Viele Güter dürfen nach wie vor geliefert werden, die Exportstruktur hat sich deshalb verändert.

Foto: IMAGO/Sergei Bobylev

Keine Luxusuhren, keine Computerchips, keine Flugzeuge und weniger Maschinen: Die EU hat die Sanktionsschrauben für Russland vergangenes Jahr laufend weiter angezogen, die Lieferung zahlreicher Güter und Dienstleistungen ist mittlerweile verboten. Nach Angaben der Europäischen Kommission hat die EU Exporte im Wert von fast 44 Milliarden Euro beschränkt. Das entspreche rund der Hälfte aller Ausfuhren nach Russland im Jahr vor dem Krieg.

Österreichs Exporte nach Russland gingen im Jahr 2022 dennoch nominell nur um acht Prozent zurück. EU-weit lag der Wert laut Eurostat mit 38,1 Prozent deutlich höher. Österreich hat sich im europäischen Vergleich also bisher kaum von der russischen Wirtschaft entkoppelt.

Die volle Wirkung der Sanktionen ist an der Jahresstatistik freilich noch nicht ablesbar. Das Sanktionsregime wurde Schritt für Schritt enger geschnürt. Dazu kommt, dass viele Güter aufgrund von Übergangsregeln noch bis in den Sommer geliefert werden durften.

Die Ausfuhren nach Russland nahmen deshalb erst im Lauf des Jahres zunehmend ab. Nachdem Österreichs Exportvolumen bis Oktober um nur 6,3 zurückgegangen war, fiel das Minus im letzten Quartal deutlich größer aus. Laut einem aktuellen Bericht der Wirtschaftskammer werden die "Auswirkungen der umfassenden Sanktionen beim Exportvolumen erst in den folgenden Monaten klarer erkennbar sein".

Medizin statt Maschinen

Fakt ist, dass der Rückgang in Österreich trotzdem vergleichsweise niedrig ausfiel. Zum Teil liegt das an den engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Russland, zum anderen an der Exportstruktur, erklärt Klaus Weyerstrass, Ökonom am Institut für Höhere Studien (IHS), im Gespräch mit dem STANDARD. So liefert Österreich etwa viele Lebensmittel und Getränke nach Russland, die nicht sanktioniert sind. Bei Lebensmitteln sind die Exporte im vergangenen Jahr sogar deutlich um 30 Prozent gestiegen.

Österreich liefert zudem viele andere Produkte, die nicht unter die Sanktionen fallen, etwa Pharmaerzeugnisse, sagt Vasily Astrov vom Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche (WIIW) zum STANDARD. Dementsprechend hat sich im vergangenen Jahr auch die Exportstruktur deutlich verändert. Während 2021 Maschinen dominierten, waren 2022 erstmals chemische Erzeugnisse die größte Gruppe.

Dazu kommt laut Astrov, dass sich bisher nur wenige österreichische Unternehmen aus Russland zurückgezogen haben. Es sei anzunehmen, dass ein Teil der bestehenden Handelsverflechtungen auch damit zusammenhängt. Schließlich müssen Güter an Betriebe in Russland exportiert werden, um sie dort zu verkaufen oder weiterzuverarbeiten.

Handel stark gewachsen

Insgesamt ist die Bedeutung Russlands für den österreichischen Export schon seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 deutlich gesunken. Russland belegt derzeit Rang 19 bei den wichtigsten Exportländern. Völlig anders sieht das bei den Importen aus: Im Jahr 2022 stiegen die Lieferungen von Russland nach Österreich um satte 76,4 Prozent.

Grund dafür ist, dass Österreich nach wie vor viel Gas aus Russland bezieht und die Preise dafür explodiert sind. In der Statistik zählt nicht die Menge des Gases, sondern der Preis. Die hohen Gaspreise führen auch dazu, dass Österreichs Handelsvolumen mit Russland vergangenes Jahr insgesamt um mehr als 50 Prozent gestiegen ist. Österreichs Handelsdefizit vergrößerte sich laut den Daten der Statistik Austria um knapp 140 Prozent. In Zahlen bedeutet das am Ende des Jahres 2022 ein Minus von 6,4 Milliarden Euro, die nach Russland fließen.

EU-Produkte auf Umwegen

Russlands Handel befindet sich wenig überraschend in einem massiven Umbruch. Insgesamt sind die weltweiten Importe in das Land im Jahr 2022 um ein Fünftel eingebrochen und dürften laut der Economist Intelligence Unit dieses Jahr weiter zurückgehen.

Dass der Einbruch nicht noch stärker ausgefallen ist, liegt daran, dass Russland viele europäische Importe mit Importen "freundlicher" Staaten kompensieren konnte. Chinesische Unternehmen nutzen etwa den Rückzug westlicher Unternehmen und besetzen frei werdende Marktnischen. Laut der chinesischen Zollverwaltung ist der Export nach Russland 2022 um knapp 13 Prozent gestiegen. Der Außenhandel Russlands mit China erreichte einen Rekordwert von 190,3 Milliarden US-Dollar.

Dazu kommt, dass auch europäische Importe über "freundliche" Staaten nach Russland gelangen. Im Februar wies Wifo-Chef Gabriel Felbermayr darauf hin, dass sich aus Datensätzen herauslesen lässt, wie europäische Unternehmen die Russland-Sanktionen umgehen. So sind die Exporte aus der EU nach Belarus inzwischen über das Vorkriegsniveau gestiegen. Besonders bei Straßenfahrzeugen gab es von August bis Oktober 2022 einen großen Zuwachs von 280 Prozent im Verhältnis zu August bis Oktober 2021. Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass die Fahrzeuge nach Russland weiterverkauft werden.

Türkei ruderte zurück

In einem aktuellen Bericht nennt die Wirtschaftskammer fünf Länder, die besonders von den "Umbrüchen im russischen Außenhandel" profitieren: China, die Türkei, Indien, Kasachstan und Belarus. Vor allem die Türkei, die in einer Zollunion mit der EU ist, dürfte im vergangenen Jahr ein lukratives Pflaster für "Umleitungen" nach Russland gewesen sein. Auffällig ist etwa, dass die österreichischen Exporte von Fahrzeugen und Maschinen in die Türkei in dieser Zeit um mehr als 20 Prozent zugelegt haben.

Die Türkei stand als Nato-Mitglied vergangenes Jahr massiv in der Kritik, die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland zu unterlaufen. Güterexporte nach und Importe aus Russland hatten sich laut ARD-Informationen seit Sommer nahezu verdoppelt, Landtransporte über Georgien seien um bis zu 30 Prozent gestiegen. An der türkisch-georgischen Grenze seien die Kapazitäten der Zollbehörden so ausgereizt, dass Ankara die Einrichtungen an der Grenze ausbauen ließ.

Mittlerweile hat die Türkei aber auf Druck der USA und Europas eingelenkt und angekündigt, den Weiterversand von Waren, die von westlichen Sanktionen betroffen sind, zu stoppen. (Jakob Pflügl, 13.4.2023)