Dass Dominic Thiem wieder an die Spitze kommt, wagt Bruder Moritz nicht zu prognostizieren: "Das steht in den Sternen."

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Moritz Thiem im vergangenen Sommer beim ATP-Turnier in Kitzbühel neben Ex-Skispringer Gregor Schlierenzauer.

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Nach vier Jahren der Zusammenarbeit gab Dominic Thiem die Trennung von Trainer Nicolas Massu bekannt. Vorerst wird er von Benjamin Ebrahimzadeh betreut, der Deutsch-Iraner war einst Trainer von Angelique Kerber und arbeitete mit Patrick Mouratoglou, einem der bekanntesten und umtriebigsten Übungsleiter im Tennis. Zuletzt kümmerte sich Ebrahimzadeh um Chun-Hsin Tseng aus Taiwan und Nachwuchsspielerinnen in Deutschland. Auch Physiotherapeut Matthias Kapl ist im Betreuerstab von Thiem neu dabei. Am Montag feierte Thiem in Monte Carlo einen klaren Zweisatzsieg über Richard Gasquet.

STANDARD: Warum kam es zur Trennung von Nicolas Massu?

Thiem: Das Verhältnis war bis zum Schluss top. Aber es war Zeit für eine Veränderung. In der aktuellen Phase muss sich Dominic Meinungen von anderen anhören. Ein neuer Input wird ihm hoffentlich helfen.

STANDARD: Welche Rolle spielt Ihr Vater?

Thiem: Er hält sich im Hintergrund. Wenn Dominic in Österreich ist, trainiert er mit ihm.

STANDARD: Warum hat er sich im Vergleich zu früher zurückgezogen?

Thiem: Das war eine bewusste Entscheidung, weil er viel zu tun hat. Mein Vater leitet zwei Tennis-Akademien, in Traiskirchen und Oberpullendorf. Er steht ständig unter Strom, liebt das, was er tut. Viele Spieler werden von ihm betreut, manche wollen Profis werden, andere suchen eine gute Ausbildung und gehen in den USA auf ein College. Wenn Dominic da ist, dreht es sich mehr um ihn.

STANDARD: Fiel Ihrem Vater schwer, gewisse Aufgaben abzugeben?

Thiem: Mein Vater war in Bezug mit Dominic immer im Bereich Tennis tätig, alles andere hat ihn nicht interessiert. Er musste einsehen, dass Dominic sich selbst weiterentwickeln will. Er muss Wege finden, wieder an die Spitze zu kommen, da kann ihm niemand helfen. Das bedeutet auch, dass er bei sportlichen Entscheidungen Fehler macht, was völlig normal ist. Wir haben einen guten Weg gefunden. Wenn Dominic von Turnieren heimkommt, reden wir auch einmal zwei Tage nicht über den Sport. Dann gehen wir mit der Familie essen, dort geht es um den Hund oder um die kleine Cousine, die gerade in den Kindergarten gekommen ist.

Wolfgang Thiem leitet Tennis-Akademien in Traiskirchen und Oberpullendorf. Mit Sohn Dominic arbeitet er im Hintergrund.
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STANDARD: Besteht Kontakt zu Günter Bresnik?

Thiem: Nein. Diese Geschichte ist komplett gegessen. Günters Trainingsphilosophie hat gut zu Dominic gepasst. Nach der Trennung hat Dominic seine Bausteine, die ihm davor verwehrt wurden, weiterentwickelt. So ist er 2020 zu seinem Grand-Slam-Titel gekommen. Wie die Zusammenarbeit geendet ist, war keine schöne Geschichte. Das Kapitel ist aber abgeschlossen.

STANDARD: Ihr Bruder hat mentale Probleme angesprochen. Braucht er einen Mentaltrainer?

Thiem: Das ist bisher nie zur Sprache gekommen, aber Dominic war bei einem Mentaltrainer. Das ganze letzte Halbjahr und auch im ersten Saisonviertel heuer. Vor allem im privaten Bereich hat er geholfen. Auf dem Platz kann man sich aber nur selbst helfen. Jetzt geht es langsam in die richtige Richtung. Dominic findet Wege, sich aus seinem Tief herauszuholen.

STANDARD: Was hat die Zusammenarbeit gebracht?

Thiem: Dominic schafft es jetzt, Tennis als Beruf zu sehen. Einen Beruf, den er liebt. Wie es im Tennis läuft, fließt nicht mehr so sehr in sein Privatleben ein. Anfangs war der Effekt sogar zu extrem: Dominic hat sich gesagt, es ist völlig egal, wie die Matches ausgehen, solange er glücklich ist. Das hat nicht funktioniert. Er hat erkannt, dass es schlechte Tage braucht, um die guten mehr zu schätzen. Das Leben hat ihn herausgefordert.

