lassen oder am besten rausgehen."

Dass das nicht jeden Tag gleich gut gelingt, ist klar. Davon sollte man sich nicht entmutigen lassen, findet Psychologin Breuer. Man sollte sich immer auch die Möglichkeit offenhalten, sich mitten untertags mit einem Moment des Innehaltens neu auszurichten: "Ein verlorener Morgen kann, aber muss keinen verlorenen Tag bedeuten." (Magdalena Pötsch, 17.4.2023)