Probiotika werden als die einfache, gesunde und schnelle Lösung für Verdauungsprobleme vermarktet. Doch so simpel ist es nicht, das Mikrobiom ist zu individuell. Viel besser helfen Gemüse und Sauerkraut.

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Es ist ein reges Treiben in uns, und das liegt nicht nur an den kiloweise Osterschinken und Osterpinzen, die in den vergangenen Tagen die Bäuche gefüllt haben. 39 Billionen Mikroorganismen leben in etwa in einem erwachsenen Menschen, die meisten davon im Darm. Sie machen unsere Darmflora aus, oder besser: das Mikrobiom, wie der neuere und wissenschaftlich genauere Begriff lautet.

"Wenn wir vom Mikrobiom sprechen, denken wir oft nur an Bakterien", sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber. Die Ärztin ist Spezialistin für Allergologie und Immunologie an der Medizinischen Universität Wien und beschreibt die Vielfalt an den menschlichen Schleimhäuten als "unglaublich komplexe Gemeinschaft". Denn die Bakterien sind nicht alleine, sie bilden das Mikrobiom gemeinsam mit Pilzen, Viren und Einzellern. Die Mikroorganismen verwerten Nährstoffe, produzieren Vitamine, regen die Produktion verschiedener Hormone an und unterstützen das Immunsystem bei Infektionen. Im Darm betrifft das auch die Stoffwechselprozesse der Verdauung. Die funktioniert gut, wenn der Stuhlgang regelmäßig und schmerzfrei ist.

Und ab da starten die Fragen. Denn was ist regelmäßig? "Von dreimal pro Tag bis dreimal pro Woche ist alles in Ordnung", sagt die Ernährungsberaterin Martina Steiner. Verdauung ist sehr individuell, ein paar Orientierungspunkte gibt es aber doch: Der Stuhl sollte weder zu hart noch zu weich, dafür aber wohlgeformt sein, nicht übel riechen und das Ausscheiden nicht wehtun. Kurzum: Auf die Toilette gehen sollte keine Anstrengung sein. Für immer mehr Menschen ist es das aber sehr wohl.

Schnelle Lösung in Tablettenform

Darmprobleme sind zur Volkskrankheit geworden. Bei einer Umfrage in Deutschland im Jahr 2017 gaben elf Prozent der Befragten an, mehrfach im Monat unter Magen- und Darmbeschwerden zu leiden. Eine Studie der belgischen University of Leuven zeigte sogar, dass 68,8 Prozent der Belgier und Belgierinnen Verdauungsprobleme haben. Sie klagen meist über Blähbauch und Blähungen, Durchfall und Krämpfe. Eine vermeintliche Lösung für diese Leiden steht nicht nur in den Regalen der Drogeriemärkte, sondern poppt auch immer häufiger in den sozialen Medien auf: Probiotika in Tablettenform, die den Darm reparieren sollen. Sie wirken wie das gesündere und vernünftige Gegenstück zu probiotischen Trinkjoghurts mit Lakto- oder Bifidobakterien. Kein Zucker, keine Kalorien – nur eine Kapsel voll mit Milliarden an Bakterienkulturen, die den Darm gesundmachen sollen und den ganzen Körper gleich mit.

"Ein Probiotikum kann schon Sinn machen", sagt Ernährungsberaterin Steiner, "wenn man etwa Antibiotika genommen hat oder nach einer Durchfallerkrankung im Urlaub das Mikrobiom einfach ein bisschen unterstützen möchte." Nur ist das Mikrobiom von Mensch zu Mensch verschieden. Ernährung und Medikamente, Lebensweise und Umgebung, frühkindliche Versorgung und nicht zuletzt die Genetik beeinflussen seine Zusammensetzung. Die käuflichen Probiotika dagegen sind Massenware.

"Natürlich gibt es Stämme, von denen man weiß, welche besonders gesundheitsfördernde Wirkung sie haben", sagt Untersmayr-Elsenhuber. Laktobazillen beeinflussen etwa die Dehnungsreize im Darm und können Schmerzen bei Luft im Darm vorbeugen. Bifidobakterien sorgen unter anderem dafür, dass das Glückshormon Serotonin produziert wird. Beide sind Milchsäurebakterien und kommen ganz natürlich etwa in Sauerkraut, Joghurt und Kefir oder auch sauren Gurkerln vor.

Gesunder Darm, gesunder Körper

Und auch sonst stecken durchaus Wahrheiten in den Versprechungen, die Darmgesundheit wirkt sich nämlich tatsächlich auf den restlichen Körper aus. Das Mikrobiom im Darm beeinflusst das Mikrobiom der Haut, ein gesunder Darm ist also die Grundlage für schöne Haut. Und das Gehirn kommuniziert über Darmmikroben und Botenstoffe mit dem Darm, diese Verbindung heißt Darm-Hirn-Achse. Darmbakterien und das Darmimmunsystem dürften chronologische neurologische Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose mitbedingen oder verschlimmern, an der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel gibt es ein Forschungsprogramm dazu. Und Forscherinnen und Forscher der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel konnten im vergangenen Herbst in einer Studie zeigen, dass Antidepressiva besser wirken, wenn Betroffene zusätzlich Probiotika einnehmen.

