Aus Sicherheitsgründen herrscht beim BVT-Verfahren um Amtsmissbrauch im Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen Wien ein Fotografierverbot.

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Wien – Verteidiger Klaus Ainedter sieht im Eröffnungsplädoyer im Amtsmissbrauchsverfahren gegen vier Angeklagte Parallelen zwischen der Arbeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und einer literarischen Figur. "Ich komm' mir vor wie bei der Pippi Langstrumpf, die sich auch ihre Welt zurechtgelegt hat", kritisiert er. Während die beiden WKStA-Vertreter im Großen Schwurgerichtssaal nämlich überzeugt sind, nachweisen zu können, dass die (Ex-)Mitarbeiter des früheren Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Amtsmissbrauch begangen haben, sind die Rechtsvertreter der Meinung, die angeklagten Beamten hätten ihre Arbeit vorbildlich erledigt.

Es geht in der Sache um Khaled A., einst ein General der syrischen Armee und Leiter eines Gefängnisses in Ar-Raqqa. Der setzte sich im Laufe des Bürgerkrieges von Syrien nach Frankreich ab. Der israelische Auslandsgeheimdient Mossad zeigte Interesse an Informationen, die der General besitzen konnte. Allein: Die französischen Behörden waren offenbar nicht übermäßig kooperativ, weshalb ein Plan ausgeheckt wurde.

Treffen in Tel Aviv

Der damalige stellvertretende BVT-Chef flog im März 2015 zu einem Treffen mit Mossad-Mitarbeitern nach Tel Aviv, dort wurde eine Kooperationsvereinbarung getroffen. Die "Operation White Milk", ein Pleonasmus, begann. Der syrische General sollte nach Österreich gebracht werden, hier Asyl erhalten und den Israelis zur Verfügung stehen. Der stellvertretende BVT-Leiter beauftragte den krankheitsbedingt verhinderten Erstangeklagten BVT-Abteilungsleiter Martin W., der wiederum weihte seinen zweitangeklagten Untergebenen ein.

Laut Anklage wurde am 6. Mai 2015 dann Kontakt mit einem Beamten des Asylamtes aufgenommen, um zu erfahren, wie man für einen syrischen Staatsangehörigen in Österreich Asyl bekommen könnte, wenn dieser bereits in Frankreich ein Asylverfahren habe. Die Mail-Antwort dieses Fünftangeklagten: Man könne dafür sorgen, dass der "Akt liegen bleibt", nach zwei Monaten könne Österreich das Asylverfahren einfach von Frankreich übernehmen. "Das wäre aus unserer Sicht eine wesentlich elegantere Lösung", hielt der Fünftangeklagte fest.

Französischer Widerstand, israelische Hilfe

Es scheint alles zu laufen, am 11. Mai 2015 kommt es in Paris zu einem Treffen zwischen BVT, Mossad und den französischen Behörden. Eigentlich ist geplant, dass der syrische General danach gleich mit nach Österreich fliegen kann. Jedoch: Die Franzosen legen sich quer. Also brachte schließlich der Mossad die Zielperson auf dem Landweg und ohne Reisedokumente nach Österreich, wo diese in Salzburg dem BVT übergeben wurde. Zunächst wurde der Mann in einem Hotel untergebracht, anschließend in die Erstaufnahmestelle Traiskirchen gebracht, wo er einen Asylantrag stellte.

Aus Sicht der WKStA passierte dann genau das, was der Fünftangeklagte avisiert hatte. Der General stellte am 15. Juni 2015 seinen Asylantrag, bei der Bearbeitung gab das Computersystem bekannt, dass in Frankreich bereits ein Verfahren laufe. Konsequenzen hatte das keine – über zwei Monate wurde die Sache bewusst ignoriert, sind sich die Oberstaatsanwälte sicher. Nachdem die Frist verstrichen war und Österreich offiziell zuständig wurde, wurde der General am 2. September 2015 zum Asylverfahren zugelassen, dreieinhalb Monate später wurde dieses positiv entschieden. Da er im Verfahren plötzlich davon sprach, in Frankreich drohe ihm Gefahr, was auch das BVT bestätigte.

