Hans Peter Doskozil hat in seinem Büro im burgenländischen Landhaus keinen Schreibtisch, dafür viele schwere Ledersessel stehen. Sein Unterstützer, der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher, und er lassen sich in zwei davon sinken. Das Interview wird fast zwei Stunden dauern. Ein Best-of.

Hans Peter Doskozil (links), Max Lercher (rechts) und Bruno Kreisky (Mitte) im Büro des burgenländischen Landeshauptmanns.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Seit wann planen Sie die Machtübernahme?

Doskozil: Es geht nicht um eine Machtübernahme, sondern um eine demokratische Entscheidung. Das Drehbuch der letzten Wochen habe aber nicht ich geschrieben. Die aktuelle Parteispitze hat versucht, mit einem schnellen Sonderparteitag Fakten zu schaffen und alles beim Alten zu belassen. Da war ich gezwungen zu reagieren. In der Parteiführung gibt es ein elitäres Blasendenken und ein paar Leute, die glauben, sie können über richtig und falsch entscheiden. Diese angebliche moralische Elite in der SPÖ glaubt sogar, gegen die Mehrheit der Parteimitglieder auftreten zu können. Sagt man dann irgendwann auch, der Wähler hat geirrt?

STANDARD: Die Frage war, wann Sie beschlossen haben, die Partei übernehmen zu wollen.

Doskozil: Nicht lange. Wenn sich diese Dynamik nicht entwickelt hätte, wäre es so nicht gekommen.

STANDARD: Herr Lercher, Sie haben sich gerade als Unterstützer deklariert und persönliche Konsequenzen angekündigt, sollte Hans Peter Doskozil nicht Vorsitzender werden. Was meinen Sie damit?

Lercher: Ich gehe davon aus, dass Hans Peter gewinnt. Aber im anderen Fall würde ich nicht mehr kandidieren. Wir stehen an einer Querung. Entweder wir lösen die elitären Zirkel jetzt auf, oder es wird die SPÖ, wie ich sie mir vorstelle, nicht mehr geben. Es geht nicht nur um die aktuelle Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, sondern auch um die zweite und dritte Reihe hinter ihr. Es geht darum, dass es in der Partei Machtblöcke gibt, die nicht mehr für die Sozialdemokratie arbeiten, sondern nur für sich selbst.

STANDARD: Sie haben inzwischen fünf Nationalratsabgeordnete hinter sich. Bedeutet: Klubstärke. Würden Sie gegebenenfalls eine Abspaltung planen?

Doskozil: Das ist ausgeschlossen.

STANDARD: Ihre Anhänger würden persönliche Konsequenzen ziehen, wenn Sie nicht Parteichef werden, Herr Doskozil. Und Sie?

Doskozil: Meine persönliche Konsequenz wäre, dass ich auf einem Bundesparteitag als Zweiter nicht antreten würde. Auch nicht, wenn ich nur eine Stimme hinten liege. Andreas Babler sagt, dann soll es auf dem Bundesparteitag eine Stichwahl geben. Für mich ist klar: Die relative Mehrheit der Basis entscheidet.

STANDARD: Sie bleiben dann aber Landeshauptmann?

Doskozil: Solange es mir hier nicht vorgeworfen wird, dass ich mit dem Bund geliebäugelt habe, bleibe ich. Wenn ich aber im Burgenland in Umfragen hinter die Werte meiner Partei zurückfalle, die Partei runterziehe, dann würde ich zurücktreten.

STANDARD: Klären wir ein paar essenzielle Fragen: Sollten Sie Parteichef werden, sind Sie definitiv auch Spitzenkandidat bei der nächsten Wahl?

Doskozil: So ist es.

"In Österreich wird man immer in Schubladen eingeteilt. Man ist ein Linker, ein Rechter, ich weiß nicht was", sagt Hans Peter Doskozil.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Es wurde medial über eine Doppelspitze bestehend aus Ihnen und Ex-Kanzler Christian Kern spekuliert. Das ist ausgeschlossen?

Doskozil: Das wird es nicht geben.

STANDARD: Aber Christian Kern ist Teil Ihres Teams?

Doskozil: Christian Kern spricht für sich selbst. Wir werden für alle wichtigen Themen Schlüsselspieler an der Spitze brauchen. In wirtschaftlichen Fragen gibt es sicher kaum kompetentere Köpfe als Christian Kern.

Lercher: Der Grund, warum ich hier sitze, ist, dass wir endlich wieder die Systemfrage im Sinne der vielen stellen müssen.

Doskozil: Da geht es nicht um Schlagworte wie Miete, Pflege, Wohnen. Man muss wissen, wie die Pflege organisiert und finanziert wird. Man muss wissen, wie das Gesundheitssystem funktioniert. Warum haben wir eine Zweiklassenmedizin? Warum wollen viele da nicht raus? Man muss es verstehen und dann das ganze System ändern.

STANDARD: Wofür würde eine Doskozil-SPÖ stehen – in drei Sätzen?

Doskozil: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Und die Themen müssen so behandelt werden, dass man sich in das Lebensgefühl der Betroffenen versetzt. Dafür braucht es Willen und Empathie ...

