Mehr als 100.000 Stellen sind derzeit allein beim AMS offen gemeldet. Das ist zwar ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2022, aber angesichts der zuletzt flauen Wirtschaftsentwicklung dennoch beachtlich. Auch die Arbeitslosenquote war seit der Wirtschaftskrise nicht mehr so niedrig.

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Ein Umschwung war selten so schnell und so dramatisch. In der Pandemie ist die Zahl der Arbeitslosen erstmals in Österreich auf mehr als eine halbe Million Menschen geklettert. Angesichts der unsicheren Zukunft für den Tourismus war die Erwartung, dass die Nachwehen der Krise auf dem Jobmarkt noch lange zu spüren sein würden. Doch 2021 hat eine bemerkenswerte Erholung eingesetzt, und seit einigen Monaten lautet das beherrschende Thema: Arbeitskräftemangel.

Obwohl die Wirtschaft zuletzt kaum noch gewachsen ist, gibt es aktuell immer noch fast 113.000 offene Stellen, die beim AMS gemeldet sind. Ob Industriebetriebe, Bäcker, Supermarktketten oder Autowerkstätten: Überall sieht man die Schilder, wonach Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht werden.

Teilzeit und Pensionierungen

Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Wirtschaft entwickelt sich dynamisch und braucht ständig Nachschub. Viele Menschen wollen nicht mehr Vollzeit arbeiten, weshalb die Zahl der gearbeiteten Stunden erst nach und nach das Vorkrisenniveau erreicht, obwohl bereits deutlich mehr Menschen beschäftigt sind. Dazu kommt, dass viele Babyboomer nun in Pension gehen.

Der Arbeitskräftemangel in Österreich hat allerdings auch im internationalen Vergleich beachtliche Ausmaße angenommen. Das legt zumindest eine Auswertung des Neos-Lab auf Basis von Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat nahe.

Eurostat wertet dabei aus, wie hoch der Anteil der offenen Stellen im Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten in der Privatwirtschaft ist. Demnach ist Österreich gemeinsam mit Belgien aktuell das Land, in dem es die meisten unbesetzten Stellen gibt. Insgesamt lag die Quote der unbesetzten Stellen im vierten Quartal 2022 bei gut 5,4 Prozent. Interessant ist vor allem die Entwicklung seit der Pandemie. Seit 2019 ist der Anteil der offenen Jobs in Österreich deutlich gestiegen. Vor der Pandemie waren die Knappheiten nach dieser Kennzahl in Deutschland und den Niederlanden noch ähnlich hoch wie hierzulande. Das hat sich aber inzwischen verändert.

"Der Arbeitskräftemangel betrifft uns alle", sagt Neos-Wirtschafts- und -Sozialsprecher Gerald Loacker zur Entwicklung. Ob nun im Gesundheitsbereich, in der Elementarpädagogik, der Produktion oder der Gastronomie: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen, wirke sich das nicht nur auf die Qualität von Dienstleistungen negativ aus, sondern schade auch der Wirtschaft. Die Entwicklung sei das Ergebnis "schlechter Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik – vor allem der ÖVP, die seit mehr als drei Jahrzehnten in der Regierung sitzt. Hier wurden eklatante Fehler gemacht, die wir jetzt alle zu spüren bekommen."

Loacker und die Neos wollen deshalb einen Diskussionsprozess mit Möglichkeit, sich zu beteiligen, starten und rufen Bürgerinnen und Bürger ebenso wie Unternehmer dazu auf, Ideen und Vorschläge einzubringen, was gegen den Jobmangel helfen kann.

Die Rolle des Tourismus

Ob das Problem des Jobmangels in Österreich insgesamt größer ist als in anderen EU-Ländern und wie viel das spezifische Suchverhalten in manchen Branchen dazu beiträgt, darüber lässt sich diskutieren.

Eine Art Sonderstellung dürfte der in Österreich bedeutsame Tourismussektor einnehmen, sagt der Arbeitsmarktökonom Helmut Mahringer vom Forschungsinstitut Wifo. Hier werden besonders oft und viele Jobs ausgeschrieben, einfach weil die Fluktuation hoch ist und die Arbeitsbedingungen nicht immer so sind, dass Beschäftigte lange bleiben wollen. Das treibt die Quote mit unbesetzten Arbeitsplätzen hoch und verschärft das Problem, wenn der Andrang neuer Arbeitskräfte nicht mehr so groß ist, so Mahringer. Allein das dürfte die große Knappheit nicht erklären: Der Tourismussektor ist auch in anderen Ländern wie Italien und Spanien sehr bedeutsam.

In den vergangenen Jahren war Österreich vor allem dank starker Zuwanderung aus Osteuropa eines der Länder mit einer im Vergleich begünstigten demografischen Entwicklung. Das ändert sich nun. Es ist offen, wie die weitere Entwicklung aussieht. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter geht zwar zurück. Allerdings dürfte in den kommenden Jahren das Arbeitskräfteangebot nochmals steigen, unter anderem, weil das gesetzliche Frauenpensionsalter zulegt. Damit werden mehr ältere Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Ob damit der Bedarf gedeckt werden kann, bleibt abzuwarten. (András Szigetvari, 12.4.2023)