Obwohl Österreich zu den reichsten Ländern der EU zählt, entspricht die Armutsgefährdung hierzulande dem EU-Durchschnitt.

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Wien/Brüssel – Österreich ist säumig im Kampf gegen die Kinderarmut. Die EU hat 2021 eine "Europäische Garantie für Kinder" als Empfehlung zur kostenlosen Deckung der Grundbedürfnisse Betroffener beschlossen. Bis Mitte März 2022 sollte dazu aus allen EU-Ländern ein nationaler Aktionsplan vorliegen. Doch das österreichische Papier ist noch immer nicht in Brüssel. Dies kritisierten jetzt Experten im Gespräch mit der APA.

Während sich Österreich als Sozialstaat versteht und jahrelang quasi ein Slogan vom "weltbesten Gesundheitswesen" propagiert wurde, sehen Fachleute zumindest in Sachen Kinder- und Jugendliche die Situation differenziert, wenn nicht anders. Klaus Vavrik, Kinderarzt und Leiter des Ambulatoriums für Entwicklungs- und Sozialpädiatrie in Wien-Favoriten kritisiert, dass in Österreich laut Statistik Austria 17 Prozent der Menschen armutsgefährdet seien, die Kinderarmut hingegen 'traditionell' höher als im Durchschnitt sei. "Armutsgefährdet sind aktuell 23 Prozent der bis zu 17-Jährigen", sagte der Experte. Letzteres entspricht fast exakt den EU-Durchschnittszahlen, obwohl Österreich zu den reichsten EU-Staaten zählt.

Abstimmungen nicht einfach

Die Europäische Gemeinschaft hat auf das Problem der Kinderarmut zuletzt mit dem Beschluss für eine "Europäische Garantie für Kinder" reagiert. Vavrik wurde in der Folge von der österreichischen Bundesregierung per Ministerratsbeschluss zum nationalen Koordinator für das Projekt bestellt. "Eine 'Garantie' darf von den Menschen schon als Anspruch verstanden werden. Dieser Begriff ist relativ bindend", so Vavrik.

In Österreich übernahm das Gesundheits- und Sozialministerium die Federführung für die "Garantie". Abgestimmt werden soll das aber immer mit dem Familien- und mit dem Bildungsministerium. Das scheint nicht so einfach zu sein. Bis 15. März 2022 sollte die EU einen nationalen Aktionsplan über die Strategie zu den beabsichtigten Maßnahmen haben. Auf Nachfrage wurde der Plan von den österreichischen Stellen für das erste Quartal 2023 in Aussicht gestellt. Doch auch das ist bereits verstrichen.

Gefährdung durch Teuerung

In ganz Europa soll durch die EU-Initiative bedürftigen Kindern und Jugendlichen wirksamer, kostenloser und hochwertiger Zugang zu mehreren Dienstleistungsbereichen "garantiert" werden, wie beispielsweise Zugang zu mindestens einer gesunden Mahlzeit pro Schultag und angemessenem Wohnraum. Rund 18 Millionen Kinder und Jugendliche in der EU sollten von dem Programm erfasst werden. Für Vavrik und den Sozialexperten der Armutskonferenz, auch stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich, Martin Schenk, hätte auch Österreich in jedem der sechs Punkte Nachholbedarf.

Bedürftige Familien sind derzeit besonders durch die Teuerung gefährdet. Hier müssen laut den Experten zusätzliche Förderungen und finanzielle Abschirmmaßnahmen greifen. Delogierungen müssten verhindert, Zahlungsrückstände möglichst aufgefangen werden. Einzelmaßnahmen gebe es, aber es fehlt eine Gesamtstrategie.

Diese Gesamtstrategie, so die Experten, sollte eben in dem zwischen den drei Ministerien und Koalitionspartnern in Abstimmung befindlichen nationalen Aktionsplan enthalten sein. Erst im Februar dieses Jahres hat – auch schon zum wiederholten Mal – eine ganze Reihe von österreichischen Kinderrechtsorganisationen auf dessen Fehlen hingewiesen. (APA, 11.4.2023)