Nach dem Schock der AKW-Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 taten die Italiener das, was in anderen europäischen Ländern von vielen besorgten Bürgern gefordert, aber dann von ihren Regierungen doch nicht getan wurde: Sie stiegen aus der Atomenergie aus, radikal. 1987 wurde ein Referendum, das den Verzicht auf die Kernenergie forderte, von fast 90 Prozent der Bevölkerung gutgeheißen. Die vier in Betrieb stehenden Atomkraftwerke wurden in den darauffolgenden Jahren eines nach dem anderen abgeschaltet. Projekte für weitere Meiler wurden gestoppt – bis heute.

Energie aus Erdgas statt aus AKWs – Italiens Stromwirtschaft ist noch immer nicht nachhaltig.
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Italien hatte ab 1963 auf Atomstrom gesetzt, 1990 wurde der letzte Meiler vom Netz genommen. Der Anteil des Atomstroms lag aber nie über fünf Prozent – und so ist die Situation, in der sich das Land nach dem Ausstieg befand, vergleichbar mit jener in Deutschland heute. Zu Versorgungsengpässen kam es in Italien wegen des kleinen Anteils an Atomstrom nicht – dank Importen aus den Nachbarländern Schweiz, Frankreich und Slowenien konnte die Stromlücke problemlos geschlossen werden. Weil aber in allen drei Ländern – insbesondere in Frankreich – Atomkraftwerke stehen, importierte und importiert Italien bis heute Atomstrom.

"Doppelbödig"

Von Gegnern des Ausstiegs wurde dies immer als "doppelbödig" bezeichnet – die gleiche Situation könnte sich auch für Deutschland ergeben. Um weniger abhängig von Stromimporten zu werden, hat Italien nach dem Atomausstieg noch stärker auf thermische Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen gesetzt, besonders auf Erdgas. Heute wird in Italien jede zweite Kilowattstunde Strom in Gaskraftwerken produziert. Bis zur Invasion Russlands in die Ukraine stammte der größte Teil des dafür benötigten Rohstoffs aus Russland. Mit fatalen Folgen: Wegen des hohen Anteils der Gaskraftwerke an der Stromproduktion explodierte letztes Jahr nicht nur der Gas-, sondern auch der Strompreis.

Daneben steht Italien vor einem weiteren Problem: Die Entsorgung der stillgelegten Atomkraftwerke und des von ihnen produzierten Atommülls ist – mehr als 30 Jahre nach dem Atomausstieg – weiterhin nicht gelöst. Der Rückbau der alten Meiler, der Milliardenkosten verursacht, ist erst etwa zu 30 Prozent erfolgt; die Suche nach einem Endlager für die radioaktiven Abfälle hat bisher zu überhaupt keinen zählbaren Resultaten geführt. Wo immer Rom ein Endlager bauen wollte – es kam jedes Mal zu meist sehr militanten Protesten der Anwohner und von Umweltverbänden.

Ungelöste Probleme

Trotz der ungelösten Probleme hat es in Italien immer wieder Versuche für einen Wiedereinstieg in die Atomenergie gegeben. So verabschiedete die vierte Regierung von Silvio Berlusconi 2010 ein Dekret, das den Bau von nicht weniger als zehn neuen Atomkraftwerken vorsah. Doch dann kam im März 2011 die Reaktorkatastrophe in Fukushima – und mit ihr, wenige Monate später, ein zweites Referendum. Das Resultat: 94 Prozent der Stimmberechtigten erteilten Berlusconis Atomplänen eine Abfuhr.

Im Wahlkampf 2022 unternahm Lega-Chef Matteo Salvini angesichts der hohen Gas- und Strompreise einen neuen Anlauf, den Italienerinnen und Italienern die Atomkraft schmackhaft zu machen – ebenfalls erfolglos: Die Rechtsregierung von Giorgia Meloni, der Salvini als Infrastrukturminister angehört, hat das Anliegen in die Schublade gelegt.

Italien setzt nun vielmehr auf den Ausbau erneuerbarer Energien – und hat dafür mehr als 70 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zur Verfügung. Derzeit beträgt der Anteil der Alternativenergie (Wasserkraft, Solarenergie, Geothermie, Windenergie, Biomasse) am Strommix lediglich 33 Prozent. Laut dem nationalen Aufbau- und Resilienzplan soll er bis 2030 auf 70 Prozent steigen. (Dominik Straub, 14.4.2023)