Seit vielen Jahren wird am Gelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs herumgeplant, sehr konkret ist das größte Städtebauprojekt in der Brigittenau (im Bild das helle, langgestreckte Areal) aber noch nicht.

Foto: Nightnurse / ÖBB / enf architekten

Wien – Kaum vom Nationalrat beschlossen und kundgemacht, zeigen sich die von Fachleuten befürchteten Probleme des novellierten Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes (UVP) in der Praxis. In Wien gibt es aktuell zwei Städtebauprojekte, die wohl vor dem Verwaltungsgerichtshof landen werden.

Der Grund: Die Kumulationsprüfung, mittels der die Wechselwirkungen benachbarter Städtebauprojekte hinsichtlich Verkehrsbelastung, Naturschutz, Lärm, Schadstoffe, Luft, Fläche und Boden untersucht werden sollen, wurde für Projekte unterhalb des UVP-Schwellenwerts (25 Hektar beziehungsweise fünf Hektar) gestrichen. Das könnte nun dazu führen, dass manchen Projekten gar nicht mehr auf den Zahn gefühlt wird. Denn wohl wurde ein niedrigerer Schwellenwert für Einzelfallprüfungen eingeführt, sagt der mit UVP- und Städtebauverfahren vertraute Rechtsanwalt Wolfram Schachinger. "Aber das ist gerade im 22. Bezirk eine Farce, weil in der Donaustadt lauter zeitlich gestückelte Vorhaben stattfinden."

In der Nachbarschaft

Anschauliches Beispiel ist das Städtebauprojekt Süßenbrunner Straße Nord in der Donaustadt, das direkt an das bereits in Bau befindliche Projekt Berresgasse grenzt und sich seinerseits in unmittelbarer Nachbarschaft zum Projekt "Oberes Hausfeld" befindet. Während das Obere Hausfeld zur UVP eingereicht wurde, sind die Anrainer und Bürgerinitiativen mit einem solchen Ansinnen für die von den Wohnbaugesellschaften Wiener Heim, Wien Süd und Siedlungsunion geplanten Wohnhaus- und Gewerbeanlagen auf 131.000 Quadratmetern abgeblitzt. Das Bundesverwaltungsgericht sah keine Notwendigkeit für eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Das Wohnbauprojekt Süßenbrunner Straße sei dafür zu klein, so die Begründung, es werde ohnehin eine Einzelfallprüfung durchgeführt.

Zu klein für genaue Prüfung

Die zuständige Umweltbehörde MA 22 erachtete freilich auch die eigentlich vorgesehene Kumulierungsprüfung als nicht notwendig, erschließt sich aus dem am 15. November 2022 kundgemachten Bescheid. Weil weder der Schwellenwert von fünf Hektar erreicht wird noch 25 Prozent davon, wie im Gesetz vorgesehen. Zudem bleibe man mit 900 Fahrzeugstellplätzen unter der kritischen Marke von 5.000 Parkplätzen, und die Oberfläche des neuen Viertels mit zwei Kindergärten und einem Supermarkt werde sowieso autofrei gestaltet (es gibt unterirdische Garagen).

In der Zusammenschau mit den benachbarten neuen Stadtvierteln Berresgasse und Oberes Hausfeld scheint eine Schmalspurprüfung freilich nicht ausreichend. Denn dies kann dazu führen, dass die Auswirkungen derartiger Siedlungsprojekte gar nicht mehr geprüft werden. Ist beispielsweise das Projekt Berresgasse mit tausenden Wohnungen inklusive Schulzentrum einmal fertiggestellt, gilt es als Bestand und muss in eine Kumulierungsprüfung gar nicht mehr einbezogen werden.

Auswirkungen auf Verkehr, Lärm, Wasser, Fauna und Flora blieben damit ungeprüft, skizziert Anwalt Schachinger das Problem. Er hält diese Vorgangsweise für EU-rechtswidrig und will den Bescheid bis zum Höchstgericht bekämpfen. Eine Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht, bei dem zahlreiche betroffene Bürger mit einer Beschwerde abgeblitzt sind, ausgeschlossen. Bleibt also nur mehr der Gang zum Verwaltungsgerichtshof (VwGH).

Nordwestbahnhof

Noch nicht so weit ist man beim Projekt Nordwestbahnhof im 20. Gemeindebezirk, einem der größten Wohnbauprojekte diesseits der Donau, das von ÖBB-Immobilien und Stadt Wien gemeinsam geplant wird. Wohl wurde hier eine UVP durchgeführt, die von der Bürgerinitiative Nordwestbahnhof vorgebrachten Einwände wurden von der Umweltbehörde MA 22 allerdings nicht berücksichtigt. Die Anrainer fürchten ab der Fertigstellung 2035 nicht nur zusätzliche Verkehrs- und Lärmbelastung.

Der Grund: Die von der ÖBB eingereichten Verkehrszählungen sind mehr als 15 Jahre alt. Damals wurde der Güterverkehrsbetrieb auf dem Nordwestbahnhof Zug um Zug eingestellt, Zu- und Abtransporte per Lkw blieben aus. Die Zukunft sieht laut den von der ÖBB vorgelegten Verkehrszählungen hingegen sehr belebt aus: Bis 2035 wird der Kfz-Verkehr auf der Nordwestbahnstraße um 46 Prozent zunehmen, zitiert der Sprecher der Bürgerinitiative, Rolf Nagel, aus den Prognosen.

Vieles unkronkret

Insgesamt wimmelt es in den Projektunterlagen an wenig konkretisierten Vorhaben, die Energieversorgung etwa soll erst in einem Jahr festgelegt werden. All das erschwert eine gesamthafte Betrachtung der Auswirkungen erheblich. Die Bürgerinitiative hat deshalb Beschwerde gegen den UVP-Bescheid eingelegt, am Freitag wird darüber vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt.

Anwalt Schachinger übt grundsätzliche Kritik an den UVP-Regelungen: "In der EU-Richtlinie gibt es keine eigenen Bestimmungen für eine UVP im Städtebau. Das ist ein österreichischer Taschenspielertrick", sagt Schachinger unter Verweis auf das neue UVP-Gesetz, mit dem das konzentrierte Genehmigungsverfahren abgeschafft wurde. "Die Praxis setzt dies gleich mit einem nicht so starken Konkretisierungserfordernis für das Vorhaben. Damit wird die UVP zur Farce." Damit schließt sich der Kreis zu den Donaustädter Projekten. (Luise Ungerboeck, 13.4.2023)