Tony Blair war vor 25 Jahren britischer Premierminister. Er verkündete am 10. April 1998 den Verhandlungserfolg im Nordirland-Konflikt. In diesem Gastkommentar erinnert er sich an die Ereignisse damals und erläutert, was wir heute daraus lernen können.

Der britische Premier Tony Blair (re.), US-Senator George Mitchell (Mitte) und der irische Premierminister Bertie Ahern nach der Unterzeichnung des historischen Abkommens 1998.
Foto: APA / AFP / DAN CHUNG

Vor 25 Jahren präsentierte ich gemeinsam mit dem irischen Premierminister Bertie Ahern, US-Präsident Bill Clinton und den Vorsitzenden der vier größten Parteien Nordirlands die später als Karfreitagsabkommen bezeichnete Übereinkunft. Sie legte einen jahrzehnte- und aus Sicht vieler jahrhundertelangen Konflikt bei, der tausende Tote und unsägliche Trauer und Zerstörung verursacht hatte.

Der von dem Abkommen herbeigeführte Frieden war – wie die dadurch hervorgebrachten Institutionen – zerbrechlich und nicht perfekt, und bleibt es bis heute. Doch vergleicht man das heutige Nordirland mit dem vor einem Vierteljahrhundert, kann man das Erreichte mit Fug und Recht als Transformation bezeichnen. Der Frieden hat gehalten, die Wirtschaftskraft hat sich verdoppelt, und das früher von Stacheldraht und Militärpatrouillen geprägte Belfast ist heute eine florierende europäische Großstadt mit aufstrebendem Technologiesektor und pulsierendem Nachtleben.

Wie gelingt Frieden?

Wir haben an diesem Jahrestag also Anlass zu vorsichtigem Jubel. Es fällt schwer, sich eines anderen wirklich erfolgreichen Friedensprozesses der jüngeren Geschichte zu besinnen.

Ich werde oft gefragt, ob sich aus dem Abkommen Lehren zur Konfliktbeilegung anderswo auf der Welt ziehen lassen. Die Wahrheit ist, dass jeder Konflikt einzigartig ist und sich in Bezug auf seine Ursache, Dauer, Unterstützung von außen und viele andere Faktoren von anderen unterscheidet. Trotzdem sind einige Lehren erkennbar und es wert, sie herauszustellen.

Notwendige Basis

Erstens kann der Frieden keine Wurzeln schlagen ohne eine vereinbarte Grundstruktur, die von beiden Seiten als konzeptionell fair angesehen wird. Im Falle Nordirlands war der zentrale Aspekt des Abkommens das Prinzip der demokratischen Mehrheitsentscheidung: Die Befürworter eines vereinigten Irlands mussten akzeptieren, dass der Norden so lange Teil des Vereinigten Königreichs bleiben würde, wie eine Mehrheit der Menschen dort das wünscht. Dies war ein großes Zugeständnis an die nordirischen Unionisten.

Im Gegenzug akzeptierten die Unionisten den Grundsatz gleicher und fairer Behandlung für die nationalistische, überwiegend römisch-katholische Bevölkerung, gestützt durch neue Institutionen in Bereichen wie Polizei und Justiz sowie durch die Anerkennung – durch Zusammenarbeit mit der Irischen Republik – des nationalistischen Ziels der Einheit Irlands.

"Frieden zu schaffen erfordert Zeit, Geduld, Kreativität und verbissene, unermüdliche Entschlossenheit."

Doch zeigt der auf der sogenannten Zwei-Staaten-Lösung basierende moribunde israelisch-palästinensische Friedensprozess, dass eine Grundstruktur allein nicht ausreicht. Daher bedarf ein Friedensprozess zweitens der ständigen Aufmerksamkeit der Beteiligten. Eine vereinbarte Grundstruktur ist nur der Anfang. Sie ist der Fahrplan, nicht das Ziel.

Frieden zu schaffen erfordert Zeit, Geduld, Kreativität und verbissene, unermüdliche Entschlossenheit. Friedensprozesse sind, wie der Name schon sagt, Prozesse und keine Ereignisse. Daher verbrachten wir insgesamt neun lange Jahre mit der Umsetzung – mit vielen Krisen, Rückschlägen und Stolpersteinen. Diese hätten den Prozess, wenn wir nicht persistiert hätten, sämtlich zum Scheitern bringen können.

