Bereits im Stiegenhaus stellt man den heruntergekommenen Zustand des Hauses fest. Wasserschäden und Schimmel sind weit verbreitete Probleme.

Foto: Christian Fischer

Vergangenen Dezember hat ein Haus am Wiener Gaudenzdorfer Gürtel medial für einiges Aufsehen gesorgt. Wenn man heute von außen durch das staubige Glas der Eingangstür schaut, sieht es aus, als wäre es verlassen. Kaputte Möbel liegen den Gang entlang aufgehäuft, Müll in den Ecken, an der Treppe zwischen Erdgeschoß und Mezzanin läuft Wasser herunter. Trotzdem gehen immer wieder Menschen ein und aus. Ob sie hier wohnen? "Ja", antwortet ein Mann und bittet uns herein.

Mohammad ist im Oktober 2022 in das ehemalige Hostel in Meidling eingezogen. Der 32-jährige Syrer hat in Österreich Asyl bekommen und hofft nun, dass seine Familie bald nachkommen kann. Als er in Wien auf Wohnungssuche war, habe ihm ein gewisser Herr Michael das Zimmer am Gaudenzdorfer Gürtel angeboten – allerdings nur zur Untermiete. 500 Euro für die erste Miete, 500 Euro Kaution und 300 Euro Vertragserrichtungsgebühr habe er damals bezahlt. Für ein Zimmer mit weniger als 20 Quadratmetern, Toilette und Dusche am Gang. "Es war das Beste, was ich finden konnte", sagt Mohammad.

Für dieses Zimmer mit Dusche und Toilette am Gang zahlte Mohammad 500 Euro Untermiete.
Foto: Christian Fischer

Eines Tages im Dezember standen dann plötzlich Mitarbeiter der Wiener Netze vor der Tür, begleitet von der Polizei, und stellten den Strom ab. Um die 30 Menschen lebten damals in dem Haus. Früher sollen es einmal um die 100 gewesen sein, sagt Mohammad; alle Untermieter und alle Geflüchtete aus Syrien oder Afghanistan.

Laut Wiener Netzen gab es schon seit Monaten keinen aufrechten Energieliefervertrag mehr für das Gebäude. Bei der Immobilienfirma Pecado GmbH, der das Haus über eine Tochtergesellschaft gehört, will man gar nicht gewusst haben, dass dort jemand wohnt. Die Bewohner haben ihre Miete aber bezahlt, inklusive des im Mietvertrag vereinbarten Betrags für Strom und Heizung. Die Überweisungsbestätigungen können sie vorweisen.

Gekocht und geheizt wird behelfsmäßig mit Gas.
Foto: Christian Fischer

Hürden beim sozialen Wohnen

Fälle wie der Gaudenzdorfer Gürtel sind ein Extrembeispiel dafür, was Geflüchteten am privaten Wiener Wohnungsmarkt passieren kann. Wer nämlich nicht seit zwei Jahren durchgehend an einer Adresse in der Bundeshauptstadt zum Hauptwohnsitz gemeldet ist, hat keinen Zugang zum sozialen Wohnen. Als Mindestsicherungsbezieher ohne Lohnzettel, wie es viele Geflüchtete kurz nach dem positiven Asylbescheid sind, ist es aber schwer, eine Wohnung zu bekommen. So hat sich für diese Menschen eine Art eigener Wohnungsmarkt gebildet.

"Schattenmarkt" nennt ihn Florian Hobl, der Leiter der Wohnberatungsstelle für Flüchtlinge von der Diakonie. Abseits der gängigen Immobilienportale werden hier Wohnungen über Whatsapp- und Facebook-Gruppen vermittelt. "Meist sind sie in unsanierten Altbauhäusern, schlecht beheizbar, die Mieten oder Provisionen sind zu hoch, oder es ist gar nicht klar, ob derjenige, der sie untervermietet, überhaupt dazu berechtigt ist", sagt Hobl.

Von den Menschen, die die Wohnungen vermitteln oder untervermieten, gibt es in Wien einige, die das schon seit vielen Jahren machen. Sie betreiben Whatsapp-Gruppen, wickeln die Vertragsunterzeichnungen ab oder mieten selbst Wohnungen an, um sie unterzuvermieten. Zum Teil sind es Menschen, die selbst aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge kommen, aber schon lange in Österreich leben. 37 Personen sind bei Interface, einer anderen Beratungsstelle für Flüchtlinge in Wien, in den vergangenen 15 Jahren in diesem Kontext durch Betrügereien aufgefallen.

