Käse – insbesondere gut gereifter – ist vielleicht nicht auf jedem Teller willkommen, am Übergang zur Sesshaftigkeit hat uns dieses Nahrungsmittel wahrscheinlich aber durch so manche schwere Zeit geholfen. Frische Milch – eigentlich eine sehr nahrhafte Energiequelle – enthält Milchzucker, der bei den frühen Viehhaltern im Erwachsenenalter teilweise schwere Verdauungsprobleme bewirkte.

Milchprodukte für das Überleben

Eine Mutation, die den Abbau der Laktose ermöglichte, sollte sich erst viel später verbreiten, so mussten die ersten Bauern andere Mittel und Wege finden, den Milchzuckeranteil der Milch zu reduzieren. Fachleute halten es daher für sehr plausibel, dass die Hirten im Mittleren Osten schon sehr früh in der Geschichte der Landwirtschaft über die bessere Bekömmlichkeit von Käse und Joghurt Bescheid wussten. In fermentierten Milchprodukten befindet sich deutlich weniger Laktose als in frischer Milch. Je älter ein Käse ist, desto weniger Milchzucker enthält er; aus lange gereiftem Parmesan ist er praktisch völlig verschwunden.

Der älteste physische Beweis für Milchwirtschaft und Käseherstellung stammt allerdings nicht aus Asien, sondern aus Nordeuropa: 2012 entdeckte ein polnisch-britisches Archäologenteam im nordpolnischen Kujawien entsprechende Überreste auf fast 7.500 Jahre alten Tonscherben. Die siebähnlichen Gefäße dürften für die Herstellung von Käse verwendet worden sein, schloss das Team aus seinen Analysen, was auch die Frage klärte, ob Vieh in Nordeuropa vor 7.000 Jahren auch wegen seiner Milch gehalten wurde.

So einladend das tibetische Hochland hier aussehen mag, den prähistorischen Menschen boten einige Hochtäler schwierigste Lebensbedingungen.
Foto: Li Tang

Nahrungsgrundlage auf dem Dach der Welt

Käse, Joghurt und Milch dürften es schließlich auch gewesen sein, die den Menschen nachhaltig den Weg zum Dach der Welt ebneten: Ein internationales Forschungsteam entdeckte in Zähnen Hinweise darauf, dass Milchprodukte der prähistorischen Bevölkerung dabei halfen, sich in den unfruchtbaren Höhen des tibetischen Hochlands zu etablieren.

Einen großen Vorteil, um unter den harten Umweltbedingungen des zentralasiatischen Hochgebirges zu überleben, lieferten genetische Anpassungen. Sie erlaubten es den Tibetern, auch mit geringeren Sauerstoffkonzentrationen auszukommen. Dies dürfte es ihnen ermöglicht haben, dem ressourcenarmen Hochland überhaupt ausreichend Nahrung abzuringen. Einen wichtigen Teil des Speiseplans bildeten dabei schon vor über 3.000 Jahren die Produkte der Milchviehhaltung, wie eine aktuelle Studie im Fachjournal "Science Advances" zeigt.

Milchproteine aus Zahnstein

Das fand das Team unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie, Jena, bei der Analyse von Zahnstein heraus. Die Proben stammten von 40 Individuen von 15 Fundorten aus dem Inneren des tibetischen Plateaus. "Wir haben versucht, alle ausgegrabenen Individuen mit ausreichend erhaltenem Zahnstein aus der untersuchten Region einzubeziehen", sagte Li Tang, Hauptautorin der Studie.

Die Karte zeigt die Fundorte der untersuchten menschlichen Überreste.
Karte: MPI für Paläoanthropologie

Das Ergebnis lieferte eindeutige Hinweise auf Milchproteine, für die Forschenden ein Beweis, dass die Milchwirtschaft vor mindestens 3.500 Jahren auf dem Hinterland des tibetischen Plateaus eingeführt wurde. Offenbar wurden Milchprodukte von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen konsumiert, das zumindest lässt sich aus den Zahnsteinuntersuchungen herauslesen. Frauen und Männer, Erwachsene und Kinder, Personen aus elitären und weniger elitären Begräbnisstätten ernährten sich demnach gleichermaßen von Milchprodukten.

Ziegen, Schafe, Yaks

Die Milch erhielten die Hochlandbewohnerinnen und -bewohner von Ziegen, Schafen und möglicherweise Rindern und Yaks. Ziegenmilch dürfte jedoch bevorzugt worden sein – ein wahres Lebenselixier in einer unwirtlichen Umgebung. "Die Einführung des Pastoralismus ermöglichte es den Menschen maßgeblich, einen Großteil des Plateaus zu besiedeln, insbesondere die gewaltigen Gebiete, die für den Ackerbau zu extrem waren", sagte Nicole Boivin vom MPI für Geoanthropologie.

Für die Forschenden liegt auf der Hand, warum die Milchwirtschaft für die frühe pastorale Besiedlung des Hochlands von so großer Bedeutung war: Die Wiederkäuer konnten die in alpinen Weiden gebundene Energie in nährstoffreiche Milch und Fleisch umwandeln. Das habe die Ausbreitung menschlicher Populationen in einige der extremsten Umgebungen der Welt begünstigt, so die Wissenschafter.

Dieser Kiefer wurde an einer Stelle 4.654 Meter über dem Meer freigelegt. Auch in Zahnstein dieser Zähne wurden Milchproteine entdeckt.
Foto: Li Tang

Milchwirtschaft in großer Höhe

Das spiegelte sich auch in den Fundorten wider: Alle untersuchten Milchpeptide stammen von Individuen aus den westlichen und nördlichen Steppen, wo der Anbau von Getreide äußerst schwierig ist. In den südlichen, zentralen und südöstlichen Tälern, wo mehr Ackerland zur Verfügung steht, konnten die Forschenden keine Milchproteine finden. Zur Überraschung des Teams wurden alle Individuen mit Hinweisen auf Milchkonsum an Plätzen gefunden, die höher als 3.700 Meter über dem Meeresspiegel liegen, fast die Hälfte sogar über 4.000 Meter. Der höchste Fundort liegt auf 4.654 Metern Seehöhe

Um herauszufinden, ob und in welchem Ausmaß eine prähistorische Gesellschaft Milchwirtschaft betrieb, war man bisher vor allem auf Tierfunde und Spuren im Inneren von Lebensmittelgefäßen angewiesen. Mittlerweile jedoch bergen selbst kleinste Proteinspuren aus dem Zahnstein kostbare Informationen zum Speiseplan der frühen Bauern. "Die Paläoproteomik ist ein neues und leistungsfähiges Werkzeug, das es uns ermöglichte, die tibetische Ernährungsweise in einem noch nie dagewesenen Detail zu erforschen", sagte Co-Autorin Shevan Wilkin, ebenfalls MPI für Geoanthropologie. (tberg, red, 16.4.2023)