Wien – Freitagnachmittag wurde noch über letzte offene Punkte des ORF-Gesetzes verhandelt. Kommende Woche dürfte das neue ORF-Gesetz konkret werden – womöglich schon als Gesetzesentwurf für ein Begutachtungsverfahren. Allerdings sind offenbar kommende Woche noch einige Termine in der Sache geplant.

ÖVP und Grüne verhandelten in den vergangenen Wochen intensiv, ORF und private Medienhäuser versuchten sich zumindest so intensiv einzubringen. Als fix präsentiert wurde schon ein "ORF-Beitrag" für alle Hauptwohnsitze und Unternehmen statt der GIS ab 2024 – also auch für Streaminghaushalte.

Was sind die Themen für eine solche Novelle, die immerhin Österreichs weitaus größten Medienkonzern regelt? Der ORF kommt auf rund eine Milliarde Euro Einnahmen pro Jahr, davon rund 700 Millionen Euro verpflichtende Beiträge der Bevölkerung, der Rest großteils aus Werbung. Er ist vielfach größer als alle privaten Rundfunkunternehmen in Österreich zusammen und doppelt so groß wie das größte private Medienhaus.

Private Medienunternehmen – zuletzt der "Kurier"-Geschäftsführer – warnen, der ORF bedrohe die Existenz der österreichischen Mitbewerber. Sie fordern vehement etwa Beschränkungen des ORF online, insbesondere des Textangebots, und Werbebeschränkungen für den ORF. ORF.at sei mit verpflichtenden öffentlichen Beiträgen finanziert und frei zugänglich; das Angebot verhindere so tragfähige Digitalabonnementstrategien privater Medienunternehmen.

Für Diskussionsstoff bis zuletzt beim ORF-Gesetz sorgte ORF.at.
Foto: ORF.at

ORF-Gesetz von A bis Z

Was ist also vom neuen ORF-Gesetz zu erwarten? Ein Überblick von A bis Z – soweit bereits absehbar.

Abgabe

Ab 2024 wird ein "ORF-Beitrag" fällig, der für alle Hauptwohnsitze und für Betriebsstätten von Firmen zu bezahlen ist – unabhängig vom Empfang oder Empfangsgeräten. Damit müsste es nach ORF-Schätzungen zwischen 300.000 (bisher GIS-freie Streaminghaushalte) und 700.000 (plus rund 400.000 vermutete Schwarzseher) mehr Zahler geben.

Hat der ORF nicht wegen der vielen neuen Zahler weit höhere Einnahmen? Der ORF darf laut Gesetz und EU-Vorgabe Gebühren oder Beitrag nur für die Kosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags bekommen. Nach Informationen aus den Verhandlungen sollen die Kosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags beschränkt werden. Mehreinnahmen kommen auf ein Sperrkonto, sagen Verhandler.

Der ORF soll statt bisher 18,59 Euro pro Monat künftig rund 15,20 Euro bekommen. Der Bund verzichtet auf 3,86 Euro Steuern und Abgaben pro Monat, die er bisher auf die GIS aufschlägt. Oberösterreich und Vorarlberg verzichten schon bisher auf Landesabgaben auf die ORF-Gebühr, Niederösterreich will das ab 2024 tun. Die übrigen Länder tüfteln noch – oder werden wegen des geringeren Ausgangsbetrags weniger Abgabe bekommen, wenn sie nichts ändern.

Beitragserhöhung (bisher: GIS-Erhöhung)

Kann der ORF nicht gleich nach der Umstellung eine Erhöhung des ORF-Beitrags beantragen? Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) und Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer versicherten bei der Präsentation des ORF-Beitrags vor wenigen Wochen, dass man dafür Vorkehrungen treffen werde.

