Alt werden und diese Jahre auch in Gesundheit genießen können, das wäre das Ziel. Die Bilanz in Österreich ist da aber nicht die beste, es fehlt das Wissen über Gesundheit.

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Es geht um die Gesundheitskompetenz: Nur wer weiß, wie ein gesunder Lifestyle funktioniert, warum Vorsorge so wichtig ist und dass man gesundheitliche Probleme ärztlich abklären lässt, kann dieses theoretische Wissen auch in die praktische Tat umsetzen. Das klingt banal, aber die Tragweite von fehlender Vorsorge ist vielen nicht bewusst bzw. erst dann klar, wenn sie krank werden.

Und um diese Gesundheitskompetenz – oder Health-Literacy, wie der Fachbegriff lautet – ist es in Österreich schlecht bestellt. Wie schlecht, das zeigt ein Vergleich der in Gesundheit verbrachten und der tatsächlichen Lebensjahre. Ende 2021 lag die Lebenserwartung hierzulande bei 78,8 Jahren für Männer und 83,8 Jahren für Frauen. Die in Gesundheit verbrachten Jahre sind dagegen viel weniger. Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) hat aufgezeigt, dass Frauen im Durchschnitt 58 gesunde Jahre genießen können, Männer 57. Das liegt deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 65 bzw. 64 Jahren.

Warum das so ist, dafür gibt es mehrere Gründe – und viele davon liegen im Gesundheitssystem. Denn dieses ist in Österreich sehr komplex und fragmentiert, dadurch fällt es den Menschen schwer, sich zu orientieren. "Man wird mit einem Problem zu unterschiedlichen Fachbereichen geschickt, bekommt viele verschiedene Informationen, die Ärztinnen und Ärzte kennen oft bereits vorhandene Befunde nicht", weiß Igor Grabovac vom Zentrum für Public Health an der Med-Uni Wien. Das Paradoxe: Besonders schwer tun sich Menschen mit chronischen Krankheiten – obwohl diese an sich viel Kontakt mit dem Gesundheitssystem haben. Das zeigt am deutlichsten, dass bei der Organisation von Behandlung und Versorgung großer Handlungsbedarf besteht.

Navigation im System

Ändern könnten das Menschen, die bei der Navigation durchs Gesundheitssystem helfen. "Ausreichende Health-Literacy ist nicht nur ein individuelles Problem, es geht vor allem um gute Organisation", sagt Grabovac. Die Menschen brauchen auch außerhalb von Krankenhäusern und Arztpraxen Zugang zum Gesundheitssystem, Community- oder School-Nurses sind hier ein guter Ansatz. Und Grabovac nennt auch Apotheken als wichtige Anlaufstelle im täglichen Leben, diese sollte man mehr einbinden.

Zusätzlich fordert er, dass bereits in Schulen Gesundheitskompetenz gelehrt wird: "Man muss lernen, wie man in dem Dschungel an Informationen die richtigen und zuverlässigen herausfiltert und Quellen kritisch hinterfragt."

Eine weitere Frage ist, ob Informationen auch in verständlicher Form zur Verfügung stehen. "Viele Menschen sprechen nicht ausreichend gut Deutsch. Wenn die Informationen überhaupt in anderen Sprachen vorhanden sind, dann oft nur in Englisch oder Französisch. Diese Sprachen bringen aber den meisten nichts", erzählt Grabovac. Also positives Beispiel, wie das gelingen kann, nennt er die Informationen der Stadt Wien zu Corona, die in leicht verständlicher Sprache verfügbar waren und in insgesamt 24 Sprachen übersetzt wurden.

Gleichzeitig ist natürlich auch das eigene Wissen rund um Gesundheit relevant. Doch es reicht nicht, allein aufzuklären und dann den Menschen die individuelle Entscheidung zu überlassen. Ein Beispiel, das diese Tatsache sehr gut illustriert, ist das Rauchen. "Alle wissen, dass es ungesund ist, trotzdem tun sie es", sagt Grabovac. Das Vorbild der eigenen Peer-Group ist einfach stärker als das rationale Wissen. "Das zeigt ganz klar, dass das Zurverfügungstellen von Informationen in paternalistischer Art und Weise nicht genug ist." Man müsse vielmehr mit betroffenen Gruppen reden, die besten Lösungen für die jeweiligen Probleme finden und diese dann auch in Implementierungsplänen umsetzen.

Kleine Fortschritte

Trotz allem tut sich etwas bei der Gesundheitskompetenz. Eine EU-weite Erhebung zeigt, dass sich diese von 2011 bis 2021 um rund fünf Prozentpunkte verbessert hat: Statt vorher 48 Prozent wissen mittlerweile 53 Prozent in Österreich, wie sie auf Basis von Gesundheitsinformationen Entscheidungen treffen und Handlungen zur Verbesserung der Gesundheit bzw. zur Krankheitsbewältigung für sich selbst oder für Angehörige setzen. Das ist auch einer der Gründe, warum die Todeszahlen aufgrund von Krebs in der EU mittlerweile zurückgehen – neben besseren Therapien und flächendeckend etablierter Vorsorge für einige Krebsarten. Damit geht der Trend in die richtige Richtung, sagt das Gesundheitsministerium dazu. Als Problem, das sich nur langsam ändert, sieht es Public-Health-Experte Grabovac.

Immerhin gibt es seit dem Jahr 2015 die Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK) unter dem Vorsitz des Gesundheitsministeriums, bei der auch Länder und Sozialversicherung vertreten sind. Derzeit gibt es sechs Arbeitsbereiche, von Trainings für die Qualität von Gesundheitsgesprächen über die Entwicklung eines Leitfadens für Gesundheitsinformation bis zum Messen der etablierten Gesundheitskompetenz.

Und tatsächlich zeigt sich in der Praxis, dass die Menschen in Österreich ihre Gesundheit mittlerweile ernster nehmen. "Ich fordere alle meine Patientinnen und Patienten auf, zur Vorsorge zu kommen, und sie tun das auch zunehmend", berichtet der praktische Arzt Engelbert Schamberger aus seiner Ordination. Auch die aktive Nachfrage sei gestiegen. Das gesamte Personal in seiner Ordination sei aber darauf bedacht, Menschen zur Vorsorge zu motivieren. "Das ist auch eine Frage der Teamorganisation und der eigenen Initiative", betont der Oberösterreicher.

Dass diese Motivation nicht in allen Ordinationen gleich gut etabliert ist, liege auch an der Ausbildung, sagt Grabovac: "Das Bewusstsein für Health-Literacy wird in der Ausbildung nicht ausreichend betont. Deshalb ist vielen Ärztinnen und Ärzten nicht klar, wie wichtig dieses Wissen ist und dass das auch ein Empowerment für Patientinnen und Patienten bedeutet." (Pia Kruckenhauser, 12.4.2023)