Im Gastblog schreibt Wolfgang Freiseisen über die Chancen von künstlicher Intelligenz in der Industrie.

Künstliche Intelligenz (KI) umgibt uns täglich – seien es leistungsstarke Sprachmodelle in Form von ChatGPT und Co, fahrerlose Autos mit integrierter Bilderkennung oder die Kaufempfehlungen in Onlineshops. Aber auch in fast allen industriellen Prozessen wird KI eine wesentliche Rolle spielen und das Thema "Industrie 4.0" auf eine neue Ebene – jene der "Industrial AI" – bringen. Was bedeutet das für unsere Industrie und den Produktionsstandort Europa?

Industrial AI macht eine noch bessere Zusammenarbeit von Mensch und Maschine möglich.
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Industrial AI: Die logische Weiterentwicklung von Industrie 4.0

Maschinen und Roboter in großen Fertigungsstraßen führen komplexe, aber monotone Produktionsschritte durch. Dabei werden Daten – beispielsweise Sensordaten, Temperatur, Durchlaufzeiten etc. – erfasst. Mit datengetriebenen Methoden der KI können diese Fertigungsabläufe störungsfreier, anpassungsfähiger und autonomer gestaltet werden. Die hierfür notwendigen Methoden der Informatik und Mathematik werden unter dem Begriff Industrial AI subsummiert. Industrial AI befasst sich also mit der Lösung von Problemen in der Industrie, um Ziele wie die Schaffung von Kundennutzen, Produktivitätsverbesserung, Kostensenkung, Prozessoptimierung, prädiktive beziehungsweise präskriptive Analyse für frühzeitige Fehlererkennung und verbesserte Wartungszyklen sowie kontinuierliche Qualitätsverbesserungen zu erreichen.

Mensch und Maschine: Gemeinsam unschlagbar

Diese intelligenten Systeme sind nicht als Bedrohung der menschlichen Arbeitskraft zu sehen, sondern als große Chance. Während KI-Systeme unterstützend eingesetzt werden können, um Arbeitsabläufe zu optimieren und Menschen zu entlasten oder repetitive und gefährliche Aufgaben zu automatisieren, werden Menschen immer unverzichtbar bleiben, da sie auf unerwartete Ereignisse besser reagieren und Entscheidungen treffen können. Damit ist die industrielle Produktion in Europa nicht nur betriebswirtschaftlich sinnvoll, sondern auch nachhaltiger umsetzbar. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Industrie sind sich einig, dass die Zukunft der Industrie nicht mehr ausschließlich in der Effizienzsteigerung und Produktionsverbesserung liegt, sondern vielmehr in der nachhaltigen Produktion von nachhaltigen Produkten.

Photovoltaik-Produktion effizienter gestalten

Ein Beispiel für diese nachhaltigere Produktion ist die Herstellung von zurzeit sehr nachgefragten Photovoltaik(PV)-Produkten. Die jüngste Generation von PV-Technologien verbindet hohe Leistung mit großer Flexibilität für vielfältige Nutzung. Ihre hohe Komplexität macht sie jedoch anfällig für das Auftreten kritischer Defekte bei nur geringen Abweichungen in der Herstellung, was zu erheblichem Produktionsabfall führt. Das Anfang 2023 gestartete EU-Projekt Platform-Zero zielt darauf ab, die Produktionsqualität von Photovoltaik-Systemen zu verbessern und gleichzeitig die Herstellungskosten durch eine Null-Fehler-Fertigung zu senken. Erreicht wird dies durch die Anwendung von Prozessüberwachung, -steuerung und Strategien der künstlichen Intelligenz. Sie nutzt zerstörungsfreie Inspektionsmethoden und Technologien, um frühzeitig kritische Produktionsfehler zu erkennen, zu korrigieren und vorzubeugen. Daten werden in Echtzeit analysiert werden, um den Produktionsprozess zu optimieren und die Produktqualität zu verbessern.

Industrial AI: Die Zukunft des Produktionsstandorts Europa

Industrial AI geht in fünf Schritten vor: Daten sammeln, Daten aufbereiten, Trainingsdaten vorbereiten, das KI-Modell trainieren und das Modell integrieren und anwenden. Die kontinuierliche Anpassung des Modells an neue Daten ist ebenfalls wichtig. Dabei gibt es viele Herausforderungen, um diese einzelnen Schritte einwandfrei umzusetzen. Oft scheitert es an den wesentlichen Grundvoraussetzungen, wie zum Beispiel genügend Daten in der notwendigen Qualität und Granularität. Hier ist in Zukunft noch viel Pionierarbeit zu leisten. Demnach ist Industrial AI eine große Chance, um die Industrie nicht nur innovativer, sondern auch nachhaltiger und somit wettbewerbsfähiger zu machen und dadurch den Produktionsstandort Europa zu stärken. (Wolfgang Freiseisen, 12.4.2023)