"Meistersinger"-Tumulte bei Richard Wagner witzig präsentiert.

Reinhard Winkle

Man hat sich ja schon längst daran gewöhnt, dass an der Stelle der ehemaligen Blumauerkreuzung das markante Gebäude des Musiktheaters Linz seine ausladende Eingangsfront zum Volksgarten und zur Innenstadt hin richtet. Und doch sind es erst zehn Jahre – oder sollte man besser sagen: schon zehn? Wie dem auch sei: Ganz offensichtlich wurde zum Jubiläum eine besondere Herausforderung gesucht und in Richard Wagners "Meistersingern von Nürnberg" gefunden – einer "Festoper" mit hinlänglich bekannter, wechselvoller Geschichte. "Ehrt eure deutschen Meister …" – diese Zeilen dann ausgerechnet in Linz?

Ohne schwere Emphase und Pathos

Um es vorwegzunehmen: Das Stück funktioniert hier aus mehreren Gründen bestens, zum einen, weil für die Erzählung ein überraschender und erstaunlich gut funktionierender Rahmen gefunden wurde, zum anderen schlicht und ergreifend aufgrund der gebotenen musikalischen Exzellenz.

Voll und ganz eingelöst wird dieser Anspruch von Chefdirigent Markus Poschner mit seinem Bruckner Orchester Linz: mit fließenden Tempi, Schwung und Kraft ohne Kraftmeierei und mit unglaublicher Transparenz und genauer Durchgestaltung. Der festliche Tonfall kommt – beginnend mit dem geradezu entschlackt, aber voller Elan gebrachten Vorspiel – völlig ohne schwere Emphase und Pathos daher, atmet vielmehr geradezu elegante Leichtigkeit.

Durchhörbare Prügelfuge

Die polyphonen Passagen sind von selten gehörter Klarheit, sie kulminieren in einer wuchtigen, massiven, aber dabei immer noch durchhörbaren Prügelfuge am Ende des zweiten Aktes. Grandios! Gegenüber den Sängern agieren Dirigent und Orchester verlässlich wie ein Uhrwerk und flexibel wie ein Mittelverteidiger, wobei das flüssige Grundtempo dazu beiträgt, dass die viereinhalb Stunden reine Spielzeit so kurzweilig verfliegen wie selten.

Mit dem, was auf der Bühne passiert, hat dieser Eindruck natürlich auch zu tun. Denn Regisseur Paul-Georg Dittrich hat einen Dreh gefunden, um das gesamte ideologische Paket des Stücks gar nicht so sehr ins Spiel kommen zu lassen. Den Satz "Mir ist, als wär’ ich gar wie im Traum!" aus dem zweiten Akt nimmt die Produktion wörtlich und erzählt das gesamte Geschehen als Traum von Eva, die offensichtlich noch mit ihrem Teddybären im Kinderzimmer wohnt und sich dort das Ideal eines Märchenprinzen vulgo Ritters herbeiphantasiert.

Unzahl schlüssiger Bilder

Andere Charaktere sind zu Beginn Spielfiguren aus einem Schachspiel oder Aufziehpuppen, im Mittelakt wird Eva nolens volens zum Spielball der Männer, während sich das Setting als das Innere eines Flipperautomaten entpuppt. Übrigens wechselt das Bühnenbild von Sebastian Hannak quasi mehrfach die Dimension, lässt Räume und Gegenstände um ein Vielfaches schrumpfen, als begäbe sich Wagner mit Alice ins Wunderland.

Alles ist "nur" ein Spiel, alles "nur" ein Traum – mit dieser doppelten Distanzierung entfernt sich das von Wagner ausdrücklich als Komödie verstandene Stück von jedwedem Bierernst, und zwar egal, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet. Zusammengehalten werden die szenische und die musikalische Seite dadurch, dass Dittrich neben seinen traumlogischen – also oft sprunghaften – Assoziationen Wagners Musik sehr genau zugehört und eine Unzahl an schlüssigen Bildern und Vorgängen gefunden hat.

Viele Meister

Wenn sich Manuela Leonhartsberger als quirlige Magdalena und Matjaž Stopinšek als David – stimmlich beide mustergültig – anfangs wie Automaten bewegen, spiegeln sie Facetten der Partitur, die damit in anderem Licht erscheinen. In kindlicher Dauerbewegung wuselt die energische Erica Eloff als Eva Pogner durch das Geschehen, Dominik Nekel ist ihr nobler, sonorer Vater Veit.

Als Beckmesser vereint Martin Achrainer auch vokal groteske Züge mit großzügigem Wohlklang, seine Nummern (von Wagner als Karikaturen gemeint) bringt er mit gewinnendem Drive. Robust und strahlend schmettert Heiko Börner Walthers Gesänge, und als wortgewaltiger Hans Sachs gestaltet Claudio Otelli ein tiefschürfendes Psychogramm zwischen Sendungsbewusstsein, wütender Verve und niedergeschmetterter Verzweiflung – ist es doch in dieser Inszenierung Eva und nicht Walther, die vor dem Schlussmonolog den Meistern abschwört.

Ein Buh, viel Applaus

Auf dem erwähnten Flipper wird übrigens dann auch Wagner "gespielt" – ein ziemlich schräges Bild, das im dritten Akt dazu genutzt wird, dass auch noch etliche weitere Spielgeräte mit anderen Komponisten anrollen. Und das führt zu einer echten Pointe: dass es neben den besungenen deutschen Meistern auch noch italienische, französische, russische … gibt – und dass Richard Wagner nur einer von vielen ist. Allein das dürfte manchen hartgesottenen Wagnerianern sauer aufstoßen.

Einige Buhs mischten sich in den überwiegend freundlichen bis begeisterten Premierenapplaus. (Daniel Ender, 9.4.2023)