STANDARD: ... das waren drei Sätze.

Doskozil: Die SPÖ erklärt sich nicht mit drei Sätzen.

STANDARD: In einem Wahlkampf müssen Menschen auch in aller Kürze verstehen, wofür jemand steht.

Doskozil: Die Zeit der großen Wahlversprechen ist vorbei, das glauben einem die Leute sowieso nicht mehr. Man muss Lösungen finden – gegen alle Widerstände. Will man weg von der Zweiklassenmedizin, wird man die Ärztekammer gegen sich haben, die Systembewahrer gegen sich haben. Aber wenn man die Bevölkerung hinter sich hat, kann man alles schaffen.

Lercher: Hans Peter ist der Kandidat der Bevölkerung.

Einig sind sich Hans Peter Doskozil und Max Lercher nicht nur politisch, sondern auch in ihrer Kritik an der aktuellen roten Parteiführung.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Würden Sie sich als Sozialisten bezeichnen?

Lercher: Die Steirer werden als Kernöl-Sozialisten bezeichnet. Das sehe ich nicht als Schimpfwort.

Doskozil: In Österreich wird man immer in Schubladen eingeteilt. Man ist ein Linker, ein Rechter, ich weiß nicht was. In der Asyl- und Migrationspolitik bin ich jemand, der sich aufs geltende Recht beruft. Und deshalb bin ich ein Rechter?

STANDARD: Im sogenannten Kaiser-Doskozil-Papier fordert die SPÖ Asylzentren außerhalb Österreichs und mehr Außengrenzschutz. Das will die ÖVP auch. Was unterscheidet Ihren Zugang von jenem Karl Nehammers?

Doskozil: Wenn jemand Schutz braucht, gibt es nichts zu diskutieren. Zentral ist, wie wir mit Menschen umgehen, die rückgeführt werden müssen. Wenn ich 90 Prozent der Abschiebungen als Staat nicht realisieren kann, haben wir ein Problem. Darum sollte sich die ÖVP kümmern, die ist zuständig.

STANDARD: Aber machen wir es konkret: Soll man Geflüchtete, wenn sie eine Straftat begehen, abschieben?

Doskozil: Dafür muss man sich die Situation im jeweiligen Land anschauen. Menschen in ein Land zurückzuführen, in dem ihnen der Tod droht, würde ich nie vertreten.

STANDARD: Sollen Flüchtlinge ab Tag eins arbeiten dürfen?

Doskozil: Nein. Das wird jetzt aber kein Wordrap, oder?

STANDARD: Na ja, wir wollen wissen, wie Sie ticken.

Doskozil: Bei welchen Themen weiß man das nicht? Sollen Nichtstaatsbürger über die kommunale Ebene hinaus wählen dürfen?

STANDARD: Jetzt stellen Sie sich schon selbst Fragen?

Doskozil: Die Antwort lautet: nein.

STANDARD: Ist der Klimawandel einzubremsen, ohne dass Menschen auf etwas verzichten müssen?

Doskozil: Es ist in der Politik immer schlecht, zu sagen: Du musst das oder das machen! Hat man bei der Impfpflicht gesehen. Es geht um eine Änderung von Verhaltensweisen – dafür müssen wir überzeugen.

Unterstützer Max Lercher hält Hans Peter Doskozil im roten Streit um die Parteispitze für den "Kandidaten der Bevölkerung".
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Gehören die Reichen geschröpft?

Doskozil: Wir müssen vor allem über die niedrigen Gehälter reden. Ein Mechaniker verdient keine 1.700 Euro im Monat. Und was bekommt eine Friseurin? 1.200 Euro? Manche sagen mir: Die Wirtschaft kann sich höhere Löhne nicht leisten. Aber die SPÖ muss auf die Arbeitnehmer schauen. Ich kann nur sozialen Frieden schaffen, wenn wir einen spürbaren Abstand zwischen Gehältern und der Mindestsicherung hinbekommen, ohne die Mindestsicherung zu kürzen. Außerdem braucht es faire Steuern auf hohe Vermögen.

STANDARD: Herr Lercher, was ist eigentlich Ihr Problem mit Pamela Rendi-Wagner?

Lercher: Ich habe kein persönliches Problem mit ihr. Es geht um eine Klärung, wofür die SPÖ steht. Und da glaube ich, dass die Vorsitzende und ihr Umfeld das nicht schaffen.

STANDARD: Zum Abschluss noch eine Frage an Sie, Herr Doskozil. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig gilt als der mächtige Mann, der ...

Doskozil: Wer sagt das?

STANDARD: Bestreiten Sie gerade, dass Michael Ludwig ein mächtiger Sozialdemokrat ist?

Doskozil: Denken Sie einmal zurück ins Jahr 2016, als Christian Kern Nachfolger von Werner Faymann an der SPÖ-Spitze wurde. Wen wollte Wiens Bürgermeister Michael Häupl damals nicht dort sehen?

STANDARD: Christian Kern.

Doskozil: Und wer ist es geworden? So viel zu den starken Männern in Wien. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 8.4.2023)