Der ORF wird nach bisherigen Infos auch künftig Gebührenerhöhungen bei seinem Stiftungsrat beantragen, der ihn beschließt. Die Mitglieder des Stiftungsrats haften per Gesetz für das wirtschaftliche Wohl des ORF. Schon bisher prüft die Medienbehörde KommAustria die Berechnung von Gebührenerhöhungen laut Gesetz spätestens alle fünf Jahre (bisher beantragte der ORF nicht häufiger). Raab kündigte ein "nachgeschärftes" Verfahren der Medienbehörde über Beitragserhöhungen an. Wie? Noch nicht abzusehen.

Betriebsstätte

Der ORF-Beitrag wird auch für Unternehmen fällig – so sie in ihrer Betriebsstätte Radio- oder Fernsehgeräte hatten und meldeten, mussten sie schon bisher GIS zahlen. Wie viel für welche Betriebsstätten fällig wird, war unklar. Verhandler erklärten als Ziel: Unternehmen sollten nicht mehr zahlen müssen als bisher. Weil nun aber Empfangsgeräte egal sind, müssten es – analog zu den Privathaushalten – mehr zahlende Unternehmen werden.

In Deutschland wird der Rundfunkbeitrag für Unternehmen nach Beschäftigtenzahl gestaffelt. In Österreich könnte die Höhe des Umsatzes herangezogen werden, sagen Verhandler. Einige zehntausend Firmen mehr könnten Beitragszahler werden.

Digitalnovelle

Die neue ORF-Finanzierung via Beitrag für alle ist die für die Konsumentinnen und Konsumenten aufregendste Änderung am ORF-Gesetz. Für die private Medienbranche kommt eine zweite gravierende Änderung hinzu: Bisherige Beschränkungen für den ORF online sollen fallen. Der ORF will Formate eigens für Streaming produzieren können und auf Social Media ausspielen können. Vorbild (und Kooperationspartner) dürfte hier vor allem das Jugendangebot "Funk" von ARD und ZDF sein.

Private Medienunternehmen verlangen im Gegenzug deutlich weniger Textangebot auf ORF.at. Das frei zugängliche, aus ihrer Sicht "zeitungsähnliche" Angebot (Zeitungsähnlichkeit verbietet das ORF-Gesetz schon heute) verhindere den wirtschaftlichen Erfolg von privaten Bezahlangeboten. Private Medienunternehmen brauchen Digitalabos, um ihre journalistischen Angebote zu finanzieren – weil internationale Digitalkonzerne wie Google/Youtube und Meta Werbegeld absaugen, das Journalismus bisher wesentlich finanzierte. Dazu kommen explodierte Papierpreise und Vertriebskosten, inflationsbedingt massiv steigender Personalaufwand und bei vielen rückläufige Printabozahlen.

Beschränkungen von Text und Werbung online für den ORF wurden in den Verhandlungen diskutiert. ORF-General Roland Weißmann hat eine Halbierung des Textangebots zugesagt – zugunsten von Videobeiträgen, die allerdings ebenfalls eine massive Konkurrenz zu privaten Medienangeboten bedeuten. Private Medienunternehmen kritisieren zudem gebührenfinanzierte Inhalte auf werbefinanzierten Social-Media-Plattformen wie Tiktok, Youtube, Instagram – die schon traditionelle Medienhäuser massiv Werbeeinnahmen kosten.

EU-Beschwerde

Private Medienmacher wie Kronehit-Geschäftsführer und Jurist Philip König drohten der Regierung bereits mit einer neuerlichen EU-Beschwerde, wenn das ORF-Gesetz nicht einen Ausgleich zwischen ORF und privaten Marktteilnehmern schaffe. Bis 2009 führte die EU ein Beihilfenverfahren gegen die Republik Österreich, nach Beschwerden privater Medien, wegen der Rundfunkgebühren. Ergebnis war das ORF-Gesetz von 2010 mit klareren Regeln für ORF-Auftrag und ORF-Finanzierung.

