Auf ihren Lebenswegen treffen viele Menschen in unterschiedlichster Form auf Diskriminierung.

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Diskriminierungserfahrungen von Frauen können ganz unterschiedlich aussehen. So forderten etwa schwarze Feministinnen und Feministinnen aus der Arbeiterklasse bereits vor Jahrzehnten ein, auch ihre Lebensrealitäten in frauenpolitischen Kämpfen ins Zentrum zu rücken. "Eindimensionale Modelle wie Kapitalismus oder Patriarchat zur Beschreibung und Erklärung von Ungleichheiten in der Geschlechterforschung sind outmoded", formulierte es Soziologin Nina Degele 2008. Seit den 1990er-Jahren würden zunehmend die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Diskriminierungsformen interessieren.

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DER STANDARD

Arbeitskampf

Den Begriff Intersektionalität brachte die US-amerikanische Juristin Kimberlé Williams Crenshaw in die Debatte ein. In ihrem 1989 veröffentlichten Aufsatz "Demarginalizing the Intersection of Race and Sex" kritisierte sie die US-amerikanische Diskriminierungsrechtsprechung – unter anderem am Beispiel des Falls DeGraffenreid vs. General Motors. 1976 klagten fünf schwarze Frauen ihren ehemaligen Arbeitgeber General Motors, da sie aufgrund der gängigen Praxis "Last hired, first fired" ihren Job verloren hatten. Im Unternehmen waren vor 1964 jedoch keine schwarzen Frauen eingestellt worden – im Rennen um eine langjährige Firmenzugehörigkeit hatten sie also schon verloren. Das Gericht wies die Klage dennoch als gegenstandslos ab. Weder eine sexistische noch eine rassistische Diskriminierung liege vor, schwarze Frauen könnten nicht als eigenständige, vom Gesetz geschützte Gruppe anerkannt werden. Die spezifische Diskriminierung der Klägerinnen war somit nicht anerkannt worden, argumentierte Kimberlé Crenshaw.

Mitten auf der Straßenkreuzung

Für ihr Konzept der Intersektionalität griff die Juristin auf die Metapher der Straßenkreuzung zurück: Wer von mehreren Diskriminierungsformen betroffen ist, stehe mitten auf der Kreuzung und habe somit ein größeres Risiko, in einen Unfall verwickelt zu werden. Intersektionalität verweist auf die Überschneidungen von Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus und Klassismus, die nicht bloß addiert werden könnten. So kann etwa eine armutsbetroffene Person mit Behinderung von spezifischen Diskriminierungen betroffen sein, die sich nicht auf eine einzelne Marginalisierung zurückführen lassen. Diskriminierungsformen überschneiden sich, treten in Wechselwirkung und können so eine eigene Dynamik entfalten. Zentral seien dabei historisch gewachsene Macht- und Herrschaftsstrukturen.

Ausgehend vom spezifischen Kontext des US-amerikanischen Antidiskriminierungsrechts machte Crenshaws Theorie international Karriere. Die Verbreitung des Konzepts überraschte auch Crenshaw selbst, wie sie "Vox.com" erzählte. Nicht immer würde Intersektionalität dabei so verstanden werden, wie es die Autorin intendiert hatte.

Rechte Kritik

Auch US-amerikanische Rechte und Konservative haben sich längst der Intersektionalität angenommen und verunglimpfen sie als einen "Opferwettbewerb", bei dem weiße, heterosexuelle Männer am schlechtesten aussteigen würden. Dass diese Kritiker:innen ihre eigene Identität ins Spiel bringen würden, während sie "Identitätspolitik" als gehaltlos verdammen, bestärke vielmehr ihre Theorie, entgegnet Crenshaw auf "Vox.com". Jene, die an der Spitze stehen, hätten immer schon am meisten Angst davor gehabt, ihre Privilegien zu verlieren – so auch in der Bürgerrechtsbewegung. Damals wie heute sei das Ziel eine gleichberechtigte Gesellschaft, die alle einschließt. (Brigitte Theißl, 12.4.2023)