Madrid/Granada – Eine Spanierin hat freiwillig 500 Tage in vollkommener Isolation unter der Erde gelebt. Damit hat Beatriz Flamini den Weltrekord der Italienerin Christine Lanzoni gebrochen, die 2007 genau 269 Tage in einer Höhle verbracht hatte. Die Extremathletin, Bergsteigerin und Höhlenforscherin Flamini verließ die etwa 70 Meter tief gelegene Höhle im Gebiet Costa Tropical in der südspanischen Provinz Granada am Freitag unter großem Medienrummel. Sie hatte keine Ahnung, was in den fast 18 Monaten, die sie in völliger Isolation verbracht hat, an der Oberfläche passiert ist.

Die Extremsportlerin kurz nach Verlassen der Höhle am Freitagvormittag.

Die helmgeschützte 50-Jährige kletterte mit einem breiten Lächeln aus dem Loch. Sie brauche zunächst unbedingt eine Dusche und werde später Rede und Antwort stehen, sagte sie nach vielen Umarmungen den zahlreich erschienenen Journalisten. In einem kurzen Statement bezeichnete sie die Erfahrung als "ausgezeichnet". Mehrere TV-Sender, darunter die staatliche RTVE, berichteten stundenlang live.

Guardian News

Flamini, die sich für Solo-Kletterexpeditionen begeistert und eine Expertin für Selbstversorgung ist, hatte vor zwei Jahren die Produktionsfirma Dokumalia kontaktiert, um ihre Idee vorzustellen, 500 Tage lang allein in einer Höhle ohne Kontakt zur Außenwelt zu leben. "Es war eine persönliche Herausforderung, die sie zu bewältigen hatte, wie viele andere zuvor", sagte Elena Mera, eine Sprecherin des Timecave-Projekts, der spanischen Nachrichtenagentur Efe.

Ein Laptop und zwei Gopros

Die Abenteurerin, die von Experten als sehr willensstark und entschlossen beschrieben wird, musste ihre Tortur, die im November 2021 begann, völlig allein bewältigen. Ihre einzige technische Ausrüstung bestand aus einem Laptop, mit dem sie lediglich Informationen an die Außenwelt habe senden, aber nicht empfangen können. Zudem hatte sie zwei Gopro-Kameras dabei, um ihre Erfahrungen zu dokumentieren, aber keine Uhr und kein Telefon.

Die Extremsportlerin im November 2021, kurz bevor sie für fast 18 Monate abtauchte.

Mit den Gopros dokumentierte sie unter anderem ihre Essens- und Trainingsroutinen, die guten und schlechten Tage und alle Arten von Problemen und Herausforderungen, die in den 500 Tagen aufgetreten sind – sowie der Veränderungen im Körper und im Gemütszustand.

Extreme Gefühlsschwankungen

Seit sie in der Höhle "untergetaucht" war, hatte eine Gruppe von Psychologen, Forscherinnen, Höhlenforschern und Sporttrainerinnen den Kontakt zu der Athletin aufrechterhalten und sich über ihr Befinden auf dem Laufenden gehalten, ohne jemals direkten Kontakt mit ihr zu haben. Flamini deponierte ihre Aufnahmen an einem vereinbarten Austauschort in der Höhle, damit die Produzenten das Filmmaterial der gesamten Erfahrung zusammenstellen konnten, erklärte Mera.

Bei der Pressekonferenz sagte Flamini den Medienvertretern, dass sie nach Tag 65 das Zeitgefühl verloren habe. Auf die Frage, wie sie es geschafft habe, so lange bei Verstand zu bleiben, verwies Flamini auf ihre große Erfahrung und ihre mentale Vorbereitung und fügte hinzu: "Ich bin sehr gut mit mir selbst zurechtgekommen." Sie habe zwar mit sich selbst gesprochen – aber nie laut. Schließlich musste die Stille in der Höhle ("es war nicht mein Haus") respektiert werden.

Lesen, Schreiben, Zeichnen und Stricken

Der Schlüssel, um die 500 Tage durchzuhalten, sei Beständigkeit gewesen. "Für mich als Extremsportlerin ist es am wichtigsten, dass ich sehr klar und konsequent sage, was ich denke, was ich fühle und was ich sage", sagte sie. "Es stimmt, dass es einige schwierige Momente gab, aber es gab auch einige sehr schöne Momente – und ich hatte beides." Schon zuvor hatte sie berichtet, extreme Angstzustände und Euphorie zu erleben, existenzielle Fragen nach dem Sinn des Lebens, starke Stimmungsschwankungen und Halluzinationen sowie Probleme mit dem Gedächtnis und der Konzentration.

Flamini sagte, sie habe sich die Zeit ruhig mit Lesen, Schreiben, Zeichnen und Stricken vertrieben – und damit, sich zu amüsieren: "Ich war da, wo ich sein wollte, und so habe ich mich der Sache gewidmet". Der Trick bestand darin, ganz einfach im Hier und Jetzt zu leben: "Ich koche, ich zeichne ... Man muss konzentriert sein. Wenn ich mich ablenken lasse, verknackse ich mir den Knöchel. Dann ist es vorbei und sie müssen mich rausholen. Und das will ich nicht."

Flamini hat es nach eigenen Angaben geschafft, sich fit zu halten, 60 Bücher zu lesen und ihre Erlebnisse mit zwei Kameras für einen bevorstehenden Dokumentarfilm festzuhalten.

Genaue psychologische Erforschung

Julio Santiago von der Abteilung für experimentelle Psychologie und Verhaltensphysiologie der Universität Granada hat beobachtet und analysiert, wie sich die soziale Isolation und die extreme vorübergehende Desorientierung auf Flaminis Zeitwahrnehmung ausgewirkt haben. Forschungsgruppen für klinische und experimentelle Neuropsychologie an der Universität Almería haben die möglichen neuropsychologischen und kognitiven Veränderungen untersucht, die das Experiment aufgrund der extremen Einsamkeit, der Abwesenheit von Licht und der kognitiven und sozialen Isolation, der sie ausgesetzt war, hervorrufen könnte.

Vor dem Betreten der Höhle wurden ihre Großhirnrinde und kognitive Funktionen durch neuropsychologische, klinische und experimentelle Tests eingehend untersucht. Auch ihr logisches Denkvermögen und ihr semantisches Gedächtnis wurden getestet. Ein in Madrid ansässiges Beratungsunternehmen für Schlafgesundheit, Kronohealth, untersuchte auch Flaminis Herzrhythmen und ihren Schlaf unter Tage. (Klaus Taschwer, 14.4.2023)

Anm. d. Red.: Der Artikel wurde um 22:00 um die Aussagen Flaminis bei der Pressekonferenz ergänzt.