Avital Carroll ist auf der Buckelpiste quasi zu Hause. Bei der WM holte sie zwei Bronzemedaillen für den ÖSV.

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Carroll mit ihrer Großmutter Elfi Hendell.

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"Leider muss man die Menschen weiterhin wachrütteln. Je mehr sie sich der schrecklichen Dinge bewusst sind, umso mehr wird darüber gesprochen, was hoffentlich dazu führt, dass so etwas nie wieder geschieht." Das sagte die Freestylerin Avital Carroll bei einem Besuch in Wien in Bezug auf die Verbrechen der Nationalsozialisten.

Die gebürtige New Yorkerin ist seit bald zwei Jahren in Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft. Eine 2020 in Kraft getretene Novelle des Staatsangehörigkeitsgesetzes macht dies für Nachkommen der Opfer und Vertriebenen der Nazis im Sinne der Versöhnung möglich. Carroll startet seit der abgelaufenen Saison für den ÖSV.

Großer Auftrag

"Für mich hat sich eine großartige Gelegenheit ergeben, mein kulturelles Erbe und die jüdische Gemeinschaft zu repräsentieren. Ich möchte zeigen, wie sich Österreich als Land verändert hat", sagte die 26-Jährige, die von ihrem Ehemann Bobby trainiert und begleitet wird.

Die Carrolls sind nicht nur zum Schnitzelessen gekommen.
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Ihre mittlerweile 90-jährige Großmutter Elfi Hendell begrüßte den Schritt der Enkelin nur bedingt. "Sie hat nicht die besten Erfahrungen mit Österreich gemacht", sagt Carroll und untertreibt damit maßlos. Als Siebenjährige war die Oma gemeinsam mit ihren Eltern während des Holocaust erst nach Italien geflohen und nach Jahren des von Angst und Schrecken geprägten Versteckens von Rom aus 1944 per Schiff in die USA entkommen. Mittels Verlosung wurden 1000 Passagiere auserkoren, die die dreiwöchige Überfahrt auf der U.S.S. Henry Gibbins nach New York wagen durften. Zuspruch für das während des Zweiten Weltkriegs riskante Unterfangen erhielt die Familie ihrer Großmutter dabei von der aus Kroatien stammenden Familie ihres bereits verstorbenen Großvaters, die ebenso mit an Bord war. Die Hoffnung auf ein besseres Leben trieb sie alle an.

Carrolls Metier ist die Buckelpiste, und im ÖSV fungiert sie in der bislang meist unter der Wahrnehmungsgrenze liegenden Sparte als Aushängeschild. Über ihre Website bigairsbigheart.com propagiert sie mit "Love – Dream – Unite" eine versöhnliche Botschaft. Diesbezüglich sind bestimmt auch die zwei im Frühjahr bei der Freestyle-Ski-WM in Bakuriani, Georgien, errungenen Bronzemedaillen (im klassischen Bewerb und im ab 2026 erstmals olympischen Dual) förderlich. Es waren die ersten WM-Medaillen auf der Buckelpiste für Österreich, seit Margarita Marbler 2007 in Madonna di Campiglio Bronze gewann.

Nationenwechsel

Der US-Verband hat sie bei ihrem Wunsch nach einem Nationenwechsel unterstützt, und vom ÖSV wurde sie mit offenen Armen empfangen. Die Reaktionen sind durchwegs positiv ausgefallen. Ein wesentlicher Grund für den Wechsel nach Österreich war aber auch, dass sie hier von ihrem Mann trainiert werden darf, was in den USA speziell in kleineren Wintersportsektionen für gewöhnlich nicht so einfach durchzusetzen ist.

Zu Hause in Park City, Utah, sind die Carrolls höchstens zwei Monate im Jahr. Am Schauplatz der Skibewerbe im Rahmen der Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City finden sie optimale Trainingsmöglichkeiten vor, sofern die Gegend nicht wie in diesem Winter im Schnee zu versinken droht.

Künftig möchte das Paar mehr Zeit in Österreich verbringen, Camps mit Kindern abhalten und den Buckelpistensport populärer machen. Dazu brauche es in erster Linie "Ergebnisse", sagt Bobby, der auch als Trainer für Australiens Freestyler fungiert. Mit Resultaten lasse sich Aufmerksamkeit generieren und können Kinder animiert werden, es auch zu versuchen. "Saltos schlagen und mit 30 km/h die Buckelpiste hinunterjagen", fasst Avital Carroll, Mitglied des Kitzbüheler Ski Clubs K.S.C., begeistert zusammen, worum es in ihrem Sport geht. Das Problem: In Österreich mangelt es an geeigneten Trainingsmöglichkeiten – speziell auf Wettkampfniveau.

Das Skifahren wurde ihr als Sechsjähriger gemeinsam mit ihren vier Geschwistern von der Oma bei Ausflügen in den US-Bundesstaat Vermont beigebracht. Letztlich landeten alle mit Begeisterung auf der Buckelpiste.

Carroll mit einem Teil ihrer Ausbeute von der Ski-Freestyle-WM in Bakuriani/Georgien.
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In ihrer ersten kompletten Weltcupsaison war Carroll zwar neunmal unter den besten zehn, bis zur WM aber nie besser als Fünfte. Ein Kreuzbandriss, der eine zweijährige Wettkampfpause nach sich zog, hat sie 2018 zwischenzeitlich weit zurückgeworfen. Durch die WM-Medaillen vertraue sie nun aber wieder mehr in ihre Fähigkeiten. Die Doppelfunktion als Partner und Trainer bringe so manche Herausforderung mit sich, sagt Bobby. "Wir trennen das. Ehemann zu Hause und Coach am Berg", sagt Avital.

Kleine Schritte

Für den voraussichtlich im Dezember in Ruka, Finnland, anhebenden Weltcup bleibt noch Zeit, sich weiter zu verbessern. Die Achte der abgelaufenen Saison möchte mit "kleinen Schritten" zunächst auch im Weltcup auf ein Podium und später auch gesamt unter die besten drei vorstoßen. Große Ziele sind der Gewinn des Gesamtweltcups, eine Olympiamedaille und die Heim-WM 2027 im Montafon.

Bis dahin wird sie sich mit mehr als nur mit der deutschen Sprache angefreundet haben. Das Lernen sei "lustig und aufregend, aber nicht einfach". Bei Komplikationen jedweder Natur kann sie auf einen ihrer favorisierten "Codes" zurückgreifen, den sie auch via Instagram vermittelt: "Get comfortable being uncomfortable." Es sei "sehr wichtig, sich zu erinnern, dass es unangenehme Situationen geben kann, die man ertragen muss, um zu lernen, sich auch in einem Zustand der Unbehaglichkeit wohlzufühlen." (Thomas Hirner, 11.4.2023)