Der künftige "ORF-Beitrag", probeweise visualisiert in den bisherigen GIS-Farben
Foto: STANDARD-GRAFIK

GIS

Die ORF-Gebührentochterfirma GIS wird wohl einen anderen Namen bekommen, wenn aus der "GIS" – eigentlich Programmentgelt für den ORF plus Landes- und Bundesabgaben – ein "ORF-Beitrag" wird, der auch für Streaminghaushalte fällig wird. In Deutschland wurde aus der "GEZ" ein "Beitragsservice". Auch in Österreich dürfte der ORF oder ein Tochterunternehmen den künftigen "Beitrag" einheben.

Hausbesuch

Die recht häufig für Irritationen sorgenden Hausbesuche der GIS wird es mit dem Beitrag nicht mehr geben, verspricht die Medienministerin. Das sei nicht mehr zeitgemäß.

Onlinekanäle

Der ORF will künftig digitale Video- und Audiokanäle betreiben. Das Gesetz dürfte dazu – mit Auflagen und Werbebeschränkungen beziehungsweise Werbeverboten – Möglichkeiten bieten. Auf der Wunschliste des ORF steht schon seit Jahren eine Streamingvideoplattform für Kinder. Ein Informationskanal ist einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen schwer zu verbieten. Und ORF Sport Plus soll nach bisherigen Ankündigungen vom Rundfunk- zum Digitalangebot werden.

Im Radio soll es ebenfalls zusätzliche digitale Audiokanäle geben – allerdings unter umfangreichen öffentlich-rechtlichen Vorgaben. Ein junges Ö3-Digitalprogramm – früher geplant unter dem Arbeitstitel "Ö3X" für Digitalradio – dürfte sich da eher schwer ausgehen.

Onlinewerbung

Private Medienhäuser drängen auf Online-Werbebeschränkungen für den ORF. Gerungen wurde nach STANDARD-Infos um die konkreten Limits für Ad Impressions für den ORF. Derzeit nimmt der ORF nach eigenen Angaben 19,5 Millionen Euro (2022) mit Onlinewerbung ein. Bisher beschränkt das ORF-Gesetz Online-Werbeeinnahmen auf fünf Prozent der Einnahmen aus Programmentgelten – das wären 2022 gut 33 Millionen Euro gewesen.

Foto: ORF.at

ORF.at

Die "blaue Seite" dürfte deutlich umgebaut werden. 70 Prozent der Inhalte sollen künftig Videobeiträge mit beschränktem Textumfang sein, 30 Prozent alleinige Textbeiträge, sagen Verhandler.

ORF Sport Plus

Der ORF-Sportspartenkanal soll künftig als digitales Angebot weiterfunken, ein Teil der Sportübertragungen auf ORF 1 wandern.

Politikeinfluss

Der Verfassungsgerichtshof grübelt derzeit über einer Beschwerde des Burgenlands, ob die ORF-Gremien zu politiknah besetzt sind und der Politikeinfluss damit verfassungswidrig hoch ist. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht den Anteil staatlicher und staatsnaher Vertreter in den Aufsichtsgremien auf ein Drittel beschränkt. Im ORF-Stiftungsrat dürften sie gut zwei Drittel ausmachen, im ORF-Publikumsrat bestellt die Medienministerin die Mehrheit.

Die Grünen hätten sich eine Änderung der ORF-Gremien gut vorstellen können, die ÖVP winkte bisher ab – sie stellt derzeit alleine die bestimmende Mehrheit im ORF-Stiftungsrat. Eine Änderung der ORF-Gremien war also bisher nicht Thema in den Verhandlungen über ein neues ORF-Gesetz. Mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist allerdings bis Sommer zu rechnen – da soll dann das neue ORF-Gesetz beschlossen werden.

Privilegien

"Privilegien" von ORF-Mitarbeitern insbesondere aus alten Verträgen – bestimmte Zulagen und Abfertigungsregelungen etwa – wollten sich Medienministerin Raab und Grünen-Klubchefin Maurer vornehmen und nach Möglichkeit abschaffen. Ein rechtlich schwieriges Unterfangen, zeigte sich unterwegs.