Klientinnen werden vor ihnen gewarnt und darüber beraten, wie sie sich schützen können. "Das Problem bei diesen Vermittlern ist, dass sie immer knapp am gewerbsmäßigen Betrug vorbeischrammen", sagt Susanne Schaidinger von Interface. Strukturell besteht außerdem das Problem, dass Menschen, die weder am privaten Wohnungsmarkt noch im sozialen Wohnen unterkommen, eben oft auf diesen "Schattenmarkt" angewiesen sind.

Dabei ist Pecado sicher nicht die einzige Immobilienfirma, in deren Häusern es zu den geschilderten Problemen kommt: Bei den einschlägigen NGOs sind noch einige andere Immobilienunternehmen bekannt, die immer wieder negativ auffallen.

Nachts ist es in Mohammads Haus am Gaudenzdorfer Gürtel stockdunkel. Mit einem kleinen LED-Licht an der Powerbank lernt er für den Deutschkurs.
Foto: Johannes Pucher

Mietrecht umgangen

Auch die Namen jener Personen, die die Zimmer am Gaudenzdorfer Gürtel vermietet haben, kennt man bei der Diakonie und bei Interface schon länger. In dem Haus gab es nämlich nur vier Hauptmieter, die jeweils ein ganzes Stockwerk angemietet hatten. Zwei davon haben in großem Stil an Flüchtlinge untervermietet. Michael und Farideh S. sind Lebensgefährten, er mit guten Kontakten zur Immobilienbranche, sie Iranerin, das öffnet die Tür zur farsi- und darisprachigen Community. Sie haben die Untermietverträge unterzeichnet sowie laut den Bewohnern Kautionen und Vertragserrichtungsgebühren kassiert. Alles ohne Beleg. Wo das Geld abgeblieben ist, darüber streiten die beiden Scheinhauptmieter und eine Tochtergesellschaft der Pecado GmbH jetzt vor Gericht.

Bei Michael S. geht es um 82.000 Euro an Mietzins, die er nicht weitergeleitet haben soll und die die Pecado-Tochter nun einklagen will. Beim ersten Prozesstag im März bestritt Michael S., dass der Anspruch bestehe. Er habe im Auftrag eines Christian N. gehandelt, eines mittlerweile ehemaligen Mitarbeiters der Pecado, mit dem er seit vielen Jahren zusammenarbeite. Die Mieten habe er stets weitergeleitet, behauptete Michael S. unter Wahrheitspflicht.

"Der Herr N. ist an mich herangetreten, ob ich Untermieter für den Gaudenzdorfer Gürtel finden kann", sagt er zum STANDARD. Warum nicht als Hauptmieter? "Weil man sie dann nach dem Mietrecht leichter hinausbekommt", sagt er ganz offen. Das stimmt im Wesentlichen auch: Untermieter haben einen deutlich schwächeren Kündigungsschutz als Hauptmieter. Ihr Untermietvertrag endet automatisch, sobald der Hauptmietvertrag beendet wird. Wenn es sich aber um eine Scheinuntermiete handelt, kann man klagen und sich als Hauptmieter anerkennen lassen.

Besagter Christian N. wurde von der Firma Pecado nach Aufkommen der Angelegenheit am Gaudenzdorfer Gürtel entlassen. Er habe mit der Vermietung gegen den ausdrücklichen Auftrag des Geschäftsführers gehandelt, heißt es. Zum ersten Prozesstag erschien er nicht und war auch für keine Stellungnahme zu erreichen. 2020 standen er und Farideh S. schon einmal wegen einer ähnlichen Angelegenheit vor Gericht. Zwölf Privatbeteiligte, alle Flüchtlinge, hatten sich einem Strafprozess angeschlossen, weil sie sich durch überhöhte Provisionen und Mieten in einer Zwangslage ausgenutzt sahen. Die Richterin sprach Herrn N. und Frau S. damals frei. Flüchtling zu sein allein mache noch keine Zwangslage aus, so im Wesentlichen die Begründung.

