Die HDP könnte gerichtlich verboten werden.

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Nun ist es offiziell: Die kurdisch-linke HDP, die bisher erfolgreichste Partei der Kurden in der Türkei, wird bei den kommenden Parlamentswahlen am 14. Mai nicht antreten. Der Grund dafür ist das laufende Verbotsverfahren gegen die Partei vor dem Verfassungsgericht.

Die Partei hatte beantragt, das Verfahren bis nach der Wahl auszusetzen, was vom Gericht abgelehnt wurde. Daraufhin hat sich die Parteiführung entschlossen die Notbremse zu ziehen, um nicht womöglich kurz vor der Wahl mit einem Verbot konfrontiert zu sein.

Unterschlupf auf anderer Liste

Stattdessen wird die HDP nun als Grüne-Linke (Yesil-Sol Parti) antreten, beziehungsweise auf der Liste dieser kleineren Partei, die schon länger mit der HDP zusammenarbeitet, kandidieren. Weil der 9. April der Stichtag war, um die Kandidatenlisten der Parteien bei dem Hohen Wahlrat einzureichen, musste sich die Parteiführung der HDP entscheiden.

Obwohl die Partei also offiziell noch gar nicht verboten ist – am Dienstag ist erneut ein Verhandlungstag vor dem Verfassungsgericht, an dem die HDP aber nicht mehr teilnehmen will – werden die potentiellen HDP- Wählerinnen und – Wähler nun aufgefordert, für die Yesil-Sol Parti zu stimmen.

Kurdische Kandidaten

Um der Kritik vor allem aus traditionellen kurdischen Kreisen an dieser Entscheidung entgegen treten zu können, hat die HDP-Führung bei der Fusion mit der kleinen Grünen Partei auf die Kandidaten von Yesil-Sol wenig Rücksicht genommen. Die Listen sind weitgehend kurdisch besetzt. Selbst in Wahlbezirken im Westen der Türkei an der Ägäis-Küste, in denen die Grünen-Linken stark sind. Nur in Izmir kandidiert der Parteivorsitzende von Yesil-Sol, Ibrahim Akin, auf dem ersten Platz.

Auch die anderen Parteien mussten bis Sonntagabend ihre Kandidatenlisten einreichen und haben teilweise bei den aufgestellten Kandidaten auch ihre Wahlbündnisse berücksichtigt. So hat die sozialdemokratisch-kemalistische CHP des Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu insgesamt 60 Kandidaten von vier kleineren Parteien, die zu dem Wahlbündnis der Opposition gehören, mit auf ihre Liste gesetzt.

Kritik an Islamisten

Recep Tayyip Erdoğans AK Parti hat einige Vertreter zweier islamistischer Kleinstparteien, die ihn bei der Präsidentschaftswahl unterstützen wollen, auf ihre Kandidatenliste genommen. Vor allem die Kandidaten der islamistischen- kurdischen Hüda Par Partei stoßen selbst innerhalb der AKP auf Kritik. Die Hüda Par will die Frauenrechte dramatisch einschränken und hatte in der Vergangenheit Kontakte zu der terroristischen kurdischen Hisbollah, die in den 90er Jahren für etliche Morde an politischen Gegnern bekannt war.

Die rechtsradikale MHP, der engste Koalitionspartner Erdoğans, hat einen bekannten Faschisten auf ihre Liste gesetzt, der in den 70er-Jahren an einem Mordanschlag gegen linke Studenten beteiligt war und dafür verurteilt wurde, später nach dem Militärputsch 1980 aber wieder freikam.

Wer im Parlament – die Parlamentswahlen finden zeitgleich zu den Präsidentschaftswahlen statt – später die meisten Sitze erhalten wird, ist völlig offen. In den meisten Umfragen liegt die CHP knapp hinter der AKP.

Faktor Erdbeben

Erdoğan hat vor einem Jahr ein neues Wahlgesetz durchgedrückt, das am 12. April in Kraft treten wird, und die großen Parteien stark begünstigt.

Die erste Partei bekommt jetzt im Vergleich zum früheren Wahlrecht mehr Abgeordnete was insbesondere in den sicheren AKP-Wahlkreisen in Zentralanatolien zu mehr Abgeordneten für die AKP führen könnte.

Andererseits sind die Folgen des Erdbebens schwer zu kalkulieren. Erdoğan muss befürchten, dass er in einigen früheren Hochburgen im Katastrophengebiet schwere Einbußen hinnehmen muss. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 10.4.2023)