Die Bilder von dem freundlich lächelnden Herrscher Chinas, Partei- und Staatschef Xi Jinping, mit seinem geradezu strahlenden Besucher, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, bestätigen wieder einmal den Eindruck, dass für Macron der Wille zum Schein stets stärker ist als der Wille zur Wahrhaftigkeit.
Der rhetorische Aufruf des Gastes – "Ich weiß, dass ich auf Sie zählen kann, dass Sie Russland zur Vernunft bringen" – verpuffte bald als eine leere Phrase. Mit keiner Silbe kritisierte Xi Russland, er wiederholte nur seine bekannte Stellungnahme zu sofortigen Friedensverhandlungen.
Darüber hinaus entpuppte sich Macrons als Zeichen der symbolträchtigen Einigkeit gemeinsam absolvierte Reise mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bloß als Bestätigung der unterschiedlichen Ansichten. Während von der Leyen den chinesischen "Friedensvorschlag" als reine "Show" kritisierte, bezeichnete Macron das Dokument als Beweis für Chinas Bereitschaft, zur Konfliktlösung beizutragen. Ob die von Xi als "positiv" gelobten Beziehungen auch handfeste Resultate für die 60 Macron begleitenden Firmenvorstände zeitigen werden, muss freilich dahingestellt bleiben.
Symbolträchtige Fotos aus Peking
Fest steht jedenfalls, dass sich Macrons öffentlich bekundete Erwartung, Fortschritte in Peking bei der "Schaffung von Frieden" zu erzielen, als eine Worthülse entpuppte. Die Berichte und die symbolträchtigen Fotos aus Peking erinnerten mich unwillkürlich an Macrons wiederholt ausgedrückte Erwartungen und Fehldeutungen hinsichtlich Wladimir Putins Russland (siehe "Macron unter wachsendem Druck", DER STANDARD, 14. 3. 2023). Seine vor einigen Wochen unternommene Rundreise in vier afrikanische Staaten konnte auch über das Scheitern des militärischen Engagements in Mali und das Vordringen Chinas, Russlands und der Türkei in Afrika nicht hinwegtäuschen.
Trotzdem bleibt Macron auf der weltpolitischen Bühne hyperaktiv ohne Rücksicht auf die kritischen Stimmen von Diplomaten und Kommentatoren, die vor den Folgen der zu vielen unausgegorenen und zu früh ausgesprochenen Ideen des sprunghaften Staatspräsidenten warnen. Seine Neigung zum Alleingang hat aber vor allem in der Innen- und Sozialpolitik folgenschwere Auswirkungen gehabt. Jetzt setzt Macron das umstrittene Rentengesetz (eine Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre) ohne Mitwirkung des Parlaments mit einem autoritären Akt (unter Anwendung eines Verfassungsartikels) durch.
Politisches Ausnahmetalent
Warum ist dieses politische Ausnahmetalent mehr verhasst als seine Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande? Seine ehemaligen Berater sagen, dass es Macron bei all seinen Talenten immer wieder an sozialer Intelligenz fehle. Der Schriftsteller Sylvain Prudhomme meint, dass er die Franzosen "mit seiner Arroganz, seinem Hochmut, seiner Herablassung" vor den Kopf gestoßen habe (siehe Gastkommentar in der Süddeutschen, 31. 3. 2023).
Die Angst wächst, dass Emmanuel Macron mit seinem kompromisslosen Kurs der extremen Rechten unter Marine Le Pen Tür und Tor öffnet. Ohne grundlegende Veränderungen der Regierungspolitik wird es immer stärkere soziale Unruhen geben. (Paul Lendvai, 11.4.2023)