Die Volksanwaltschaft gibt dem Ehepaar recht.

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Es war ein Google-Treffer, der Tiad* nach Wien brachte. Die lebenswerteste Stadt der Welt, las er – und wusste, er will in Österreich leben. Doch er hatte sich geirrt, sagt er heute. Könnte er es sich nochmals aussuchen, würde er woandershin fliegen.

Tiad ist Arzt, er kommt aus dem Iran – und er ist homosexuell. In seinem Heimatland kann er deswegen nicht frei leben. Seit der Islamischen Revolution ließ die Regierung tausende Menschen aus der LGBTQ+-Community hinrichten. Schwule Männer werden ausgepeitscht und öffentlich hingerichtet. Tiad will offen schwul leben können, aber auch seine Heimat nicht komplett aufgeben. Also kommt er nach Wien. In den Iran zurück kann er aber jetzt nicht mehr so einfach, und die Schuld daran trägt Österreich.

Deshalb hat Tiad die Republik verklagt. Sein Vorwurf: Weil das Außenministerium unvorsichtig mit seinen Daten umgegangen sei, dürfte der iranische Gottesstaat von seiner Sexualität erfahren haben. Er wird nie wieder in den Iran einreisen können, nie wieder in seiner Heimat arbeiten, nie wieder seine Familie oder seine Freunde besuchen können. Auch die österreichische Volksanwaltschaft sieht ein Fehlverhalten des Ministeriums – und pocht auf eine Entschuldigung.

In Wien verliebt

Rückblick: In einer Fahrschule in Wien lernt Tiad Robert* kennen und verliebt sich in ihn. Weil Tiad in Österreich bis heute keine Arbeitsbewilligung hat, leben die beiden zeitweise in einem Nachbarland. Dort darf er als Arzt praktizieren. Nach einigen Jahren kehren die beiden nach Wien zurück. Hier gefällt es ihnen besser. Tiad pendelt seitdem hin und her.

Hätte er von Beginn an Asyl beantragt, könnte die Situation eine andere sein. Als homosexueller Mann hätte Tiad gute Chancen gehabt – und dürfte heute in Österreich arbeiten. Aber er kommt aus wohlhabenden Verhältnissen und will einen anderen Weg gehen. "Ich habe mir damals gedacht, dass es nicht loyal von mir wäre, jemand anderem diese Möglichkeit zu nehmen, wenn ich doch das Geld habe und arbeiten kann", sagt er. "Doch wer das System nicht ausnutzen möchte, dem werden Steine in die Wege gelegt, trotz Ärztemangels", kritisiert Tiad.

Hochzeit verschoben

2021 entschließen sich Tiad und Robert zu heiraten. Für die Feier soll Tiads Familie aus dem Iran anreisen. Tiads Eltern wissen, dass ihr Sohn schwul ist, und sind liberal eingestellt. Sie zu schützen ist einer der Gründe, warum Tiad ein Pseudonym ist und der Arzt seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte.

Die Hochzeit wird immer wieder wegen Corona verschoben. Weil kein Ende der Pandemie in Sicht ist, vermählen sich die beiden im kleinen Kreis. Sie ziehen gemeinsam in ein Haus am Stadtrand, legen sich mehrere Katzen zu. Mit den Lockerungen 2022 will das Ehepaar nachfeiern, die Familie soll dafür anreisen.

Die Papiere muss Robert organisieren. Tiad darf das nicht, da er nicht in Österreich arbeitet. Robert ist besorgt: Für das Visum muss er angeben, in welcher Beziehung er zu der Familie von Tiad steht – und die Heiratsurkunde vorlegen.

Privatunternehmen wickelt Visaanträge ab

Visaanträge aus dem Iran verwaltet die österreichische Botschaft in Teheran nicht vollständig selbst, sondern beschäftigt das Privatunternehmen VFS Global. Es hat seinen Sitz in Dubai und betreibt auch ein Büro in Teheran. Wie das Außenministerium selbst sagt, würde die Firma bestimmte Aufgaben im Visaverfahren übernehmen, darunter die Auftragsannahme und die Prüfung der Anträge auf Vollständigkeit.

Allerdings erfährt so ein Unternehmen, in dem Iranerinnen und Iraner tätig sind, von der Ehe. Auch wenn diese zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, muss sich die Belegschaft, anders als die österreichische Botschaft, nicht an die österreichische Verfassung halten, sondern unterliegt den Gesetzen des Iran.

Was ist, wenn die iranische Geheimpolizei Spione oder regimefreundliche Mitarbeiter eingeschleust hat? Angesichts dessen, dass das Unternehmen Visaanträge für 67 Länder betreut – darunter auch Österreich –, ist das vermutlich keine unbegründete Sorge.

Botschaft: Kein Grund zur Sorge

Wie das Außenministerium später in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos erklären wird, muss es Visaanträge nicht direkt über die Botschaft abwickeln – darf es aber. In diesem Fall entscheidet es sich dagegen.