Immer wieder kommen fremde Leute in das Haus am Gaudenzdorfer Gürtel. Einmal wurden Türen eingeschlagen und ein anderes Mal die Duscharmaturen abmontiert.
Foto: Johannes Pucher

Keiner will's gewesen sein

Der STANDARD hat vier weitere Häuser in Wien, die der Firma Pecado direkt oder indirekt gehören, besucht und dort mit den Bewohnern gesprochen. Auch hier wohnen fast ausschließlich Geflüchtete. Viele Wohnungen sind überbelegt, schlecht oder gar nicht heizbar, in den Häusern gibt es teils mehrere Wasserschäden, manche Wohnungen sind stark verschimmelt. Einige Zimmer sind untervermietet – manchmal auch nur wochenweise, sagen die Nachbarn. Die Mieten sind, gemessen am Richtwertmietzins und dem Zustand der Wohnung, oft zu hoch. Die Mieter berichten unabhängig voneinander, dass sie beim Einzug Provisionen und Vertragserrichtungsgebühren bezahlt hätten, die die gesetzlichen Höchstgrenzen übersteigen. Alles bar und ohne Beleg. Auf die Frage, wer die Wohnung vermittelt und das Geld kassiert hat, fallen fast immer drei gleiche Namen – einer davon ist Farideh S.

Die bestreitet auf Anfrage, für ihre Tätigkeit Geld zu bekommen. Sie vermittle Wohnungen nur, um zu helfen, sagt sie. Ein anderer Vermittler, dessen Name in den Pecado-Häusern immer wieder auftaucht, erklärt dem STANDARD via Telefon, dass er in Wien aktuell um die 40 Wohnungen "zur Verfügung habe" und damit rund 10.000 Euro Gewinn pro Monat mache. Auf Nachfrage, wie genau er denn diesen Gewinn lukriere, legt er auf.

So sieht es in anderen Häusern der Firma Pecado zum Teil aus.
Foto: DerStandard / Levin Wotke

Von der Firma Pecado heißt es, bei den anderen Häusern habe man im Gegensatz zum Gaudenzdorfer Gürtel gewusst, dass sie vermietet sind. In diesen Fällen seien ja auch Mieten angekommen. Das Ausmaß der Überbelegung habe man aber nicht gekannt. Auch dass in einem Haus mehrere Wohnungen an ein und dieselbe Person vermietet sind, habe man erst kürzlich gemerkt. Man habe der Hausverwaltung Omega und Christian N. vertraut. "Das ist mächtig in die Hose gegangen", sagt eine Mitarbeiterin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Nun wolle man die Hausverwaltung wieder selbst übernehmen.

Wer letztendlich für die Situation am Gaudenzdorfer Gürtel verantwortlich ist, wird sich weisen. Was den "Schattenmarkt" an Wohnungen für Flüchtlinge angeht, so profitieren jedenfalls mehrere Seiten: Immobilienfirmen, die für desolate Wohnungen doch noch Mieten bekommen, Vermittler, die mutmaßlich über Provisionen und überhöhte Mieten verdienen, und manchmal dazwischengeschaltet noch eine Hausverwaltung. Durch die Finger schauen die Flüchtlinge.

Winter ohne Heizung

Mohammad und seine Nachbarn vom Gaudenzdorfer Gürtel wollen sich nun allerdings auch an die Justiz wenden. Unterstützt von der Mieterhilfe wollen sie die Kautionen zurückfordern und einen Differenzbetrag für die zu viel bezahlte Miete erhalten. Bereits im Jänner wurden über die Stadt Wien Ersatzwohnungen organisiert. Einige Bewohner vom Gaudenzdorfer Gürtel sind dort eingezogen. Andere konnten sich die erneuten Kautionen nicht leisten und sind geblieben – den ganzen Winter lang ohne Heizung, Warmwasser und Licht.

"Im Februar hatte es manchmal Minusgrade am Gang", erzählt Mohammad. Sein Zimmer heizt er notdürftig mit einer Gasflasche, die er bei Obi auffüllen lässt. "Kochen kannst du hier vergessen", sagt er und zeigt auf einen Gaskocher. Er esse immer auswärts. Zum Glück seien ihnen die Kebabstandler in der Umgebung wohlgesonnen. Dort laden er und die anderen Bewohner auch ihre Handys und Powerbanks auf. Zum Duschen und Wäschewaschen gehen sie zu Bekannten. Da sich die Eingangstür nicht verschließen lässt, kommen immer wieder fremde Menschen ins Haus. "Nachts hört es sich an, als wäre man im Wald. Bevor ich aufs Klo gehe, schreie ich laut herum, falls jemand am Gang ist", sagt Mohammad. Dann macht seine Gasflasche ein blubberndes Geräusch – und die Flamme geht aus. (Johannes Pucher, Levin Wotke, 22.5.2023)