Der Darm ist sehr wichtig für das allgemeine körperliche Wohlbefinden. Umso wichtiger, dass er in Balance ist. Das ist auch das Ziel bei sämtlichen Mittelchen für Darmgesundheit: Das Mikrobiom, die Bakteriengemeinschaft, soll stabil sein, sich nicht allzu sehr von äußeren Umständen stören lassen. Egal ob Infektion oder Kontakt mit neuen Mikroorganismen, "unsere ureigenen Mikroorganismen sollen wieder in den gleichen Zustand zurückkehren können, der für uns gesund ist", sagt Untersmayr-Elsenhuber. "Wenn nach einer Verschiebung nicht mehr in den Ursprungszustand zurückgefunden wird, dann sprechen wir von einer Dysbiose des Mikrobioms." Und dann kann es auch zu den bekannten Darmproblemen kommen.

Dieser Ursprungszustand ist aber von Mensch zu Mensch verschieden. "Wir können noch keine guten Empfehlungen aussprechen, die Wissenschaft ist nicht so weit", sagt die Immunologin. Das Mikrobiom ist so individuell, auch Studien müssen personalisiert auf die Patientinnen und Patienten zugeschnitten werden. Das ist aufwendig, kompliziert und nur schwer in Allgemeinsätze zu übersetzen. "Was aber sicher nicht stimmt ist, dass ein Probiotikum jedem guttut oder bei bestimmten Beschwerden jedem hilft."

Welche Probiotika bei Darmbeschwerden?

In einer handelsüblichen Packung Probiotika sind 180 Tabletten, in jeder davon Milliarden lebende Bakterien, die Kulturen im Darm bilden sollen. Zwei Tabletten pro Tag mit genügend Wasser, so lautet die Verzehrempfehlung auf der Verpackung. Die enthaltenen Bakterienstämme sind genau gelistet, meist sind es zwischen zehn und 24 Milliarden Bakterien in fünf bis zehn Stämmen pro Kapsel.

Aber Achtung! Entgegen einer landläufigen Meinung hilft viel nicht unbedingt viel. "Die Stämme, die man zuführt, sind oft gar nicht die Stämme, die man brauchen würde", warnt Untersmayr-Elsenhuber. "Unter Umständen schafft man für die eigenen Bakterien sogar ein ungünstiges Klima und kann noch mehr Bauchschmerzen oder einen noch pralleren Blähbauch bekommen."

Ein wirksames Probiotikum müsste genau auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sein. Das ist eine Entscheidung, die man nicht allein vor dem Regal mit den Nahrungsergänzungsmitteln treffen kann. Selbst die Forschung kann hier noch keine genauen Auskünfte geben. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten hat 2018 deshalb von kommerziellen Stuhltests zur Analyse des Darm-Mikrobioms abgeraten. Man wisse schlicht noch zu wenig über Zusammenhänge und Auswirkungen.

Wohlfühlklima für die Bakterien

Selbst das perfekte Probiotikum für das eigene Mikrobiom wäre aber nur die halbe Miete. "Ich schlucke Tabletten mit lebenden Mikroorganismen. Wenn diese Bakterien in meinem Darm ein für sie unfreundliches Milieu vorfinden, wo sie nicht leben können, dann werden sie mit dem nächsten Stuhlgang einfach wieder ausgeschieden", sagt Ernährungsberaterin Steiner. Auch deswegen sei es wichtig, zusätzlich zu einer Probiotikakur auch die Ernährung umzustellen. "Man muss sich überlegen: Was brauchen diese Bakterien eigentlich? Wie kann ich ein Milieu schaffen, in dem sie sich wohlfühlen, sich vermehren und auch wirklich bestehen bleiben?"

Die Lösung hat man schon oft gehört: Ballaststoffe. Diese unverdaulichen Nahrungsfasern sind vor allem in Obst und Gemüse, Vollkornprodukten und Haferflocken, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen und Pilzen enthalten. Die Ernährungsgesellschaften im deutschsprachigen Raum empfehlen mindestens 30 Gramm pro Tag. Ballaststoffe lockern den Stuhl auf und dienen als Nahrung für Bakterien. Dann kann auch alles recht flott gehen. "Die Darmbakterien reagieren sehr schnell auf das, was wir essen. Man kann schon innerhalb einer Woche einen Unterschied in der Besiedelung feststellen", sagt Steiner. Einem angeschlagenen Mikrobiom sollte man trotzdem ein bisschen Zeit geben. Bis sich die Mikroorganismen nachhaltig angesiedelt haben und Kulturen bilden, kann es gut und gerne bis zu sechs Monate dauern. Also mehr als genug Zeit, um mit Porridge-Rezepten zu experimentieren oder sogar sein eigenes Sauerkraut anzusetzen. Das ist auch günstiger als die Tabletten. (Davinia Stimson, 10.4.2023)