Die Arbeiterkammer fordert ein neues Arbeitszeitgesetz mit weniger Wochenstunden. Ob 30 oder 35 Stunden, das sei Verhandlungssache.

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Die Diskussion über eine Neugestaltung der Arbeitswelt samt Arbeitszeiten nimmt Fahrt auf. Während quer über alle Branchen Arbeitskräfte fehlen und einer der Kandidaten um den Vorsitz der SPÖ, Andreas Babler, in sein Arbeitsprogramm explizit die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufgenommen hat, prescht nun auch die Arbeiterkammer (AK) Wien vor. Deren Präsidentin Renate Anderl forderte am Freitag bei der Präsentation einer Ende 2022 durchgeführten Onlineumfrage Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) auf, ein neues, modernes Arbeitszeitgesetz unter Einbindung der Sozialpartner auf den Weg zu bringen.

"Im Mittelpunkt muss die neue, gesunde Vollzeit stehen, und damit meine ich eine spürbare Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich", sagte Anderl. Gleichzeitig müssten die 2018 beschlossenen Regelungen zum Zwölfstundentag sofort wieder zurückgenommen werden. Und weil All-in-Verträge bestehende Arbeitszeitvorschriften aushöhlten, müssten diese verboten werden.

Produktivität deutlich gestiegen

Anderl verwies darauf, dass das in Kraft befindliche Arbeitszeitgesetz aus der Mitte der 1970er-Jahre stamme. "In diesen fast 50 Jahren hat sich die Produktivität pro geleistete Arbeitsstunde verdoppelt, bei der gesetzlichen Arbeitszeit hat sich aber nichts getan", ergänzte Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien. Der Arbeitsdruck sei enorm gestiegen. Viele Beschäftigte fühlten sich ausgelaugt, jede dritte befragte Person glaube nicht, es im aktuellen Job bis in die Pension zu schaffen.

Zwar sei es den Gewerkschaften gelungen, in einzelnen Kollektivverträgen Arbeitszeiten unter 40 Wochenstunden zu verankern; nun gehe es aber darum, eine gesetzliche Regelung über alle Branchen hinweg zu treffen, sagten Anderl und Pirklbauer. Das decke sich mit dem Wunsch der Mehrheit der Personen, die an der Umfrage teilgenommen haben.

Mehr Zeit für Erholung

82 Prozent wünschen sich demnach veränderte Arbeitszeiten, sprich weniger Stunden pro Woche. "Dieser Wunsch geht quer durch alle Branchen", sagte Pirklbauer. Für etwa sechs von zehn Frauen und Männern liege der gewünschte Korridor für die Wochenarbeitszeit zwischen 25 und 35 Stunden. Die gewonnene Zeit möchten 59 Prozent für sich und mehr Erholung nutzen, 58 Prozent gaben an, mehr mit der Familie zusammen sein zu wollen, 44 Prozent mehr in Hobbys zu investieren.

Insgesamt haben 4.700 Personen an der Umfrage teilgenommen, ausgewertet wurden die Daten von der Forschungs- und Beratungsstelle Forba. Die Umfrage sei zwar nicht repräsentativ, weil sie die Bevölkerungszusammensetzung nicht exakt abbilde, gebe aber ein gutes Stimmungsbild, hieß es.

Dritthöchste Arbeitszeit in EU

Obwohl Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer im Zusammenhang mit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit erst unlängst von "Phantastereien" und absehbaren Wohlstandsverlusten in Österreich gesprochen hat, will sich AK-Präsidentin Anderl dadurch nicht abschrecken lassen. Österreich habe bei Vollzeitbeschäftigten mit durchschnittlich 40,8 geleisteten Wochenstunden die dritthöchste Arbeitszeit in der EU. Nur Zypern (41,3) und Schweden (41,2) liegen darüber. Der Schnitt im Euroraum beträgt 39,4 Wochenstunden.

Den Einwand, dass viele Branchen jetzt schon schwer Arbeitskräfte finden und bei einer gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung die dann notwendigen zusätzlichen Personen erst recht nicht finden würden, lässt Anderl nicht gelten. "Das Arbeitskräftepotenzial ist da," sagt sie. Das Verhältnis Arbeitssuchende zu offenen Stellen liege noch immer bei rund 3:1. Außerdem arbeiteten knapp 440.000 Personen aufgrund von Betreuungspflichten in Teilzeit, wovon mehr als 170.000 ihre Wochenstunden sofort aufstocken würden, drei Viertel davon sogar um mehr als fünf Stunden. Zudem wachse das Arbeitskräftepotenzial laut einer Wifo-Studie im Zeitraum 2018 bis 2040 um etwa 176.000 Personen. Krankenstände gingen zurück, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz steige.

Kocher bremst

Arbeitsminister Kocher sieht die Notwendigkeit für ein neues Arbeitszeitgesetz nicht. "Die Sozialpartner haben aktuell viele Möglichkeiten im Rahmen ihrer Kollektivvertragsautonomie eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem oder teilweisem Lohnausgleich bzw. eine Vier-Tage-Woche umzusetzen," heißt es im Ministerium auf STANDARD-Anfrage. Einige dieser Möglichkeiten würden bereits genutzt. Mehr als 40 Kollektivverträge sehen derzeit weniger als 38,5 Stunden wöchentlicher Normalarbeitszeit vor. Dazu zählt z. B. der Kollektivvertrag für mobile Pflege- und Betreuungsdienste in der Steiermark mit 36 Wochenstunden.

Um branchenspezifische Erfordernisse und Unterschiede berücksichtigen zu können, sollten allfällige Arbeitszeitverkürzungen weiterhin im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen erfolgen, heißt es im Büro Kocher. Die branchen- bzw. betriebsinterne Einführung von Vier-Tage-Wochen durch eine Neuverteilung der Arbeitszeit sei auch durch die Arbeitszeitflexibilisierung im Jahr 2018 erleichtert worden." Es liegt an den Sozialpartnern, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen", meint der Arbeits- und Wirtschaftsminister.

(Günther Strobl, 14.4.2023)