"Wahlkampf" darf man ja eigentlich nicht sagen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wird nicht müde, mit semantischer Spitzfindigkeit auf der statutarisch korrekten Wortwahl zu beharren: Was da von 24. April bis 10. Mai stattfinde, sei keine "Wahl" sondern eine Befragung und statt "Kandidatinnen und Kandidaten" gebe es bloß Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Wirklich gewählt wird der oder die künftige SPÖ-Vorsitzende demnach erst am 3. Juni, auf dem Bundesparteitag.

Am Dienstag soll die endgültige Liste der Kandidatinnen und Kandidaten stehen, die Befragung beginnt am 24. April
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Die Vorgänge, die derzeit in der Sozialdemokratie zu beobachten sind, lassen sich freilich kaum von einem Wahlkampf unterscheiden: Es werden Programme präsentiert und Touren quer durch das Land organisiert, die Social-Media-Kanäle werden mit Werbepostings geflutet und die Anhängerschaft formiert sich rund um ihre jeweiligen Favoriten. Der Ton der Auseinandersetzung zwischen den Lagern wird – vor allem in der zweiten und dritten Reihe – rau.

Unberechenbarer Dreikampf

So richtig intensiv soll der Wettbewerb um die rote Spitzenposition dann nach den Osterfeiertagen losgehen, zumal am Dienstag die endgültige Liste der – sagen wir es trotzdem – Kandidatinnen und Kandidaten feststehen wird. Von den 73 Wesen, die sich angemeldet hatten, dürften wohl nur wenige überbleiben, die die formalen Kriterien erfüllen (Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, zur SPÖ und Nachweis von 30 Unterstützungserklärungen).

Schon jetzt scheint aber fix, dass es auf einen Dreikampf zwischen der Amtsinhaberin Pamela Rendi-Wagner und ihren Herausforderern, dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, hinausläuft. Die Erfolgschancen sind mangels belastbarer Erfahrungs- und Umfragewerte unberechenbar, auch Details zum Abstimmungsmodus sind noch offen. Immer deutlicher werden derweil die Strategien und Kampagnen, mit denen in den kommenden Wochen um die Gunst des sozialdemokratischen Parteivolks gerungen werden soll. Ein Überblick.

Doskozils Programm für interne Harmonie

Hans Peter Doskozil hat die programmatischen Punkte, die er als SPÖ-Chef forcieren will, bereits am Donnerstag vorgelegt. Das Papier ist derzeit noch relativ kurz, soll aber in den kommenden Wochen erweitert und konkretisiert werden. Wie zu erwarten richten sich einige Doskozil'sche Forderungen darauf, im Burgenland bereits umgesetzte oder projektierte Vorhaben auf ganz Österreich zu übertragen – etwa das Modell der Anstellung pflegender Angehöriger.

Hans Peter Doskozil setzt auf eine "Freundschaftstour" und auf weniger Konfrontation mit der Gewerkschaft
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Der Großteil der Positionen deckt sich mit jenen, die die SPÖ bisher schon vertreten hat, wird aber mitunter griffiger formuliert. So heißt es etwa anstelle des oft gehörten roten Plädoyers zur "steuerlichen Entlastung des Faktors Arbeit" in seinem Programm: "Wir wollen die Steuersenkungspartei für arbeitende Menschen sein."

Beim Thema Mindestlohn will es sich der Landeshauptmann offenbar im Zuge des Stimmenfangs nicht mehr mit der mobilisierungsstarken Gewerkschaft verscherzen. Während er in der Vergangenheit mit dem Ansinnen aufhorchen ließ, einen Mindestlohn auch ohne Zustimmung der Gewerkschaft per Gesetz verankern zu wollen, gibt er sich nun harmonisch: Dem Mindestlohn von 2000 Euro netto möchte er "im Einklang mit der Gewerkschaft" zur Geltung verhelfen.

Ein Symbol für Tradition setzt Doskozil mit seiner Ansage, die altehrwürdige Parteizentrale in der Löwelstraße beibehalten zu wollen.

Freundschaftstour am Wiener Rathaus vorbei

Seine deklarierten Unterstützerinnen und Unterstützer versammelt der Ex-Polizist unter der Rubrik "Wir für Dosko" auf seiner Website. Die burgenländische Dominanz in dem Personenkreis ist unübersehbar, ansonsten sind wenig klingende Namen dabei. Einzige Ausnahme: Der steirische Nationalratsabgeordnete und Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher. Im STANDARD-Interview hat Lercher dick aufgetragen und seine eigene politische Zukunft mit dem Abschneiden seines glorifizierten Genossen – Zitat: "Hans Peter ist der Kandidat der Bevölkerung" – verknüpft.

Lercher managt denn auch die "Freundschaftstour", die Doskozil ab nächster Woche durch alle Bundesländer absolviert. Vornehmlich an den Wochenenden will Doskozil dabei in kleinerem Rahmen mit der SPÖ-Basis ins Gespräch kommen. Geplant ist auch ein größeres Event in Knittelfeld am 23. April, dem letzten Tag vor Befragungsstart.

Alles andere als freundschaftlichen Grüße sandte Doskozil am Freitag ins Wiener Rathaus. Im Clinch mit Bürgermeister Michael Ludwig ist rhetorische Zurückhaltung passé, wie das Interview mit dem STANDARD zeigte, in dem Doskozil offen über die vermeintlich "starken Männer in Wien" spottete.