Hilfe von außen

Drittens dürfen die Verhandlungsführer keine Angst haben, sich Hilfe von außen zu holen. "Niemand versteht unseren Streit so gut wie wir", sagen sie. Und das stimmt. Aber manchmal besteht der Schlüssel zur Beilegung des Disputs darin, dass man ihn nicht auf gleiche Weise versteht. Die Interventionen durch Clinton und US-Senator George Mitchell und der spätere Besuch von Präsident George W. Bush in Nordirland und seine Unterstützung für den Prozess erfolgten an Punkten, die entscheidend dabei waren, Strukturen für eine finanzielle und politische Unterstützung sicherzustellen. Auch die EU suchte immer nach Möglichkeiten, um zu helfen, und ihre Flexibilität angesichts der jüngsten Brexit-bedingten Turbulenzen in Nordirland ist ein weiteres klassisches Beispiel, wie Unterstützung von außen helfen kann, interne Spannungen zu überwinden. Man sollte Außenstehende daher nicht fürchten, sondern nutzen.

Beispielhafte Führung

Dies erfordert natürlich eine vierte Komponente: beispielhafte Führung. Ohne diese hätte es nie Frieden in Nordirland gegeben. Es bedurfte der Bereitschaft der beteiligten Politiker, ihren Anhängern unangenehme Wahrheiten zuzumuten, Kritik zu akzeptieren und die schrillen Schreie über Verrat auszuhalten. Es gab während des Prozesses immer wieder Momente, wenn das Einfachste, was man hätte tun können, im Widerspruch zu dem stand, was richtig war. Zum Glück hatten wir es mit Führungspersönlichkeiten zu tun, die – häufig unter hohen persönlichen Kosten – bereit waren, den richtigen und nicht den einfachsten Weg einzuschlagen.

Offen, freimütig, strategisch

Fünftens ist ein erfolgreicher Prozess wahrscheinlicher, wenn die Beteiligten einander vertrauen. Ich erzähle Studentinnen und Studenten immer, dass Politik etwas Persönliches ist; es geht dabei um zwischenmenschliche Beziehungen. Weil es so viele schwierige Fragen beizulegen gilt, weil die Politik jedes Einzelnen in andere, womöglich gegenteilige Richtungen weist, muss man Gespräche führen können, die offen, freimütig und strategisch ausgerichtet sind.

Ihr Partner innerhalb des Prozesses hat ein Problem? Betrachten Sie es von seiner Warte aus. Diskutieren Sie es. Finden Sie gemeinsam eine Lösung. Freundschaft mag dabei schwer erreichbar sein, aber Partnerschaft ist es nicht.

Vertrauen entwickeln

Sechstens müssen sich alle Beteiligten bewusst machen, dass der Konflikt zu tiefstem Misstrauen geführt hat. Eine Einigung zu erzielen ist nicht dasselbe, wie Vertrauen zu entwickeln. Ersteres ist eine Formalität. Letzteres ist Gefühlssache. Erkennen Sie das offen an. Wege zu suchen, um Vertrauen aufzubauen, ist eine Investition, die enorme Dividenden bringt.

Veränderung erkennen

Und schließlich siebtens: Geben Sie nie auf. Die Menschen sind so zynisch, was die Politik betrifft, gewöhnlich weil sie kaum Veränderungen in ihrem täglichen Leben erkennen. Aber treten Sie einen Moment zurück. Der breite Pinselstrich der Geschichte ähnelt einem impressionistischen Gemälde: Was aus der Nähe verschwommen aussieht, offenbart sich aus der Entfernung.

"Frieden in unserer Zeit" – das war in Nordirland lange unvorstellbar. Ein Graffiti auf einer Mauer in der Northumberland Street in Belfast.
Foto: EPA / Mark Marlow

Aus dem Abstand von 25 Jahren ist erkennbar, dass das Karfreiagsabkommen einen echten, weitreichenden Wandel bewirkt hat. Viele, die heute leben, sind die Nutznießer. Ob sie das wissen oder darüber nachdenken, ist unwichtig. Wichtig ist, dass es geschlossen wurde. (Tony Blair, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 10.4.2023)