Gesellschaftliche Erwartungen, die es für Väter nicht gibt, machen Druck auf Mütter, sagt die Soziologin Eva-Maria Schmidt in ihrem Gastkommentar. Und damit ist nicht Vollzeiterwerbsarbeit gemeint.

Wie wird Mutterschaft heute gelebt? Die Norm ist Vollzeit dem Kind zugewandt, nicht der Erwerbsarbeit.
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Entscheidungen, ob, wie viel, wann und wie lange man arbeiten möchte, beruhen nicht immer auf einem freien Willen. Wenn kein anderer Elternteil die Betreuung übernimmt und Bildungs- und Betreuungseinrichtungen vor dem Mittagessen und in den Ferienzeiten schließen, gibt es keinen großen Entscheidungsspielraum. Abgesehen davon gibt es in Österreich aber eine weitere maßgebliche und wirksame Richtschnur: weitverbreitete Überzeugungen, wie Elternschaft gelebt werden sollte. Sie lassen individuelle Entscheidungen oftmals als vermeintlich freiwillige erscheinen. Eltern, die entsprechend diesen wirkmächtigen Vorstellungen leben, wollen es so und ernten den geringsten Widerstand. Was wissen wir über diese sozialen Normen?

Laut der Europäischen Wertestudie sind mehr als die Hälfte aller in Österreich befragten Menschen überzeugt davon, dass "das Familienleben darunter leidet, wenn die Frau Vollzeit berufstätig ist". Auch dass "Kinder unter der Berufstätigkeit der Mutter leiden", wird von knapp der Hälfte der Befragten bejaht. Ob dies auch im Falle einer Berufstätigkeit des Vaters zuträfe, erhebt die Wertestudie erst gar nicht. Im Vergleich mit den 33 teilnehmenden europäischen Ländern liegt die Zustimmung in Österreich unter den höchsten zehn.

"Der 'Sinn und Zweck einer Mutter' wird darin gesehen, dass diese ihrem Kind aufmerksam zugewandt ist, sich liebevoll um das Kind kümmert und für das Kind sorgt, so lange und umfassend wie möglich."

Welche Überlegungen stehen hinter dieser Zustimmung? Von welchen unhinterfragten Annahmen und Erwartungen an eine gute Mutter gehen Eltern und Nicht-Eltern, Frauen und Männer, Ältere und Jüngere, ganz selbstverständlich aus? In Gruppendiskussionen und Gesprächen der Studie "Normen rund um Mutterschaft" wird der "Sinn und Zweck einer Mutter" darin gesehen, dass diese ihrem Kind aufmerksam zugewandt ist, sich liebevoll um das Kind kümmert und für das Kind sorgt, so lange und umfassend wie möglich. Mehr oder weniger wird unhinterfragt davon ausgegangen, dass eine Mutter ihr Leben und ihre Bedürfnisse nach den Bedürfnissen des Kindes ausrichtet, dass sie am besten geeignet ist, eine symbiotische Beziehung mit dem Kind aufbauen zu können, um wissen und erkennen zu können, was das Kind braucht und wann dessen Bedürfnisse auch ausreichend erfüllt sind.

Gute Mütter

Lange bevor Frauen noch überlegen oder entscheiden, ein Kind zu bekommen, aber auch dann, wenn sie bereits Mutter sind, sind diese Erwartungen für Frauen deutlich spürbar. Sie erfahren sie aus unterschiedlichsten Begegnungen und lesen zwischen vielen Zeilen im Austausch mit anderen: Am ehesten können (und sollten) sie diesen Erwartungen entsprechen, wenn sie als Mutter beim Kind sind, für das Kind da sind, zu Hause, zusammen, zugänglich und erreichbar, je mehr und je länger, desto besser. Erst dann wäre nicht nur das Kind, sondern vor allem eine Mutter glücklich: "Erst dann kann eine Mutter eine gute Mutter sein." Oder: Wenn sie arbeiten muss, kann sie das nicht.

"Für Mütter werden Teilzeitangebote auch in Führungspositionen aus dem Boden gestampft."

Derartige Erwartungen, die es für Väter in dieser Form nicht gibt, machen nur eingeschränkt vorstellbar und denkmöglich, dass eine Mutter Vollzeit erwerbstätig ist. Eine Mutter wird gefragt, weshalb sie denn überhaupt ein Kind bekomme, wenn sie dann so viel arbeite und jemand anderer ihr Kind betreue, und ob sie denn nicht leide. Für Mütter werden Teilzeitangebote auch in Führungspositionen aus dem Boden gestampft. "Mamis" wird angeboten, ein erstes, gut bezahltes Jahr in Elternkarenz mit einem Jahr Bildungskarenz zu verlängern. Von Vätern wird erwartet, sich "zu beteiligen", und zwar neben ihrer weiterhin erwarteten und unhinterfragten Vollzeiterwerbstätigkeit, die in manchen Fällen von einer (kurzen) "Väterkarenz" unterbrochen wird.

"Für Mütter und für Väter ist es ein Kraftakt, aus diesem Korsett an normativen Erwartungen auszubrechen, ein mühsames Schwimmen gegen diesen Strom."

Daher kommen nicht nur Frauen unter immer größeren Zeit-, Leidens- und Rechtfertigungsdruck, sondern auch Männer. Daher ist es für Mütter und für Väter ein Kraftakt, aus diesem Korsett an normativen Erwartungen auszubrechen, ein mühsames Schwimmen gegen diesen Strom. Daher unterbricht für 83 Prozent der Kinder ausschließlich deren Mutter ihre Erwerbstätigkeit. Daher arbeiten Frauen mittlerweile mehrheitlich in Teilzeit, bis das jüngste Kind 15 Jahre alt ist und wenn sie einen Partner haben, der Vollzeit arbeitet. Daher wollen sie maximal ihre Teilzeitstundenanzahl "aufstocken".

Mütter arbeiten daher meist "freiwillig" in Teilzeit. Weil ihnen die "Kinderbetreuungspflichten" und Hauptverantwortung für die gelungene Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder zugeschrieben werden, und nicht dem anderen Elternteil. Weil ihnen auch eher die Schuld für traurige oder unter "Fremdbetreuung" leidende Kinder zugeschrieben wird. Weil sie sich vor Kritik und ihrem schlechten Gewissen schützen möchten, wenn sie den verinnerlichten Normen der guten Mutter nicht entsprechen.

Gute Väter

Solange nicht auch Männern Betreuungspflichten, Sorgeverantwortung und Erziehungskompetenzen zugeschrieben werden; werdende Väter nicht auch gefragt werden, wie sie ihre Elternkarenz planen und ihnen auch unterschiedliche Arbeitszeitmodelle angeboten werden; Bildungs- und Betreuungseinrichtungen nicht auch ausgebaut werden, um Väter und Männer mit Betreuungspflichten in ihrer Erwerbstätigkeit zu unterstützen – so lange werden sich die freiwilligen Entscheidungen der Mütter und Väter kaum verändern. (Eva-Maria Schmidt, 9.4.2023)