Radio

Der ORF soll zusätzliche Onlineradios starten dürfen – mehr unter Onlinekanäle.
Radiowerbung – insbesondere auf Ö3 – wird beschränkt – mehr unter Werbebeschränkungen.

RSO

Nach Aufforderung der Medienministerin zum "ORF-Rabatt" ging ORF-General Weißmann mit einem Sparprogramm in die Endverhandlungen über das ORF-Gesetz: Das Radio-Symphonieorchester (RSO) sei nicht mehr vom ORF finanzierbar. Inzwischen gaben ORF und Politik erste Entwarnung.

Das RSO dürfte vorerst bis 2026 über das ORF-Budget finanziert werden, sagen Verhandler. Über konkrete Modalitäten drang noch nichts nach außen. Allerdings könnte die Finanzierung über öffentliche Beihilfen für das Orchester unterstützt werden, wird spekuliert.

Stiftungsrat

Im Entwurf für ein neues ORF-Gesetz sind keine Änderung für ORF-Gremien vorgesehen; der Verfassungsgerichtshof könnte das noch ändern – mehr unter Politikeinfluss.

Streaming

Der ORF soll künftig online only und online first Audio- und Videoinhalte produzieren dürfen. Bisher muss er (mit wenigen Ausnahmen) Formate erst im Rundfunk ausstrahlen und kann sie dann online zum Abruf anbieten, beschränkt auf sieben Tage. Auch dieses Limit soll fallen – bei ARD und ZDF gibt es etwa eine Beschränkung auf ein Jahr, bei Kaufproduktionen aber deutlich kürzere Limits online.

Transparenz

Medienministerin Raab und Grünen-Klubchefin Maurer haben angekündigt, dass der ORF künftig – wie etwa die BBC – (Spitzen-)Gehälter veröffentlichen muss. Zudem müsse der ORF Nebentätigkeiten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Zulagen offenlegen.

Verfassungsgerichtshof

Das Höchstgericht machte die Neuregelung der ORF-Finanzierung nötig: Der Verfassungsgerichtshof hat die bisherige GIS-Regelung mit Ausnahme für Streamingnutzung für verfassungswidrig erklärt und mit Ende 2023 aufgehoben.

Derzeit berät er über den Politikeinfluss in den ORF-Gremien – mehr unter Politikeinfluss.

Werbebeschränkungen

Das neue ORF-Gesetz dürfte Einschränkungen der Radio-Werbezeiten bringen, die vor allem die bisherige Werbe-Cashcow Ö3 treffen. Der Sender spielt bisher mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr mit Werbung ein. Rund zehn Millionen davon dürften mit den neuen Beschränkungen wegfallen, schätzen Kenner der Materie. Die Privatsender forderten auch weniger Möglichkeiten des ORF, Werbespitzen mit einer gesetzlich erlaubten Durchrechnung der Werbelimits über das gesamte Jahr auszugleichen.

Wettbewerb

Private Medienhäuser sehen durch die marktbeherrschende Stellung und die 700 Millionen Euro Finanzierung den Wettbewerb im österreichischen Medienmarkt massiv verzerrt. Sie befürchten durch das neue ORF-Gesetz eine noch dramatischere Schieflage.

Zeitungsähnlich

Das ORF-Gesetz verlangt vom Online-News-Angebot des ORF schon jetzt "Überblicksberichterstattung", die nicht "zeitungsähnlich" sein dürfe. Private Medienhäuser sehen im aktuellen ORF.at exakt diese Zeitungsähnlichkeit und damit wesentliche Wettbewerbsverzerrung durch Gebührenfinanzierung. Das neue ORF-Gesetz soll den Anteil reiner Textmeldungen auf 30 Prozent reduzieren – siehe ORF.at. (Harald Fidler, 15.4.2023)