Mossad zahlte 5.000 Euro im Monat

In der Vereinbarung mit den israelischen Spionen war festgehalten, dass der Mossad dem General monatlich 5.000 Euro zahlen würde, das BVT ihn aber nicht als Quelle benutzen dürfe, sondern nur der Mossad ihn "abschöpfen" dürfe. Trotz dieser Dotation half ein Angeklagter dem General, als angeblich Mittelloser in die österreichische Grundversorgung aufgenommen zu werden – dieses Delikt ist aber verjährt und daher nicht angeklagt.

Ungemach drohte plötzlich aber von anderer Seite: Die Nichtregierungsorganisation CIJA, die sich mit der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Syrien beschäftigt, sprach im Jänner 2016 im österreichischen Justizministerium vor. Und wies auf eigene Recherchen hin, wonach sich der syrische General mittlerweile in Österreich aufhalte und er unter dem Verdacht stehe, Kriegsverbrechen begangen zu haben.

"Touristenfotos" aus Den Haag

An dieser Besprechung nahmen auch nun Angeklagte teil, die ihr Wissen aber nicht teilten. Auch nicht, als eine Meldeabfrage durch das Justizministerium ergab, dass der Syrer tatsächlich eine aufrechte Meldeadresse in Österreich hatte. Stattdessen, erklärt Oberstaatsanwältin Ursula Schmudermayer dem Schöffengericht unter Vorsitz von Petra Schindler-Pecoraro, hätten der Dritt- und der Viertangeklagte widerrechtlich begonnen, gegen die CIJA zu ermitteln. Der Viertangeklagte soll während einer Dienstreise nach Den Haag einer Untergebenen den Auftrag erteilt haben, den CIJA-Sitz in der niederländischen Stadt auszuspionieren. Am 25. April 2016 schreibt er seiner Kollegin eine Mail mit einer Bitte: "Wann krieg ich denn Deine Touristenfotos aus Den Haag?" Zu diesem Zeitpunkt ermittelte die Staatsanwaltschaft Wien schon in der Causa gegen unbekannte Täter im BVT.

Aus Sicht der WKStA wurde gleich mehrfach Amtsmissbrauch begangen: Der syrische General habe kein Recht auf Asyl gehabt, Frankreich hätte weiter zuständig sein müssen. Dass die Geheimdienstler das Justizministerium beziehungsweise die zuständige Staatsanwaltschaft Wien nicht über die Aktion unterrichteten, sei eine Verletzung der Berichtspflicht gewesen. Und die Spurensuche in Den Haag sei ebenso illegal gewesen, da die niederländischen Behörden nicht eingeweiht gewesen seien und es keinen Ermittlungsauftrag gab.

"Unvollständig und ungenau" ermittelt

Die Angeklagten bekennen sich dagegen nicht schuldig, und ihre Verteidiger finden harte Worte. Otto Dietrich, Rechtsvertreter des Zweiangeklagten, wirft der WKStA vor, "unvollständig und ungenau" ermittelt und keine Ahnung von der Arbeitsweise von Nachrichtendiensten zu haben. Die Behörde habe "durch eine unzulässige Hausdurchsuchung das BVT ausgehebelt und das Referat zerstört", ist er überzeugt.

Den Nutzen für die Republik sieht Dietrich darin, dass das BVT so "Informationen erhielt, die wir auf keinem anderen Weg erhalten konnten". Auch das Schweigen im Justizministerium sei nachvollziehbar: Ohne Zustimmung des Mossad und der eigenen Vorgesetzten wäre es "amtsmissbräuchlicher Geheimnisverrat" gewesen, wenn die Staatsschützer ihren Informationsstand preisgegeben hätten. "Diesen Angeklagten gebührt Respekt und Dank für ihre Arbeit, aber keine Anklage", fasst der Verteidiger seinen Standpunkt zusammen.

Am Montag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 14.4.2023)