Robert versucht es bei jeder erdenklichen Stelle: Mehrmals kontaktiert er die Teheraner Botschaft, er schreibt sogar einen Brief an Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), den er bittet, ihn in direkten Kontakt zum österreichischen Botschafter im Iran Wolf Dietrich Heim treten zu lassen. Ohne Erfolg. In der Botschaft sehe man "nichts, worüber Sie besorgt sein brauchen", man werde das Visaverfahren "wie jedes andere abhandeln, und die Frage der sexuellen Orientierung ist dabei nicht relevant", heißt es. Robert bleibt hartnäckig, wird aber wieder und wieder vertröstet, "dass die Frage der Beziehung, in der der Einlader steht, bei VFS kein Thema ist".

Beziehung erfragt

Eine grobe Fehleinschätzung, wie Tiads Schwester Sara* findet. Ihre Eltern, aber auch sie, seien von VFS Global zur Vorsprache geladen worden. Dort fragte man sie, in welcher Beziehung Tiad und Robert F. zueinander stünden. Als sie lediglich erklärten, dass die beiden "Partner" seien, seien sie sogar darum gebeten worden, dies genauer zu spezifizieren. Damit waren sie gezwungen, die Ehe der beiden zu bestätigen. An der Decke habe sich eine Überwachungskamera befunden – ob diese filmte, weiß Sara nicht.

Nach der Vorsprache rief Tiads Mutter ihn an: Nie wieder dürfe er in den Iran einreisen. Selbst wenn sie eines Tages tot sein werde, solle ihr Sohn nicht kommen, bläut sie ihm ein. Zu groß wäre das Risiko.

Volksanwaltschaft kritisiert Außenamt

Tiad und Robert wenden sich daraufhin an die Volksanwaltschaft. Diese stellt grobe Verfehlungen fest: Das Vorgehen des Außenamts lasse "nicht auf die im vorliegenden Fall gewünschte und angebrachte Sensibilität bzw. Landeskunde schließen, zumal die Ausübung von Homosexualität im Iran immer noch mit der Todesstrafe geahndet wird", heißt es in einem Schreiben von Volksanwältin Gaby Schwarz (ÖVP). Sie regt an, Botschaften in Ländern, in denen Homosexualität mit dem Tod verfolgt wird, anzuweisen, Visumsanträge direkt entgegenzunehmen. Und: Zumindest eine Entschuldigung der österreichischen Botschaft in Teheran sei "angebracht".

Das Schreiben stammt vom September des Vorjahrs. Eine Entschuldigung gab es bis heute nicht. Im Gegenteil – auf STANDARD-Anfrage sieht das Außenministerium keinerlei Fehlverhalten. Eine Sprecherin betont, dass "keine Unregelmäßigkeiten bzw. keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht seitens unserer Mitarbeiter:innen an der ÖB Teheran oder des externen Dienstleisters Visa Facilitation Service (VFS) Global festgestellt wurden". Daher seien die Vorwürfe "falsch". Und: "Da die Überprüfung kein Fehlverhalten gezeigt hat, gibt es auch keinen Grund für eine Entschuldigung."

Yannick Shetty, Nationalratsabgeordneter der Neos, sieht das anders: "Niemand behauptet, dass Daten an Außenstehende gegeben wurden. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Belegschaft von VFS Global in Teheran an iranisches Recht gebunden ist." Auf der Webseite von VFS Global ist zu lesen, dass alle Streitigkeiten, die sich aus Dienstleistungen von VFS Global ergeben, der "ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte im Iran unterliegen".

Wenn es zu einer Weitergabe gekommen ist, ließe sich das kaum nachvollziehen. Belegen ließe sich das nur, wenn Tiad in den Iran einreisen – und dann festgenommen werden würde.

Widerspruch auf Webseite von VFS Global

Das Außenministerium dementiert zudem, dass Nachfragen zu der Ehe zwischen den beiden "gestellt wurden – sie sind im Verfahren nicht vorgesehen". Auch "waren im vorliegenden Falle keine Unterlagen abzugeben, die auf die sexuelle Orientierung hingedeutet hätten". Die englischsprachige Webseite von VFS Global widerlegt das: Dort ist zu sehen, dass Dokumente zu der Beziehung des Antragstellers – also Robert – vorzulegen sind. Die deutschsprachige Webseite sieht das allerdings nicht vor.

Danach gefragt, betont das Außenministerium erneut, dass das Paar keine Unterlagen zum Beziehungsstatus hätte vorlegen müssen, das sei Robert "mehrmals mitgeteilt" worden. Tiads Schwester hat ihre Angaben eidesstaatlich versichert.

Nun hat Tiad die Republik auf Schadenersatz geklagt. Selbst wenn ihm kein solcher zustehe, wolle er das Außenministerium dazu bewegen, künftig achtsamer mit den Daten homosexueller Menschen umzugehen, sagt er. Er habe das Geld, um diesen Rechtsstreit zu führen – andere vielleicht nicht. Der Traum, offen schwul leben zu können und trotzdem seine Heimat zu behalten, ist für ihn geplatzt. (Muzayen Al-Youssef, 13.4.2023)