Babler startet in Arbeiterhochburg

Durch Österreich zu tingeln, das hat sich für die kommenden Wochen auch der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler vorgenommen. Unter dem Motto "Triff Andi" beginnt der Niederösterreicher, der seit kurzem auch im Bundesrat sitzt, schon am Dienstag seine Tour. Los geht es symbolträchtig in der oberösterreichischen Arbeiterhochburg Steyr, auch Termine während der dann bereits laufenden Mitgliederbefragung Ende April sind eingetaktet.

Andreas Babler stellt schon eine erste Regierungsbedingung auf, das Programm wird am Mittwoch in Traiskirchen präsentiert
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Wie der Austria Presse Agentur auffiel, sind bisher alle Bundesländer außer Salzburg unter Bablers Destinationen vertreten. Das ist insofern interessant als dort am 23. April eine Landtagswahl stattfindet, die zum Unmut der Landespartei seit Wochen von der bundesweiten Führungsdebatte überlagert wird. Der Salzburger Parteichef David Egger hat sich zwar noch nicht öffentlich festgelegt, aber zwischen den Zeilen immer wieder seine Präferenz für Doskozil durchklingen lassen.

Regierungsbedingung Unterhaltsgarantie

Sein politisches Programm will Babler am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in seiner Heimatstadt Traiskirchen vorstellen – bei ihm heißt der Termin wohlgemerkt "Wahlauftakt". Einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Inhalte bieten die skizzierten Forderungen auf seiner Wahlkampf-Website. Da geht es etwa um einen Rechtsanspruch auf gleichen Lohn für Männer und Frauen, der durchgesetzt werden soll, indem Unternehmen zu Lohntransparenz verpflichtet werden.

Neu ist, dass Babler bereits jetzt eine inhaltliche Regierungsbedingung ankündigt, sollte die Kür zum Parteichef gelingen. Er werde nur in die Regierung gehen, wenn eine staatliche Unterhaltsgarantie paktiert und rasch umgesetzt wird, schreibt er. Im Wesentlichen decken sich auch Bablers Ideen (zumindest in ihrer abstrakten Kontur) mit bereits bekannten Forderungen, die die SPÖ in der Oppositionsrolle verficht: zum Beispiel die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie einer Kindergrundsicherung.

Ein paar prominente Namen darf der als Außenseiter gestartete Babler mittlerweile zu seinem Unterstützerkreis zählen. Jüngst hat sich Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina im STANDARD als Babler-Anhänger geoutet. Auch bei der Parteijugend zieht Babler, selbst einstmals ein roter Jungfunktionär: Die Sozialistische Jugend empfiehlt, bei der Mitgliederbefragung für ihn zu votieren.

Rendi-Wagner defensiv

Bei der amtierenden Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner ist Wahlkampfverhalten derzeit nach außen hin kaum wahrnehmbar. Wobei: Sie war es, die Anfang März die Handlungsinitiative übernommen und Doskozil in aller Öffentlichkeit zum Duell um die Parteispitze aufgerufen hat, was über ungeplante Umwege schließlich in die aktuelle Situation mündete.

Pamela Rendi-Wagner hat die Mitgliederbefragung auf Umwegen ins Rollen gebracht, befindet sich aber kaum im Wahlkampfmodus
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Derzeit legt sie die Auseinandersetzung aber entschleunigt – man könnte auch sagen: defensiv – an. Zuletzt geriet sie mehr durch das Fernbleiben und die dafür verwendeten Begründungen zahlreicher SPÖ-Abgeordneter bei der Rede des ukrainischen Präsidenten in die Schlagzeilen als durch die Mitgliederbefragung. Als ihr Alleinstellungsmerkmal sieht sie den "Mut zur Verantwortung", den sie in krisenhaften Phasen für die SPÖ bewiesen habe – vor allem bei der Übernahme des Vorsitzpostens nach dem hastigen Abgang Christian Kerns 2018.

Stopptasten und Touren

Doch was hat sie für die kommenden Wochen geplant, um als Erstplatzierte das Rennen zu machen? Ihre Sprecherin erklärt auf STANDARD-Anfrage, dass sich Rendi-Wagner "auf ihre Arbeit als Klub- und Bundesparteivorsitzende der SPÖ konzentrieren" werde. Angesichts der schwierigen sozialen Lage "kann und darf es keine Stopptaste für die politische Arbeit der Sozialdemokratie geben." Rendi-Wagner will also offenbar mit dem Image einer staatstragend-verlässlichen Politikerin punkten, die sich nicht zu sehr in einem internen Wahlkampf verzettelt.

Eine Art von österreichweiter Tour zu den Mitgliedern soll es aber dennoch geben, auch wenn sie – womit wir wieder bei den sprachlichen Feinheiten wären – vom Team Rendi-Wagner nicht so bezeichnet wird. Die Parteichefin werde, schreibt ihre Sprecherin, "bei Bezirkskonferenzen auftreten, Ortsparteien und regionale Veranstaltungen besuchen, so wie sie das in den vergangenen Jahren auch gemacht hat." (Theo Anders, 8.4.2023)