STANDARD: Wo steht der Tennisspieler Dominic Thiem gerade?

Thiem: In der Fitness hat er einen Sprung gemacht. Er bewegt sich besser, rutscht besser auf Sand als noch in Südamerika, ist explosiver geworden. In Indian Wells hatte Dominic eine Erkenntnis.

STANDARD: Und zwar?

Thiem: Von Haus aus ist er ein zurückhaltender Mensch. Aber im Sport ist er gut geworden, weil er offensiv spielt, jede Vorhand attackiert. Natürlich macht er noch Fehler, aber es wird besser. Das gibt mir Hoffnung. Jetzt hat er erkannt, was er machen muss.

STANDARD: Musste er seine Vorhand nach der Verletzung umstellen?

Thiem: Technisch sieht man keinen Unterschied zu früher. Das heißt auch: Der Schlag kann wieder so gut werden. Er muss das trainieren — und er muss es wollen. Heute macht er beim Aufwärmen spezifische Übungen für das Handgelenk. Du darfst es auch nicht zu viel stärken, sonst geht das Gefühl verloren. Das Handgelenk wird jeden Tag behandelt und ein wenig geschont. Er macht keine Liegestütze oder Klimmzüge mehr.

STANDARD: Die Erwartungshaltung ist riesig. Lässt sich Dominic davon durcheinanderbringen?

Thiem: Man muss auch das Positive sehen. Viele Kinder haben wegen ihm mit Tennis begonnen. Es ist schön, Profisportler zu sein, viele Menschen im Land hinter sich zu wissen. Andererseits bedeutet das extremen Druck. Wenn die Leistungen fehlen, kommen die Kritiker. Trotz all der negativen Meinungen, er solle seine Karriere beenden, lässt er sich nicht beirren. Ehrlich gesagt war ich mir selbst nicht sicher, ob er das durchziehen kann und will. Es wäre ihm keiner böse gewesen, er hat alles erreicht. Dass er weitermacht, zeigt seinen starken Charakter. Dominic wurde fürs Tennis geboren.

STANDARD: Viele fragen sich: Wird das noch einmal etwas?

Thiem: Das steht in den Sternen. Derzeit ist es ein Investment, nach Niederlagen in ersten Runden bekommt man keine Millionen. Wenn er nicht voll dahinter wäre, würde er nicht sein eigenes Geld investieren. Ich habe den größten Respekt vor ihm. Seit einigen Wochen sagt er: "Ich will etwas ändern. Ich will wieder besser werden."

STANDARD: Hat sich Dominic menschlich verändert?

Thiem: Er denkt mehr an die Zukunft, lebt nicht nur im Moment. Er hat gesehen, dass es einmal zu Ende sein wird, dass der Sport nicht ewig bleibt. Heute dauert ein Medientag bei einem Masters-Turnier für ihn nicht mehr zwei Stunden, sondern 20 Minuten. Er ist jetzt einer unter vielen. Eigentlich liebt er es, ein komplett normales Leben zu führen. Nach der Karriere wird Dominic nicht ständig in der Öffentlichkeit zu sehen sein.

STANDARD: Wie sehen Ihre Aufgaben als Manager aus?

Thiem: Die wichtigste Aufgabe ist, dass das Finanzielle abgesichert und überwacht ist. Und Dominic soll sich wohlfühlen, Flüge, Hotels müssen organisiert werden. Wenn er zum Turnier kommt, muss alles vor Ort passen. Dazu kümmere ich mich um Sponsoren, muss neue finden, mich um bestehende kümmern.

STANDARD: Sie müssen ein enges Verhältnis zueinander haben.

Thiem: Ich bin sechs Jahre jünger als Dominic. In meiner Kindheit habe ich ihn nur wenige Wochen im Jahr gesehen, weil er oft zu Turnieren gereist ist. Genau deshalb verstehen wir uns so gut: Wir konnten uns nie auf die Nerven gehen. Wir sind unterschiedliche Charaktere, ergänzen uns gut. Dominic ist ein ruhiger Mensch, der selten auf Konfrontation geht. Bei mir ist das ganz anders. Streitereien gehören dazu, sind komplett normal, die hat jeder.

STANDARD: Wie sieht das aus, wenn Sie sich mit Ihrem Bruder streiten?

Thiem: Das kommt nur äußerst selten vor. Wenn es so ist, ist es mehr eine Diskussion als ein Streit. Letztendlich weiß jeder, was er zu tun hat. Ich sage ihm nicht, wie er eine Vorhand zu spielen hat. Er mischt sich nicht ein, wo sein Geld investiert wird. Wir vertrauen uns gegenseitig. Bei uns ist es ein Familienbusiness, wie es unzählige gibt. Das wird es im Tennis in den nächsten Jahren viel häufiger geben. (Lukas Zahrer, 11.4.2023)