Für manche ist Hautpflege regelrecht eine Wissenschaft, in der Wirkstoffe wie Retinol, AHA oder Vitamin C genau richtig dosiert werden. Doch hier ist weniger tatsächlich mehr.

Foto: Getty Images/iStockphoto

1,8 Quadratmeter groß und bis zu zehn Kilo schwer: Die Haut ist das größte und schwerste Organ des Menschen und das einzige, das man im Alltag auch herzeigt. Außerdem ist sie ein milliardenschweres Geschäft. Skincare ist der am stärksten wachsende Sektor in der Beauty-Industrie. Mehr als 28 Milliarden Euro hat die Branche im Jahr 2022 allein in Europa umgesetzt. Tendenz steigend. In den kommenden Jahren soll der Sektor jährlich um 3,35 Prozent wachsen. Das sind eine ganze Menge an Cremes, Seren und Tonics, die über den Ladentisch gehen.

Aufwendige "Skincare-Routinen", also Kombinationen verschiedener Produkte für schönere, glattere und strahlendere Haut, haben einen festen Platz im Repertoire vieler Influencerinnen und auch Influencer in sozialen Medien. Bis zu zehn Produkte hintereinander werden da auf die Gesichtshaut getröpfelt, geklopft und einmassiert. Die Nachfrage ist groß, das merken auch Expertinnen. "Die Kundinnen und Kunden kennen sich inzwischen viel besser aus", erzählt die kosmetische Leiterin des Wiener Schönheitssalon Real Beauty. Sie kann den Skincare-Trend an der Haut ihrer Kundinnen und Kunden ablesen und sieht dort vor allem einen Überfluss an Pflege. "Es ist fast schon zu viel des Guten."

Überfluss an Pflege

Das Angebot zielt auf Übertreibung ab. Trendmarken wie The Ordinary, Jungglück oder Nø Cosmetics setzen in ihrem Sortiment auf einzelne Wirkstoffe, die individuell zu einer Pflegeroutine kombiniert werden können. Die Produkte kommen in kleinen Glasfläschchen mit Pipetten- oder Pumpverschluss. Damit zu hantieren hat etwas von einem Alchemisten, setzt aber auch einiges an Wissen voraus. Nicht alle Wirkstoffe vertragen sich miteinander.

Das vielgerühmte Vitamin C, das aufhellend wirkt und für einen besonderen Glow sorgt, soll zum Beispiel nicht mit AHA-Säuren in chemischen Peelings kombiniert werden. Rötungen, Reizungen oder auch schlichte Wirkungslosigkeit können die Folge ungeeigneter Kombinationen sein. Aber nicht immer ist die Anweisung so klar. Ob das bei Hautunreinheiten oft empfohlene Niacinamid gleichzeitig mit Vitamin C verwendet werden kann, ist eine lange und bislang ergebnisoffene Debatte in der Skincare-Community. Hier heißt die Lösung oft: ausprobieren und schauen, wie die Haut reagiert.

Hautzustand, nicht Hauttyp

Die Produkte müssen aber nicht nur aufeinander, sondern auch auf die eigene Haut abgestimmt werden. Die Binsenweisheit "Feuchtigkeit für trockene, leichte Pflege für ölige Haut" ist keine allgemeingültige Regel. "Die Pflege richtet sich immer nach dem Hautzustand und nicht nach dem Hauttyp", sagt die Kosmetikerin. Gene sind das eine, Jahreszeit und Wohnort, Alter und Lifestyle das andere. "Kommt man mit öliger Haut zur Welt, die großporig ist und schnell glänzt, dann bleibt das auch so, Pflege kann daran nichts ändern." Trockene Heizungsluft, kaltes und raues Wetter, Salzwasser und Sonne beanspruchen die Haut aber, egal ob es genetisch eine Mischhaut, ölige oder trockene Haut ist. Hier sollte mit der Pflege angesetzt werden – bewusst, auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt und besser sparsam.

"Alles tun" ist meistens zu viel

Deshalb analysieren Kosmetikerinnen und Kosmetiker in professionellen Salons die Haut der Kundinnen und Kunden mit einem speziellen 3D-Gerät. Flecken und Falten, Poren und UV-Schäden werden in der Computeranalyse sichtbar – und auch die Auswirkungen der individuellen Skincare-Routine. "Die übertriebene Pflege kann den Schutzmantel der Haut zerstören, das vermindert aber auch die guten Bakterien, die die Haut schützen sollen", erklärt die Kosmetikerin. Irritationen, Rötungen und Entzündungen sind die Folge. "Die Kundinnen fragen sich: 'Warum habe ich diese Probleme, wenn ich alles für meine Haut mache?' Aber 'alles' ist eben meistens zu viel."

Zum Glück ist die Haut recht widerstandsfähig – nachhaltige Schäden durch herkömmliche Produkte sind selten. Am meisten Vorsicht ist bei chemischen Peelings geboten. AHA-Peelings – dazu gehören etwa Glykol- und Milchsäuren – entfernen die obersten toten Zellen der Hornschicht und regen die Hauterneuerung an. BHA-Peelings aus Salicylsäuren entfernen überschüssigen Talg, wirken antibakteriell und beugen Hautunreinheiten vor. Beide Peelings hinterlassen ein glattes Hautgefühl, einen strahlenden Teint – und ungeschützte Haut. Nach der Anwendung sollte deshalb unbedingt Sonnenschutz aufgetragen werden, damit keine Pigmentschäden entstehen. Die könnten zwar mit Vitamin C oder Niacinamiden aufgehellt werden, sind aber nachhaltige Hautschäden.

A und O der Hautpflege

Es ist also recht schnell zu viel, aber wie viel ist nun genug? Die Kosmetikerin weiß Rat. Im ersten Schritt sollte die Haut mit einem Reinigungsgel oder einer Reinigungsmilch gereinigt werden. Bei der Wahl kann man sich hier getrost auf den eigenen Hauttyp verlassen – der bestimmt die Reinigung. Für ölige Haut darf es also ruhig ein Mittel mit geringer AHA-Dosierung sein, wer empfindliche Haut hat, greift lieber zu einem sanfteren Produkt. Mischhauttypen haben freie Wahl. Im zweiten Schritt soll ein Toner folgen, der den PH-Wert der Haut reguliert. "Das ist das Wichtigste – denn wenn wir die Haut nach der Reinigung nicht tonisieren, bleibt ein basisches Milieu, in dem die guten Hautbakterien nicht überleben können. Das ist das A und O in der Hautpflege."

Der Rest ist so aufwendig oder minimalistisch wie gewünscht. Ein Serum und eine Tagespflege, und ganz wichtig ist täglicher Sonnenschutz, auch im Winter. Abends vor dem Schlafengehen darf es sogar ein bisschen weniger sein, um die natürlichen Regeneration der Haut nicht zu unterbinden. "Wenn wir der Haut zu viel Nahrung geben, wird sie faul." Und sonst empfiehlt die Kosmetikerin Abwechslung – Masken sind eine nette und nährende Draufgabe, aber kein Muss, Peelings eine Geschmacksache, die nicht übertrieben werden sollte. Je nachdem, was die Haut eben gerade braucht – und nicht das, was gerade in ist oder in der Zeitung empfohlen wird." Auch wenn Sie das gerade in einer lesen. (Davinia Stimson, 15.4.2023)