Im vergangenen Jahr wollten Rechtsextreme eine Kinderbuchlesung von Candy Licious verhindern. Vergebens.

Foto: Heribert Corn

Zur Demonstration am 16. April hat sich ein rechtsextremes Milieu angesagt. Freiheitliche, Identitäre, Neonazis, christliche Eiferer und von den Corona-Demonstrationen bekannte Gesichter wollen gemeinsam gegen eine Kinderbuchlesung einer Dragqueen in der Türkis-Rosa-Lila-Villa in Wien demonstrieren. Es könnte eine große Kundgebung werden, da auch Teile der FPÖ mobilisieren. Die Lesung wird als "Sexualisierungspropaganda" für kleine Kinder in einem "Schwulenhaus" bezeichnet, es ist von "Kindesmissbrauch" die Rede und davon, dass die Rosa-Lila-Villa ein "Tatort" sei.

Tatsächlich ist das Haus an der Linken Wienzeile seit mehr als 40 Jahren ein Beratungs- und Veranstaltungszentrum der Lesben-, Schwulen- und Transgender-, kurz: der LGBTQ*-Community.

Video: Kulturkampf um Dragqueen Candy.
DER STANDARD

Bei den Kinderbuchlesungen geht es keine Sekunde um Sexualität, sondern um die Vermittlung von Toleranz und Vielfalt. Im vergangenen Jahr wurde etwa die Geschichte von Julian vorgelesen, der Meerjungfrauen so sehr liebt, dass er am liebsten selbst eine wäre. Julian, der in der U-Bahn auf dem Nachhauseweg Frauen in Meerjungfraukostümen sieht und sich zu Hause als eine verkleiden will. Julian, der eine Oma hat, die ihn so akzeptiert, wie er ist.

Fakten spielen keine Rolle

Was bei einer Kinderbuchlesung tatsächlich passiert, spielt für die rechten Demonstrierenden allerdings keine Rolle.

Die Identitären-Partei "Die Österreicher" zur Demo.
Foto: Screeenshoz

Es geht augenscheinlich darum, die Existenz und Sichtbarkeit von queeren Menschen als Bedrohung darzustellen. Darum, ein Leben innerhalb traditioneller Frauen- und Männerrollen als das einzig "Normale" darzustellen. Extreme Rechte wollen die traditionelle Geschlechterordnung nicht infrage stellen, geraten so doch auch angebliche Männlichkeitsideale ins Wanken. Verwoben wird diese Position mit einer Verschwörungserzählung, die von reaktionären und rechtsextremen Kräften immer wieder zu hören ist, wenn es gegen die LGBTQ*-Bewegung geht. Offen wird sie zwar nicht ausgesprochen, doch unterschwellig wirkt die Unterstellung, dass queere Personen "Pädophile" seien. Es ist eine Verschwörungserzählung, die aktiviert und fanatisiert.

Seit es die Türkis-Rosa-Lila-Villa gibt, ist sie immer wieder ein Ziel von rechtsextremen Attacken.
Foto: Markus Sulzbacher

Bei der aktuellen Hetze gegen Kinderbuchlesungen sind die Identitären federführend dabei. Im vergangenen Jahr mauerten sie den Eingang einer öffentlichen Bibliothek zu, vor wenigen Tagen kletterten sie auf ein Gerüst vor der Rosa-Lila-Villa, brachten darauf ein Transparent an und hinterließen Plakate mit der Aufschrift "Zusperren". Drei Rechtsextreme wurden dabei von der Polizei erwischt. Stimmung macht auch die Wiener FPÖ, sie forderte kürzlich aus Gründen des "Jugendschutzes" ein Verbot von "Dragqueen-Shows". Die ÖVP sprach sich ebenfalls dafür aus. Die freiheitliche Parteijugend mobilisiert ebenfalls zur Demonstration am 16. April.

Für den 16. April ist auch eine Gegendemo angekündigt.
Foto: MArkus Sulzbacher

Antifaschistische Gruppen und andere Unterstützerinnen und Unterstützer der queeren Community haben Gegenproteste angekündigt. Sie mobilisieren ebenfalls zu einer Kundgebung am 16. April.

