"Sie haben es darauf ankommen lassen, dass es einmal einen Toten geben wird – jetzt haben sie ihn", erklärte am Osterwochenende die verzweifelte Mutter des 26-jährigen Joggers, der vergangene Woche bei einer Trainingsrunde in den Wäldern nahe seines Wohnorts Caldes im Trentino von einem Bär angefallen und getötet wurde. Die Familie des Joggers hat einen Anwalt engagiert und strebt eine Klage gegen die Behörden an. "Wir wollen Gerechtigkeit", sagte die Mutter.

Braunbären (Symbolfoto aus Finnland) scheuen laut Fachleuten normalerweise die Nähe zu Menschen.
Foto: imago images/Westend61

Es könne doch nicht sein, dass ihr Sohn unweit seines Wohnorts auf diese Weise sein Leben habe lassen müssen – die Behörden seien schließlich auch für den Schutz der Menschen verantwortlich, nicht nur für den Schutz der Bären.

Auch viele andere Einheimische sind erschüttert wegen des Todes des jungen Mannes. Trotz des schönen Wetters trauten sich zu Ostern auch kaum noch Touristen in die Wälder rund um Caldes.

Keine Chance

Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass in Norditalien ein Mensch von einem Braunbären attackiert und getötet wurde. Der Jogger hatte sich offenbar noch mit einem Holzstock zu wehren versucht, hatte aber gegen den Bären – das wohl größte in dieser Region lebende Raubtier – keine Chance.

Normalerweise leben die Braunbären laut Aussagen von Fachleuten scheu im Wald und meiden die Menschen, die für sie auch keine Beute darstellen. Eine Ausnahme bilden die sogenannten "Problembären", die sich an die Präsenz der Menschen gewöhnt haben, in menschliche Siedlungsgebiete vordringen und etwa in Hühnerzuchten und Ställe einbrechen. Gefährlich kann aber auch ein "normaler" Bär werden – wenn er in seinem Lebensraum von einem Menschen überrascht wird und sich bedroht fühlt. Besonders aggressiv verhalten sich Bärinnen, die ihre Jungen beschützen.

Auch wenn Zwischenfälle mit Bären prinzipiell relativ selten sind und meist vergleichsweise glimpflich enden: Nach dem Tod des Joggers steht nun das gesamte Bärenschutz-Projekt im Nationalpark Adamello-Brenta, südwestlich von Bozen, nordwestlich von Trient, am Pranger – zumindest im politischen Sinne.

Projekt von EU mitfinanziert

Das Projekt "Life Ursus" war Ende der 1990er Jahre ins Leben gerufen worden und wird unter anderem auch von der Europäischen Union mitfinanziert. Nachdem vom natürlichen einheimischen Bärenbestand im Trentino (neben Südtirol eine der beiden autonomen Provinzen im Norden Italiens) nur noch drei männliche Tiere übrig geblieben waren, wurden zehn Jungbären aus Slowenien importiert und ausgewildert.

Der Erfolg des Projekts überraschte selbst die Expertinnen und Experten: Die Bären vermehrten sich rasant und heute wird der Bestand bereits auf über 100 erwachsene Tiere und 20 Bärenjunge geschätzt. 15 Bären sollen sich allein in der Umgebung von Caldes tummeln.

Das erscheint den Lokalbehörden nun zu viel des Guten. Der Präsident autonomen Provinz Trentino, Maurizio Fugatti von der rechtsnationalen Lega, hat bereits einen Abschussbefehl für den mutmaßlichen "Täter" gegeben, der freilich mit Hilfe von DNA-Analysen erst noch identifiziert werden muss.

Von Fugattis Order sind gleich noch drei weitere als "Problembären" deklarierte Tiere betroffen. Der rechte Politiker ist bezüglich der Braunbären bekannt als Hardliner, konnte sich aber gegen die nationalen Behörden und gegen das Umweltamt Ispra bisher nie durchsetzen.

Proteste gegen "Vendetta"-Politik

Jetzt sieht er aber die Stunde der "Vendetta", der Rache, gekommen: Neben den vier Problembären will er gleich auch noch die Hälfte des Bärenbestandes loswerden, also mindestens 50 weitere Tiere. Sein Fernziel ist aber letztlich ein Trentino ganz ohne Bären: Nach dem Tod des Joggers könne das Projekt Life Ursus insgesamt "nicht von Dauer" sein, erklärte Fugatti.

So weit wird es wohl nicht kommen – schon allein deshalb, weil die Braunbären in der EU unter strengem Artenschutz stehen. Tier- und Naturschutzorganisationen machen bereits mobil gegen die geplanten Ausmerz-Aktionen: Der nationale Tierschutzbund Enpa spricht von einem drohenden "Pogrom" gegen die Bären, das nichts mit Prävention zu tun habe.

Der Präsident der autonomen Provinz Trentino, Maurizio Fugatti von der rechtsnationalen Lega, will rund 50 Bären eliminieren lassen.
Foto: AFP/PIERRE TEYSSOT

Die größte italienische Umweltorganisation, Legambiente, reagierte etwas nüchterner: Nach der tödlichen Bärenattacke in Caldes sei es "offensichtlich, dass es in der Provinz ein Problem beim Zusammenleben zwischen den Menschen und den Wildtieren gebe". Ein "Massen-Abschuss" könne aber nicht die Lösung sein; es müsse konstruktivere Wege geben, die Interessen der einheimischen Bevölkerung und der Touristen mit dem Schutz der Bären in Einklang zu bringen.

Fehlende Prävention seitens der Regionsverwaltung?

Tatsächlich werden Regionalpräsident Fugatti Versäumnisse bei der Prävention vorgeworfen. Der ehemalige Umweltminister Sergio Costa (damals parteilos, mittlerweile Fünf-Sterne-Bewegung) betont, dass er zu seiner Zeit zwischen 2018 und 2021 die lokalen Behörden mehrfach aufgefordert habe, die Bären mit GPS-Sendern auszustatten, damit man wisse, wo sie sich befänden. Das Resultat: "Es ist nichts geschehen: Fugatti kennt als Lösung nur den Abschuss."

Andere Nationalparks mit Bärenpopulationen, etwa in den mittelitalienischen Abruzzen, sind in der Tat viel weiter. In der Apenninen-Region sind Wanderwege wegen der Präsenz von Bären für Mountain-Biker gesperrt worden; Hunde müssen an die Leine, Warnschilder machen auf die Tiere aufmerksam und bieten Tipps für das Verhalten bei einer Begegnung mit einem Bären. Allein mit diesen wenigen Maßnahmen könne das Risiko einer Bären-Attacke massiv gesenkt werden, resümiert Costa und fordert: "Was wir brauchen, sind nicht mehr Gewehre, sondern mehr fähige und verantwortungsvolle Lokalbehörden.", (Dominik Straub, 9.4.2023)