Hunderte Menschen, hier ein Demonstrant in Gallier-Kostüm, demonstrierten am 14. April in Frankreich gegen die Pensionsreform.

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Paris – Der französische Verfassungsrat hat am Freitag der umstrittenen Pensionsreform von Präsident Emmanuel Macron zugestimmt. Damit steigt das Pensionsantrittsalter von 62 auf 64 Jahre. Der Rat sah die Reformpläne in Einklang mit der französischen Verfassung. Laut dem französischen Sender BFM TV will Macron das entsprechende Gesetz in den nächsten 48 Stunden unterzeichnen.

Landesweit kam es im Vorfeld der Entscheidung zu Protesten
DER STANDARD

Einzelne Artikel des Gesetzes beurteilte das Gremium als lückenhaft. Einen Vorschlag der Opposition, ein Referendum über die Reform abzuhalten, lehnte der Verfassungsrat ab. Es liegen allerdings bereits neue Pläne für ein Referendum vor, über die der Rat Anfang Mai beratschlagen soll.

Premierministerin Élisabeth Borne meldete sich rasch via Twitter zu Wort. "Heute Abend gibt es weder Gewinner noch Verlierer", schrieb Borne. Um das aktuelle umlagenfinanzierte Pensionssystem aufrechtzuerhalten, brauche es Anstrengungen. Auch zählte sie die Vorteile der Reform auf: So würden etwa 1,8 Millionen Pensionistinnen und Pensionisten Anhebungen in Höhe von mehr als 600 Euro pro Jahr erhalten.

Neuerlich Demonstrationen

Vor der Entscheidung haben am Freitag erneut Menschen protestiert. In Paris setzte sich zu Mittag ein Demonstrationszug in Bewegung. In etlichen anderen Städten waren ebenfalls Proteste geplant. Landesweit wurden außerdem Straßen blockiert.

Für Macron ist die Entscheidung ein Erfolg in dem monatelangen Streit um die Reform. Doch die Proteste könnten durch die Entscheidung weiter angefacht werden. Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Verfassungsrats verschärften die französischen Gewerkschaftsführer jedenfalls die Rhetorik noch einmal. Die Chefin der Gewerkschaft CGT, Sophie Binet, meinte, sollte Macron das Gesetz unterzeichnen, werde keine Führungspersönlichkeit aus den Gewerkschaften künftig mit ihm Gespräche führen.

Drohendes Finanzierungsloch soll gestopft werden

Macron und die Mitte-Regierung wollen mit der Reform ein drohendes Loch in der Pensionskasse verhindern. Die Einzahldauer für eine volle Pension soll schneller steigen. Derzeit liegt das Pensionsantrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt später: Wer für eine volle Pension nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Pension ohne Abschlag – das soll so bleiben.

Das Vorhaben ist in Frankreich äußerst umstritten. Die Gewerkschaften halten es für brutal und ungerecht. Seit Anfang des Jahres streiken und protestieren regelmäßig Hunderttausende gegen die Reform. Auch im Parlament lieferten sich Regierung und Opposition einen heftigen Schlagabtausch. Um eine drohende Schlappe zu verhindern, entschied die Regierung in letzter Minute, die Reform ohne finale Abstimmung durch die Nationalversammlung zu drücken. Linke und rechtsnationale Abgeordnete, linke Senatoren und auch Premierministerin Élisabeth Borne riefen anschließend den Verfassungsrat an.

Umstrittene Vorgehensweise

Die Abgeordneten monierten unter anderem, dass die Regierung die Reform in einem Haushaltstext verpackte und die Debattenzeit im Parlament verkürzte. Hierin sahen die obersten Hüter der französischen Verfassung jedoch kein Problem. Sie kassierten hingegen ein für größere Unternehmen verpflichtendes Verzeichnis älterer Angestellter und einen Sondervertrag für ältere Arbeitnehmer, weil diese nichts mit den Finanzen zu tun hätten.

Auch wenn die Gewerkschaften die Entscheidung des Verfassungsrats respektieren wollen, könnten die Proteste gegen die Reform weitergehen. Denkbar ist, dass es nun mehr spontane Aktionen geben könnte – möglicherweise erneut mit Ausschreitungen und Gewalt. Einige radikalere Gruppen könnten ihre Streiks zudem fortführen. Einem Verfahren für ein Referendum, das das Pensionsantrittsalter mit 62 Jahren deckeln wollte, erteilte der Verfassungsrat eine Absage. (APA, Reuters, red, 14.4.2023)