Beim Treffen von Taiwans Staatschefin Tsai Ing-wen mit dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses Kevin McCarthy in Kalifornien war es der einflussreiche Republikaner, der auf den Gast zuging und ihm die Hand reichte. Das war kein Zufall: Es war McCarthy, der das Treffen initiiert hatte, auch um ein klares Zeichen zu setzen, dass die USA China die Stirn bieten.

Vielbeachtetes Händeschütteln zwischen Kevin McCarthy, dem Republikaner und Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, und der Präsidentin Taiwans, Tsai Ing-wen.
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Ein solches Angebot kann Taiwan nicht ausschlagen. Mit nur noch 13 diplomatischen Verbündeten muss die umstrittene Insel jede Geste der Unterstützung annehmen, vor allem wenn sie von einem Vertreter der Schutzmacht USA kommt. Doch in Taipeh weiß man auch, dass man damit Pekings Zorn auf sich zieht. Ursprünglich wollte McCarthy nach Taiwan reisen, so wie seine demokratische Vorgängerin Nancy Pelosi im Sommer 2022. Unter der Hand wurde McCarthy zu verstehen gegeben, dass ein Treffen in den USA vielleicht besser wäre.

In Taipeh muss immer abgewogen werden: Hilft es, die Eigenständigkeit international zu betonen, oder schadet es mehr? Die Antwort darauf ist alles andere als leicht. Peking drohte bereits im Vorfeld des Treffens mit Vergeltung und lässt nun wieder militärisch seine Muskeln spielen. Die Taiwan-Frage sei eine "rote Linie, die in den Beziehungen zwischen China und den USA nicht überschritten werden darf", hieß es.

Unglückliches Dreieck

Doch was genau ist diese rote Linie? Darauf gibt es keine klare Antwort. Für China signalisieren jegliche Kontakte Taiwans mit US-Vertretern eine Abkehr von der Ein-China-Politik, die ja auch die USA akzeptieren. Aber über deren Interpretation herrscht Unklarheit: China sagt, es gibt ein China – und Taiwan ist Teil davon. Für die USA schließt Chinas Souveränität Taiwan hingegen nicht ein. Die Taiwan-Frage ist demnach ungelöst, die rote Linie muss ständig neu gefunden werden.

Washingtons Ziel ist es, Taiwan als westlich orientiertem Partner möglichst viel globalen Handlungsspielraum zu ermöglichen, ohne einen Angriff Chinas zu provozieren. In diesem unglücklichen Dreieck kann es keine Lösung geben, sondern nur ein pragmatisches Krisenmanagement und ein Hoffen auf bessere Zeiten.

Auch ein China-Hardliner wie McCarthy ist bereit, sich an dieser Abwägung über Kosten und Nutzen zu beteiligen. Deshalb hat er Tsai in Kalifornien und nicht in Taiwan getroffen. Peking, das gerade in mehreren internationalen Krisen als Friedensstifter auftreten will, sollte das anerkennen. (Anna Sawerthal, 6.4.2023)