Hetze als Kulturkampf

Die extreme Rechte verkauft ihre Hetze auch als Kulturkampf gegen das "woke Establishment", oder wie sie sagt: gegen "Globohomo". Es ist ein szenetypisches Codewort, das aus dem englischen Sprachraum kommt und für "global" (oder "globalist") und "homosexuell" ("homosexual") steht. Die Bezeichnung "Globalisten" wird oft verwendet, um das Bild einer globalen wirtschaftlichen Elite zu zeichnen, die angeblich die Welt steuere. Der Begriff hat sich als Chiffre für "die Juden" durchgesetzt.

An vorderster Front in diesem Kulturkampf sieht sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Das zeigte sich, als er im August 2022 im texanischen Dallas auftrat. Er sprach dort von einem "Kulturkrieg" und rief zum Kampf gegen Liberale auf, die er mit Kommunisten gleichsetzte: "Wenn jemand Zweifel hat, ob progressive Liberale und Kommunisten dasselbe sind, fragt einfach uns Ungarn (...) Sie sind das Gleiche. Also müssen wir sie wieder besiegen." Das kam bei der "Conservative Political Action Conference" an, einer Veranstaltung von und für Anhängerinnen und Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und Verschwörungsideologen.

Orbán und Putin als Vorbilder

Seit seine reaktionäre Politik regelmäßig von Fox-News-Moderator Tucker Carlson abgefeiert wird, wird Orbán auch in den USA wahrgenommen. Besonders viel Applaus bekam Orbán, als er in Texas über die "traditionelle Familie" sprach. "Wir brauchen weniger Dragqueens und mehr Chuck Norris'." Weltweit stürzten sich Medien auf diese Aussage Orbáns, einige machten sie zur Schlagzeile. Besser konnte es für den ungarischen Premier kaum laufen. Passend war auch die Erwähnung von US-Schauspieler Norris. Jeder kennt die Sprüche über seine Männlichkeit und Härte. Zudem ist Norris ein bekennender Konservativer, der mehrere christlich-fundamentalistisch angehauchte Bücher verfasst hat und Kolumnist der rechtsgerichteten Website "World Net Daily" ist.

Orbán redet aber nicht nur. Das machte er im Jahr 2021 deutlich, als er in Ungarn ein Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität beschließen ließ. Dieses untersagt unter anderem Bildungsprogramme oder Werbung von Großunternehmen, die sich mit Homo- und Transsexuellen solidarisch erklären. Auch der Verkauf von Kinderbüchern, die dies thematisieren, ist eingeschränkt. Offizielles Ziel ist der Schutz von Minderjährigen. Die Debatte drehte sich damals übrigens zentral um ein queeres Kinderbuch: "Märchenland für alle".

Vermummte Freiheitliche Jugend beim Marsch der Familie, einer Gegenveranstaltung zur Pride in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

In Österreich und Deutschland wird die extreme Rechte von transfeindlichen Diskussionen in sozialen Medien und Beiträgen in ihnen nahestehenden Medien angespornt, in denen von "Trans-Ideologie" oder einer angeblichen mächtigen "Trans-Lobby" die Rede ist. Doch auch von der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der vielen in der Szene seit Jahren als Role Model dient.

Putin macht sich über "nicht traditionelle Beziehungen" lustig

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass in Russland die ersten umstrittenen Gesetze gegen die offiziell so bezeichnete "Homo-Propaganda" verabschiedet wurden. Verhindert werden sollten damit positive Äußerungen über gleichgeschlechtliche Liebe in der Gegenwart von Kindern. 2013 verabschiedete Russlands Parlament ein landesweit gültiges Gesetz dazu. 2022 wurden auch Werbung, Medien- und Online-Inhalte, Bücher, Filme und Theateraufführungen, die "LGBTQ-Propaganda" enthalten, verboten.

Verbreitet sind in Russland in den Staatsmedien und bei führenden Politikern Hetze gegen Homo- und Bisexuelle, gegen Transgender-Personen und alles Queere überhaupt. Es ist üblich, (politische) Gegner mit Homosexualität in Verbindung zu bringen, egal ob in Russland oder im Ausland. Vor der Besetzung der Krim im Jahr 2014 warnte der russische Fernsehsender NTV vor einer "Homodiktatur" in der Ukraine. Passend macht sich Kreml-Chef Putin immer wieder über "nicht traditionelle Beziehungen" lustig. Er hat die Ehe zwischen Mann und Frau in der Verfassung verankern lassen – und zugesichert, dass es mit ihm an der Macht niemals eine "Homo-Ehe" geben werde. (Markus Sulzbacher, 11.4.2023)